Diese Dylans!

Todd Haynes’ Film »I’m not there« zeigt auf ungewöhnliche Weise die verschiedenen Leben des Bob Dylan, kommt aber über den Mythos doch nicht hinaus. von aljoscha weskott

Der Wille zur Dramatisierung ist in Todd Haynes’ Filmen immer vorhanden. Schon in seinem ersten großen und bis heute verbotenen Super-8-Film kündet in der Eingangssequenz eine Schrifttafel vom zentralen Anliegen seines Kinos: »Dramatization« ist dort zu lesen. Mit »Superstar – The Karen Carpenter Story« gelang Haynes 1987 eine Zäsur im Musikkino. In grotesken Szenen werden die Stationen eines Lebens mit Barbie- und Ken-Puppen nachgestellt, eine entrückte Persiflage des Zeitzeugen-Kinos entsteht. Der Anti-Biopic-Film, der sich sowohl von den herkömmlichen Fernsehformaten als auch von den gängigen Musikfilmen von »The Doors« bis »Walk the line« unterscheidet, wurde von Haynes maßgeblich neu erfunden.

Daran schließt der Regisseur in seinem Film über Bob Dylan an. »I’m not there« ist ein verstörender Film über die vielfältigen Leben des Musikers, ein Film, der an Haynes’ Glam-Rock-Epos »Velvet Goldmine« erinnert und doch eine ganz andere Kraft entwickelt, die in dieser hochgradig komponierten und artifiziellen Form nur selten in Hollywood zu sehen war. »I’m not there« gleicht einem Vexierspiel, mit dessen Hilfe sich Haynes einer Kunstform annähert, die sich stetig wandelte: von Folk zu Rock, zu Country, zum Gedicht, zu Dylans Weltzugang durch das Wort insgesamt. Es sind Brechungen, Wendungen, Ereignisse, die viele Dylan-Personen hervorbringen. Sie tragen bei Haynes andere Namen und verweisen nur zufällig auf Dylan.

Das zeigt, wie sehr Arthur Rimbaud, dessen Werk großen Einfluss auf Dylan hatte, den Metatext des Films vorgibt. Bis an die Grenze des Kitsches wird das »Ich bin ein anderer« in jedem Erzählstrang wiederholt. Rimbauds Einfluss findet sich aber auch in der sich wandelnden Stellung von Todd Haynes, der als Popautor des New-Queer-Cinema zwischen dem Melodram im Stil von Rainer Werner Fassbinder und Douglas Sirk und dem Autorenkino von Jean-Luc Godard und Michelangelo Antonioni hin- und herpendelt. Ein Versinken in opulenten Bilder­reigen und ununterbrochen dahinfließenden bekannten, unbekannten und nachgespielten Musikstücken von Dylan führt zur Auflösung des Biografischen, verweist aber auch wieder auf die Überfigur Bob Dylan, der man nicht entkommen kann.

Mit einer nicht enden wollenden Fiebrigkeit lässt Haynes verschiedene filmische Genres miteinander verschmelzen. Es entsteht ein den Betrachter ins Delirium versetzendes Werk, in dem Haynes Wege in die Kultur der Sechziger und Siebziger bahnt und in dem er sich über­lagernde Bilder von Amerika zeigt. Haynes’ Farbspiele und Montagetechniken halten das große Experiment zusammen. Der Regisseur verweist unterschwellig auf die 1972 gedrehte Dokumentation »Don’t Look Back«, die Dylan zusammen mit D. A. Pennebaker entwarf, oder auf Sam Peckinpahs Film »Pat Garrett jagt Billy the Kid«, der als Muster für Richard Geres Interpretation von Dylan dient.

Haynes’ Reise durch das Amerika der Sechziger und Siebziger führt uns Dylans Leben vor, wie es in dieser Form noch nicht sichtbar wurde. Es ist eine Reise durch weiße Projektionsräume, in denen Bilder von Lyndon B. Johnson und Vogelspinnen zu sehen sind und Tabletten konsumiert werden. Haynes nimmt jedes bekannte Detail an Dylan präzise auf: seine schwarze Sonnenbrille, seine Nonkonformität, sein Ausweichen, auch hinsichtlich seiner politischen Positionierung, wie die Montage zum Black Panther Movement im Film verdeutlicht.

Der Regisseur zeigt Architekturen der sechziger Jahre, ohne in einen ironischen Gestus zu verfallen: sei es, um ein verglastes Apartment am Strand, eine Rekonstruktion des Innendesigns der Zeit, zu einem modernen Mythos werden oder um die Krise des politischen Sprechakts immer wieder vor dem Fernseher enden zu lassen, aus dem der Vietnam-Krieg bunte Bilder in die Stube speit.

Die Musik ist dabei allgegenwärtig und verbindet die denaturalisierten, an Brechts Prinzipien erinnernden Performances der sechs Dylan-Darstellerinnen und -Darsteller. Dylan wird in obskure Figuren zerlegt: Der mittlerweile an einer Überdosis Tabletten verstorbene ­Heath Ledger mimt den verzweifelten, privaten Dylan, Julianne Moore imitiert Joan Baez. Die zerbrechlich wirkende, fast queere Erscheinung Dylans wird von Cate Blanchett gespielt. Sie wandelt zwischen Drogen­experimenten und nervtötenden Fragen von Journalisten durch einen englischen Garten und gibt kurze Statements über Shakespeare von sich. Sie begegnet Allen Ginsberg, der plötzlich auf einem Golfwagen neben der Limousine des Musikers vorbeirollt, um »Hallo« zu sagen: Das ist ein Zauberwerk jenseits des Realismus. Alles fließt in »I’m not there«. Haynes baut endlose filmische Räume, die von opulenten Montagen zusammengehalten werden, er wird getrieben von der Idee, den Fluss der Prosa und der Musik nicht abbrechen zu lassen.

In jeder Episode wird ein Scheitern sichtbar, das eine neue Phase in Dylans Leben und Werk ermöglicht. Haynes will keine Wahrheit ermitteln, sondern in einer fiktionalen Form den Mythos des Musikers ergründen. Dylan ist mal Poser, mal Dandy, schließlich ein drogenverstrahltes Monster und ein Macho, dann wieder Poet und Seismograph einer Epoche Amerikas, die als die wichtigste des 20. Jahrhunderts gilt. »Ich hätte es sogar für notwendig erachtet, einen Film über Dylan zu machen, wenn ich seine Musik nicht gemocht hätte. Er ist als Figur der Nachkriegszeit einfach zu wichtig und faszinierend, um ihn nicht schließlich doch irgendwann als dramatischen Gegenstand auszuwählen«, sagt Haynes.

Er interessiert sich dabei nur für die diskursive Wirkung einer Figur, die Held und Anti-Held zugleich ist. Er hat Dylan nie getroffen. Manchmal steht Haynes die gebrochene Hommage an Dylan im Weg, er kann der Frage des politischen Künstlers in seiner Zeit nicht nachgehen und historisiert ihn auf diese Weise nur. Manchmal wünscht man sich daher, dass der Film die künst­lerische Radikalität von Dylan selbst einnähme und sie noch stärker gegen jede Form des Biografischen richtete, so dass nicht mehr eine Figur, und sei sie noch so vielfältig, rekonstruiert würde, sondern diverse Episoden einer politischen und künstlerischen Epoche in filmischer Intensität lebendig würden. Erst dann würde der Film den Mythos zurückweisen.

»This is not a Dylan-movie«, war in der New York Times zu lesen. Doch der Mythos Dylan scheint »bigger than life« zu sein, so dass die Arbeit am Mythos anscheinend nicht zu umgehen ist. Die Wirkung des kritischen, politischen Künstlers und seiner Kunst in einer alles adaptierenden Gesellschaft, die auch den subversiven Protest der Sechziger in sich aufnimmt, wird nur schemenhaft angedeutet. So bleibt die Frage offen, wie das derzeitige Verhältnis zur Kunst der sechziger Jahre zu beschreiben ist, wenn die Musik und die politischen Gesten und Sprechakte nicht einfach reproduziert werden können und somit problematisch geworden sind. Diese Spur könnte man aufnehmen, anstatt ein Phantom zu jagen. So könnte man am Ende auch etwas über die Zeit aussagen, in der man Coverversionen von Bob Dylans Songs hört.

»I’m not there«. Regie: Todd Haynes. Start: 28. Februar