Grüße aus Tirol

Kitzbühel – Kulisse fürs Volksmusikfernsehen, Paradies der Skihasen, berühmt für sein Hahnenkammrennen und hohes Pelzmantel­aufkommen. Wie ein Magnet zieht das Städtchen zum Jahreswechsel Gutbetuchte und die Semi-Schickeria an. Auch unsere Autorin Elisabeth R. Hager bahnte sich ihren Weg zurück nach Tirol und ­berichtet über den demografischen Wandel in ihrem Heimatort zur Hochsaison.

Manche Asse stellen sich bei nähe­rem Hinsehen dann doch als Arschkarten heraus. Zum Beispiel eine Kindheit und Jugend in Tourismushoch­burgen der österreichischen Alpen. Wenn andere zu Weihnachten die Großstadt in Richtung Dorfeinsamkeit verlassen, wo die Konflikte lediglich beim Familygathering ausgetragen werden könnten, hat man hier zwar die Möglichkeit, Wintersport zu treiben, es ist allerdings auch gut möglich, dass man schon beim Gang vom Bahnhof in Richtung Elternhaus von pelzmanteltragenden Après-Ski-Horden aus dem Weg geräumt wird. Bei manch sensiblem Zeitgenossen stellt sich um diese Jah­reszeit in der Gegend um Kitzbühel auch häufig das Gefühl ein, in eine Folge der »Weißblauen Gschicht’n« mit Gustl Bayrhammer – Gott hab ihn selig – oder gleich eine ganze Staffel von »Der Bulle von Tölz« gestolpert zu sein.

Vielleicht trifft auf den österreichischen Skiort Kitzbühel aber lediglich das Gegenteil von dem zu, was Walter Benjamin in »Über Haschisch« von der Stadt Marseille zu erzählen wusste: Ein wirkliches Verständnis für den Ort entwickelt nur, wer in ihm Kind gewesen ist. Die Faszina­tion jedenfalls, die Kitzbühel auf den internatio­nalen und besonders den deutschen Jetset auszuüben scheint, erschließt sich nicht allen in der Region Aufgewachsenen ohne weiteres. Schön ist Kitzbühel ja schon, aber das Zentrum der 8 500 Einwohner zählenden Stadt zwischen Kitzbüheler Horn und Hahnenkamm liegt fast den halben Tag über im Schatten und um die Schneesicherheit ist es in höheren Lagen auch weitaus besser bestellt. In den letzten Jahren hat sich im Ort aber eine Infrastruktur für die Schickeria entwickelt, die sich andernorts nur schwer finden lässt. Über 20 Hotels mit mindes­tens vier Sternen, neun Beautyfarmen mit Feng-Shui- und Spa-Atmosphäre sowie acht Golfplätze machen klar, welche Gäste man in Kitzbühel erwartet.

Fast scheint es, als sei ein dicker Geldbeutel die einzige Zugangsvoraussetzung für den High-Society-Chill-Out in Kitz. Ein bisschen auf die Her­kunft kommt es dann allerdings doch an, wie die »Russenquote« beweist, die letzten Winter in der Gegend für Aufregung sorgte und das Gefühl, man befinde sich in einer billig produzierten, mit Klischees überladenen Fernsehserie, bis zur Gewissheit steigerte. Damals munkelte man im Ort, die Mehrzahl der Vier- und Fünf-Sterne-Hotels habe eine Vereinbarung unterzeichnet, in der sie sich verpflichteten, die Buchungen für russische Skitouristen auf zehn Prozent zu beschränken. In den Jahren zuvor waren immer mehr Superreiche aus Russland nach Kitz gekommen und man befürchtete, die neuen Touristen, denen man in guter alter rassistischer Tradition unkultivierte Verhaltensweisen nachsagte, könnten die alteingesessenen Gäste aus Kitzbühel vergraulen. Außerdem hatte es mehrere Immobilienkäufe von russischen Investoren gegeben, was von vielen Ortsansässigen, die sonst im Verscherbeln von Grundstücken nicht unbedingt zimperlich sind, zum feindlichen Über­nahmeversuch erklärt wurde. Dass man sich auf eine »Russenquote« geeinigt habe, wur­de bald aufgeregt dementiert. Der Chef der Mar­ketingabteilung des Tourismusbüros Kitzbühel ließ verkünden, es habe keine negativen Auswirkungen auf den Tourismus gegeben; in Gesprächen mit der russischen Tourismusministerin sei alles unternommen worden, um den schlechten Ruf der Stadt in Russland wieder auf­zupolieren.

Ob sich nun dieser Tage mehr oder weniger »Oligarchen« als im Vorjahr am Skilift und um die Heizpilze der Altstadt drängen, kann an dieser Stelle nicht eindeutig geklärt werden. Auffällig viele sind es jedenfalls nicht. Was aber auffällt, ist die Fülle an Pelzmänteln, Nobelkarossen und gestylten Hunden. Während die gutbetuchte Klientel früher eine kleine Minderheit unter den Touristen in Kitzbühel bildete, stellt sie heute fast schon die Mehrheit, die früher übliche Privatzimmervermietung hingegen steckt seit Jahren in der Krise.

Anfang der sechziger Jahre erlebten die güns­ti­gen Privatunterkünfte mit weniger als zehn Betten eine erste große Phase des Booms. Viele deutsche Reisebüros verteilten ihre Kunden damals mit Vorliebe auf die kleinen, preiswerten Häuser, weil ihre aus der Arbeiter- und Mittelschicht stammende Kundschaft neben dem niedrigen Preis vor allem den Kontakt zu dem Vermieter zu schätzen wusste. Im abendlichen Beisammensitzen mit dem einheimischen Gast­geber materialisierte sich ein Gefühl der Zugehörigkeit, das für diese Generation von Urlaubern noch einen wichtigen Teil des Reiseerlebnisses ausmachte. Nach einer Flaute Mitte der achtziger Jahre bescherte dann ausgerechnet der Mauerfall der Tiroler Privatzim­mer­wirtschaft einen neuen Erfolg. Die neuen Bundesbürger schwärmten in Scharen nach Tirol, wo sie mehrheitlich die kleinen Pensionen und Bauernhöfe bevölkerten. Und während viele Wessis Mitte der neunziger Jahre die ersten Billigflieger in den sonnigen Süden bestiegen, waren es vornehmlich die Ossis, die auch in den Folgewintern die kleinen Pensionen frequentierten und im Sommer zum Wandern kamen.

Um das Jahr 2000 begann die sich globalisierende Welt dann auch der Beschaulichkeit der Ti­roler Berge ihren Stempel aufzudrücken. Das Internet, das den Untergang der Reisebüros aus­löste, beschert den Privatzimmervermie­tern seither ein Publikum, das von überall auf der Welt online mit ihnen in Kontakt tritt. Auch die Buchungskonventionen änderten sich stark. War es vor etwa zwanzig Jahren noch üblich, mehre­re Wochen an einem Ort seinen Urlaub zu verbringen, machen heute bekanntermaßen immer mehr Menschen immer häufiger immer preiswer­tere Kurzurlaube. Und da auch die Hotels der Mit­telklasse von diesem Phänomen betroffen sind, locken sie die Gäste mit billigen Angeboten, was der Privatzimmervermietung, die mit den Standards der Hotels nicht mithalten kann, über kurz oder lang endgültig die Kunden abwerben dürfte.

Im Zentrum von Kitzbühel interessiert das freilich kaum jemanden. Hier dominieren ohne­hin die Nobelunterkünfte und Luxussuiten. Und spätestens um halb fünf, wenn die flotten Wintersportler die letzte Abfahrt vom Hahnenkamm ins Tal genommen haben, um sich im »Stadl« beim Après-Ski noch das eine oder andere Glaserl zu genehmigen, ist die Welt wieder in Ordnung. Genauso wenig interessiert es die meisten hier, dass die Erderwärmung dem Wintertourismus, von dem immerhin die Mehr­heit der Einheimischen direkt oder indirekt lebt, in 40 Jahren den Garaus machen dürfte. Einziges Indiz für ein – allerdings etwas fehlgeleitetes – Problembewusstsein stellt der fast schon panisch anmutende Einsatz von Beschneiungsanlagen, Schneekanonen und anderen Hightech-Maschinen dar, mit dem die Kitzbühler Bergbahnen heute schon das Schlimmste abzuwenden versuchen.