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Antizyklisch. Das ist hier ja ein Zauberwort. Zuweilen wird damit das ausgiebige Verschlafen bestimmter Trends beschrieben, im Allgemeinen jedoch gilt es als pfiffige Strategie. Im Falle des Web 2.0 wissen wir gar nicht so genau, wie es dazu kam. Nachdem alle dachten, der Hype um die »sozialen Netzwerke« im Internet sei längst implodiert und habe sich als Blase entpuppt, die schneller zerknallt als jene des Krisenkapitalismus, ist die Jungle World plötzlich und unerwartet mitten drin im offenbar doch nicht so gestrigen Geschehen. Seit kurzem gibt es eine Jungle-Seite bei MySpace, und innerhalb kürzester Zeit hatten »wir« schon jede Menge Freunde geaddet, darunter alle unsere Lieblingsbands und Lieblingscomiczeichner. Toll!

Wer genau dabei »wir« ist, ist allerdings nicht so richtig klar, irgendwie scheint das »Projekt« aus diesen Räumen hier zu kommen, aber wer dahinter steckt, wie es dazu kam, wer das eigentlich beschlossen hat auf welcher Sitzung, das alles wissen wir nicht genau. Ist aber auch völlig egal. Dschungel wächst eben nicht in Beeten. Manche Kollegen lächeln gelegentlich andeutungsvoll, wissen offenbar mehr. Das soll uns genügen.

Irgendwie schmeichelhaft, aber viel rätselhafter sind die vielfältigen, wachsenden »Jungle-World-Gruppen« etwa beim Online-Radio-Netzwerk Last FM und auch im StudiVZ. Wer sind diese Menschen? Was treiben unsere Leserinnen und Leser dort eigentlich den ganzen Tag? Ist StudiVZ nicht total böse? So richtig kennen wir uns damit nicht aus, denn wir sind ja schon froh, wenn wir unser soziales Netzwerk im wirklichen Leben halbwegs auf die Reihe kriegen. Apropos Zweitleben: Haben wir eigentlich eine Filiale im Secondlife? Überhaupt, wie sieht es dort aus, war da jemand in letzter Zeit mal wieder zu Besuch? Nein? Dann wird dort wohl kaum ein Dschungel sprießen. Aber dort sprießt ja ansonsten auch nicht mehr viel, wie man hört. Eine »World Of Warcraft«-Jungle-Gilde ist uns bisher auch nicht bekannt, aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Einige von uns haben derweil ein andres Problem. Die Kneipe (oder ist es ein Club?), die (bzw. der) derzeit den wichtigsten Rahmen für unser soziales Networking im Firstlife darstellt, ist immer mehr überlaufen und genießt inzwischen deutlich zu viel fame bei minderjährigen Touristinnen aus Saarbrücken und Barcelona. (Nichts gegen Saarbrücken und Barcelona – ist bloß eine Metapher.) Bleibt uns am Ende nur der Rückzug in die virtuellen Welten? Ist das vielleicht sogar der Hintergrund für diesen neuen Trend des »Jungle 2.0«? Dann wäre es ja gar nicht antizyklisch, sondern geradezu ein megakausaler Determinismus. Huch! Jetzt sind wir aber wirklich erschrocken.