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Jungle World 39/2008: »Die Spur der Grabsteine«
Nekrophiler Antikommunismus?
Die sonst lesenswerte Reportage Birgit Schmidts begibt sich leider auf das Glatteis des »nekrophilen Antikommunismus«. Sie nennt die Zahl von 100 000 Toten nach der Machtübernahme der Kommunisten in Bulgarien. Im »Schwarzbuch des Kommunismus« werden vom Historiker Bartosek 2 138 Todesurteile in den unmittelbar nach der kommunistischen Machtübernahme geführten Prozessen gegen Vertreter des mit Nazideutschlands verbündeten vormaligen Regimes genannt. Ansonsten ist die Quellenlage über die Opfer kommunistischer Herrschaft in Bulgarien problematisch. Den »wilden Säuberungen« nach dem Einmarsch der Roten Armee seien Schätzungen zufolge 30 000 bis 40 000 Menschen zum Opfer gefallen. In Straflagern seien zwischen 1944 und 1953 etwa 12 000 Menschen interniert gewesen, nach anderen Schätzungen habe die Gesamtzahl der in Lagern, Polizeiwachen und Gefängnissen vorübergehend mit und ohne Gerichtsurteil festgehaltenen Personen bei 187 000 gelegen. Freundlich grüßt Jonas Dörge

(Anmerkung der Redaktion: Die umstrittene Zahl stammt aus George Hermann Hodos: »Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa 1948–1954«, 2. (überarbeitete) Auflage, Aufbau-Verlag, 2001. Dort heißt es auf S. 48: »Das Blutbad war entsetzlich und übertraf an Brutalität bei weitem die Aktionen in anderen Sowjetsatelliten: Die Zahl der von den Volksgerichten in den ersten vier Jahren des Jugow-Terrors Hingerichteten wird auf 100 000 geschätzt.«)

Jungle World 37 ff./2008, Disko über Tierrechte und Antispeziesismus
Vegane Ökonomie
Eigentlich ist das doch alles ganz einfach:
(1) Tierindustrie ist Verschwendung und reduziert die Lebensgrundlage der davon lebenden Menschen. Eine vegane Ökonomie lässt mehr Menschen mehr Wohlstand und mehr Freiheit bei gleichen Ressourcen. Deshalb ist ­jedes bisschen noch so individueller Veganismus erst mal nicht schlecht.
(2) Tiere sind fähig zu leiden, und ob das Leiden von Tieren qualitativ oder quantitativ von dem von Menschen unterscheidbar ist, ändert gar nichts an der Erkenntnis, dass die Herstellung von Menschenfutter aus Tieren prinzipiell Leiden verursacht. Wenn man das unerträgliche »Wenn du das Ei nicht isst, ess’ ich’s halt, wo ist der Unterschied«-Argument aus dem Hut zu zaubern sich nicht zu blöde ist, kann man sich natürlich auch darauf versteifen, einen Hund zu treten sei wie eine Kirchenglocke zu schlagen und klinge halt nur ein bisschen anders. Dann ist Punkt (2) ungültig.
(3) Ein Begriff soll Träger einer bestimmten Bedeutung sein, und nicht Symbol einer bestimmten Stammeszugehörigkeit (üblicherweise »die Guten« und »die Bösen«). Wenn man das beachtet, merkt man auch schnell, welche Begriffe erklärt werden müssen, weil jeder was anderes drunter versteht. Oliver Schotts Beitrag ist so gut, weil er genau das getan hat. Mathias Fischmann