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Sie können verdammt froh sein, diese Woche eine Jungle World in den Händen zu halten. Am Freitag nämlich war in Berlin Arbeitskampf angesagt. Überall in der Stadt waren Streikposten aufgestellt, um uns den Weg zu unserer Arbeitsstätte zu versperren. Im U-Bahnhof etwa lungerten sie und erklärten uns freundlich, aber bestimmt, dass hier heute leider kein Durchkommen sei. Auf den Straßen blockierten Autos die Durchfahrt für andere Autos und andersherum. Kurz: Da ging nichts mehr. Wenn es hier nicht so viele umweltbewusste, auf ihre Geschmeidigkeit achtende, Rad fahrende Kolleginnen und Kollegen gäbe, dann hätte es eng werden können mit der Produktion.

Von zwei Kollegen ist bekannt, dass sie den ganzen Weg von ihrem Bett zu ihrem Schreibtisch zu Fuß bewältigten. Eine dreiviertel Stunde dauerte der Gewaltmarsch von Neukölln hierher, und abends dasselbe noch mal zurück, berichtete einer von ihnen zerknirscht. Etwas Besonderes erlebt hat er oberirdisch aber nicht: »So aufregend war es jetzt nicht.«

Irgendwann waren wir jedenfalls alle vollzählig und überlegten, wem es auffallen würde, wenn wir einmal streiken sollten. Dabei ist schon die Frage absurd, denn wir sind ja alle unsere eigenen Arbeitgeber. Höchstens gegen unsere Leserinnen und Leser könnten wir streiken. Sie sind schließlich unsere Geldgeber. Und weil wir dringend mehr Lohn gebrauchen könnten, läge eigentlich nichts näher. Aber wir wissen ja auch, dass wir am Ende am kürzeren Hebel sitzen. Genauso gut könnten unsere Leserinnen und Leser auf die Idee kommen, uns zu bestreiken. Nein, nein, das Streiken überlassen wir also lieber den Lokomotiv- und U-Bahnführern dieses Landes.

Obwohl: Ein Ressort bestreikt derzeit den Putzplan, die Kollegen vom Layout wollen hinsichtlich der Produktion einen Bummelstreik ausgemacht haben, die Korrekturabteilung beklagt den Punktstreik mancher Autoren, und wenn wir abends nach Hause gehen und die Layouter und der Herr Geschäftsführer immer noch hier hocken, denken wir manchmal, sie veranstalten einen Sitzstreik.

Wussten Sie übrigens, dass in Island weltweit am meisten gestreikt wird? Aber Isländer verzehren jährlich auch über 91 Kilo Fisch pro Kopf. Daran kann man sich also kaum orientieren. Wie kamen wir jetzt auf Island? Ach so, wegen der Berliner Verkehrsbetriebe. Seit Samstag, 15 Uhr, fährt wieder alles. Nur unser U-Bahnhof streikt immer noch. Seit drei Monaten wird dort gebaut. Am 31. Januar sollte er fertig sein. Nun verkünden Plakate stolz, so als handele es sich um einen Zirkus oder eine Kunstausstellung: »Verlängert bis zum 28. Februar«. Unser leidgeprüfter Kollege aus Neukölln bemerkte dazu trocken: »Die Chinesen hätten in diesem Zeitraum eine Millionenstadt gebaut.« Strike!