Im Harz frisiert Germania

Im ländlichen Südniedersachsen versuchen Neonazis, die Hegemonie zu erlangen. Insbesondere der Südharz um die Stadt Bad Lauterberg wird zum Betätigungsfeld für die NPD. Das bürgerliche Lager macht es ihr nicht sonderlich schwer. von benjamin laufer

Nicht nur Kurgäste zieht es nach Bad Lauterberg. Seit sechs Jahren ziehen Neonazis anscheinend systematisch in den beschaulichen Ort im Südharz. Dem Kader Michael Hahn, derzeit Stadtratsmitglied in Bad Lauterberg, folgten weitere organisierte Kameraden. Vier Direktkandidaten der NPD für die niedersächsischen Landtagswahlen Ende Januar wohnen mittlerweile in dem Ort. Die Antifaschistische Linke International (ALI) aus dem 50 Kilometer entfernten Göttingen spricht von einem Rückzugsraum für Rechtsextreme, »in dem sie ihre Strukturen in relativer Ruhe organisieren können«. So handle es sich nicht mehr nur um ein lokales Problem, vielmehr hätten die Aktivitäten im Harz überregionale Bedeutung.

Für die Gegner der Neonazis dort stellen diese Zustände eine dauerhafte Bedrohung dar. Mehrfach wurden Gewalttaten an alternativ gekleideten Jugendlichen verübt. Im vergangenen Jahr wurde ein 14jähriger Schüler mit Holzlatten verprügelt, weil er aus der Szene der Rechtsextremen aussteigen wollte. Auf gesellschaftlichen Großereignissen wie Volks- und Schützenfesten patroullieren die Neonazis und greifen jeden an, der nicht in ihr Weltbild passt. Selbst auf privaten Feiern und in Gaststätten sind die Betroffenen nicht sicher. Einen Rückzugsraum für alternative Jugendliche gibt es nicht. Die Stelle des Stadtjugendpflegers in Bad Lauterberg wurde im vergangenen Jahr abgeschafft.

Doch nicht nur die Neonazis sind für die Stimmung im Südharz verantwortlich. Teile der so genannten gesellschaftlichen Mitte stehen hier am rechten Rand. Der Bürgermeister von Herzberg, Gerhard Walter (CDU), wurde im Jahr 2007 bundesweit in den Medien kritisiert, weil er der NPD Räumlichkeiten für ihren Landesparteitag zur Verfügung stellte. Die Journalistin Andrea Röp­ke, die an Ort und Stelle berichten wollte, wurde von ihm bedroht, ein Kameramann tätlich angegangen. Walter behindert darüber hinaus immer wieder die wenigen Jugendlichen, die etwas gegen die Neonazis unternehmen wollen. So hat er unter anderem bereits ein Konzert »gegen rechts« untersagt. Die Neonazis sind überdies bestens in die Gesellschaft integriert, besitzen Kneipen und Geschäfte wie den kürzlich in Osterode eröffneten Friseursalon »Germania«. In dem Dorf Scharzfeld bei Herzberg ist es Sitte, jedes Jahr zum Geburtstag Adolf Hitlers die Dorfflagge aus dem Fenster zu hängen.

Seit einigen Monaten regt sich Widerstand gegen die rechten Aktivitäten. Das Bündnis »Bunt statt Braun« organisierte mit gewerkschaftlicher Unterstützung eine erste Demonstration und verschiedene Informations- und Diskussionsveranstaltungen. Hermann Lückert vom CDU-Stadtverband stellte jedoch sogleich in einem Leserbrief im Harzkurier fest: »Wer Bündnisse mit solchen Freunden in Aktionen wie ›Bunt statt Braun‹ eingeht, sollte sich darüber klar werden, ob die Bezeichnung ›Demokrat‹ dann noch anwendbar ist.« Ebenfalls aus Kreisen der CDU wurde dem Bündnis nahe gelegt, doch lieber etwas gegen die Linkspartei zu unternehmen. Diese sei doch viel schlimmer.

Im Dezember konnte im Dorfgemeinschaftshaus Dorste erstmals erfolgreich ein »Konzert gegen rechts« stattfinden, zu dem 500 Besucher kamen. Was für Außenstehende banal erscheinen mag, bedeutet für die Jugendlichen dort, der Hegemonie der Rechtsextremen endlich etwas entgegensetzen zu können. Dabei werden sie mittlerweile auch von überregionalen Antifagruppen unterstützt, die sie in dieser niederschmetternden Provinz nicht länger allein lassen wollen.

»Es geht uns darum, den Nazis im Harz die Ano­nymität zu nehmen und die Aktivisten vor Ort zu unterstützen«, fasst eine Sprecherin der ALI die Absicht der Gruppe im Gespräch mit der Jungle World zusammen. Die bisherigen Aktionen seien als Anfang zu verstehen, man wolle weiter im Südharz tätig sein, um den Neonazis nicht das Feld zu überlassen. Zusammen mit vielen anderen regionalen und überregionalen Gruppen ruft die ALI zur ersten Antifademonstration in Bad Lauterberg auf. Am 19. Januar, einem Samstag, soll unter dem Motto »Es gibt kein ruhiges Hinterland« in der beschaulichen Altstadt demonstriert werden. Während die Gruppe versucht, einerseits bedrohlich aufzutreten, andererseits aber auch Bündnisse mit bürgerlichen Organisationen einzugehen, tritt die Antifagruppe »redical [M]« mit dem Slogan an: »Kein Frieden mit Deutschland und seinen Nazis!«

Die ALI hatte beim Werben um bürgerliche Bündnispartner mit Skepsis zu kämpfen. So wurde vom Bürgerbündnis befürchtet, ein schwarzer Block könne die Bad Lauterberger Innenstadt »in Schutt und Asche legen«, wie die Sprecherin der Antifagruppe berichtet. Die DGB-Region Südniedersachsen-Harz, die noch im September die erste Demonstration in Bad Lauterberg organisierte und in Göttingen bereits mehrfach mit der ALI zusammenarbeitete, ruft nicht zu der Demonstration am Samstag auf. Zu groß scheint die Sorge um das eigene Image bei den Bürgern zu sein. Dabei finden sich unter den zahlreichen Bündnisteilnehmern auch bürgerliche Initiativen, Personen wie Dorothée Menzner, eine Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, und mehrere Kreisverbände der Grünen.

Das Bündnis »Bunt statt Braun« entschied sich in einer Mitgliederversammlung am 10. Januar zur allgemeinen Überraschung, an der Demonstration der Antifa teilzunehmen. Allerdings wolle man keine Gewalt tolerieren, wie die zweite Vorsitzende Sabrina Kohlrausch sagt. »Es ist immer wichtig, sich von Gewalttätern, egal ob ganz links­extrem oder ganz rechtsextrem, zu distanzieren«, führt sie auf Nachfrage der Jungle World aus. Das Bild der radikalen Linken ist in Bad Lauterberg kein gutes. Gerhard Walter gab im April 2007 im NDR zu bedenken: »Wenn dann Gegendemons­tra­tionen kommen, führt es zu Sachbeschädigungen. Dann kommt es dazu, dass auch Körperverletzungen nicht selten sind.« Diese Aussage haben sich die Bad Lauterberger gemerkt. Bereits das Kleben von Antifaplakaten in der vergangenen Woche sorgte für Wirbel in der Stadt. Die Linken seien vom selben Schlag wie die Rechten, hieß es. Am Samstag wollen zahlreiche Geschäfte früher schließen, weil die Inhaber Angst um ihr Hab und Gut haben.