Teen-Angst
Neptune, California, a town without a middle class.« Mit diesen Worten beschreibt gleich zu Beginn der Serie »Veronica Mars« die titelgebende Heldin den Ort der Handlung, ihr Zuhause. Wer hier lebt, ist Millionär – oder arbeitet für einen. Diese soziale Konstellation findet sich in jedem Highschool-Film: Verwöhnte Sportlertypen aus reichem Elternhaus stehen cleveren Underdogs gegenüber. In solche jocks and cheerleaders und freaks and geeks lassen sich auch die Protagonisten von »Veronica Mars« unterteilen. Doch Serienerfinder Rob Thomas zeichnet ein komplexeres Bild der Zwei-Klassen-Gesellschaft, indem er das Highschool-Setting mit dem Film Noir kreuzt, einem Genre, das meist moralische Grauzonen auslotet.
Veronica selbst gehört weder zur einen noch zur anderen Seite. So sehr Außenseiterin wie sie ist höchstens noch ihr Vater Keith, der als Polizeichef einen hoch angesehenen Industriellen verdächtigt hatte, seine eigene Tochter umgebracht zu haben – und deswegen den Job und damit seinen sozialen Status verloren hat. Keith Mars verdient sein Geld mittlerweile, indem er als Privatdetektiv untreuen Ehemännern hinterherschnüffelt. Und seine minderjährige Tochter hilft ihm auch noch dabei.
Veronica Mars füllt diese Rolle des Film-Noir-typischen abgebrühten Detektivs zur Gänze aus: Sie ist clever, unsentimental, hart, ironisch und skeptisch. Normalerweise nicht gerade die hervorstechenden Eigenschaften eines Teenagers. Glaubwürdig wirkt sie nicht nur durch Kristen Bells brillante Darstellung, sondern auch wegen dem, was ihr in ihrem Leben vor Beginn der ersten Folge alles widerfahren ist. Nicht nur war eine Ermordete ihre beste Freundin, auch ihr Freund – der Bruder der Toten – hat sie verlassen. Außerdem machte sich ihre alkoholkranke Mutter aus dem Staub, und Veronica wurde auf einer Party unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Kein Wunder, dass sie niemandem mehr traut und alle verdächtigt. Neben den kleinen, Woche für Woche anfallenden Fällen versucht sie, den großen Fall zu lösen, der ihr Leben ist.
Virtuos wird das zunächst einfach wirkende Highschool-Setting im Laufe der Serie verkompliziert. Latino-Gangleader Weevil, der in der ersten Folge den Neuling Wallace nackt an den Schulmast bindet, wird im Laufe der ersten Staffel zu einem wichtigen Verbündeten. Wallace wiederum, basketballspielender Sohn einer alleinerziehenden schwarzen Frau, ist der Sidekick, der sich zunehmend zum moralischen Zentrum der Serie entwickelt. Und schließlich ist da noch Logan: Der Ex-Freund der Ermordeten, als psychotic jackass eingeführt, entwickelt sich zur komplexesten Figur neben Veronica.
Wie es sich für das Genre Film Noir gehört, ist der Ort der Handlung, Neptune, ein Sumpf aus Korruption und Intrigen. Kaum ein reicher Bewohner hat eine weiße Weste, die Exekutive ist tumb und korrupt, wegen des Mordes an Veronicas Freundin wird ein erpressbarer armer Schlucker verurteilt, der wahre Mörder freigesprochen. Veronica hat genug Durchblick, um den Lügen und Täuschungen nicht auf den Leim zu gehen – was sie allerdings nicht davon abhält, andere fragwürdige Entscheidungen zu treffen. Nicht nur die Reichen bewegen sich in »Veronica Mars« somit in moralischen Grauzonen. Was Veronica selbst nach all den Ereignissen am Leben hält, ist ihr Rachedurst. Wiederholt stößt sie damit ihre wenigen Freunde vor den Kopf.
Erstaunlicherweise hält »Veronica Mars« die Balance. Trotz der düsteren Stränge, die in der ersten Folge angelegt sind, verliert die Serie nie ihren Humor. Die Dialoge gehören zum Kunstvollsten, was je im Fernsehen vernommen wurde, sie sind streetwise und elaboriert zugleich.
Leider wurde »Veronica Mars« trotzdem bereits nach drei Staffeln eingestellt. Obwohl die dritte Staffel an einigen offensichtlichen Eingriffen von Produzentenseite und unter der erratischen Behandlung einiger zentraler Figuren leidet, ist auch sie noch sehr sehenswert. Wie sonst nur »Buffy – the vampire slayer« erhebt »Veronica Mars« das unterschätzte Genre der teen soap zum komplexen und dichten Kunstwerk, das emotional bewegt und extrem lustig ist.