Notfallplan für die EM 2012

Droht ein neues Sommermärchen?

Polen und die Ukraine sollen die Fußball-EM 2012 ausrichten. Weil die Ukraine in einer Regierungskrise steckt und der Ausbau der Infrastruktur stockt, ist ein »Notfallplan« mit deutschen Spielorten in der Diskussion.

Nur wenige Stunden nach seiner Wahl in der vergangenen Woche wurde der neue Präsident des polnischen Fußballverbandes, Grzegorz Lato, sehr deutlich: »Wenn die Ukraine Probleme hat, können wir die EM 2012 mit den Deutschen organisieren.« Und das sagte er wohl nicht aus Versehen, sondern in einem exklusiven Interview mit der prominentesten polnischen Fernsehjournalistin Monika Olejnik.
Damit bestätigte der WM-Torschützenkönig von 1974 den »Notfallplan«, wonach Berlin und Leipzig, beides erfolgreiche Austragungsstätten der WM 2006, als Spielorte für die Fußballeuropameisterschaft in vier Jahren einspringen sollen. Für den Fall, dass die Ukraine die vom europäischen Fußballverband Uefa gestellten Anforderungen nicht erfüllen kann. Und danach sieht es immer mehr aus. Uefa-Sprecher William Gaillard kündigte bereits im Fachblatt Kicker an, die Dinge nach den polnischen Vorstandswahlen »neu zu ordnen«. Damit ist die Uefa nach dem Interview Latos nun beschäftigt.
In der Ukraine geht es vor allem um die Infra­struktur, also Straßen, Flughäfen, Hotels und Stadien. Die Ukraine steckt in einer Regierungskrise, die das Land lähmt. Mitte Dezember sollen dort Neuwahlen stattfinden. Präsident Wiktor Juschtschenko hatte zuvor das Parlament aufgelöst. Führende EU-Politiker, wie Elmar Brok, Außenpolitiker und Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), des Zusammenschlusses der christlich-demokratischen Parteien der EU-Mitgliedsländer, sehen das Land blockiert: »Die Ukraine ist seit drei Jahren politisch praktisch handlungsunfähig.« Der Schwung der so ge­nannten Orangenen Revolution aus den Dezem­bertagen des Jahres 2004 ist dahin, selbst in diplomatischen Kreisen der Ukraine wurden jüngst Zweifel laut an der EM 2012, die bei ihrer Vergabe im April 2007 noch von sämtlichen politischen Kräften des zerrissenen Landes euphorisch bejubelt worden war. »Wenn sich unsere wichtigsten Figuren aus Politik und Wirtschaft nicht bald einigen können, sehe ich auch keine Lösung des Problems«, sagte ein Vertreter der ukrainischen Regierung, der nicht genannt werden will.
Wegen dieser Zweifel bemüht sich Polen nun um eine Abgrenzung vom Co-Gastgeber. »Viele schauen mit einer gewissen Sorge auf die Ukraine, und mit Unverständnis. Schließlich weiß bei den anstehenden Wahlen auch niemand, wie sie ausgehen«, sagte der polnische Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, noch vor wenigen Tagen. Und so verdichteten sich nach und nach die Anzeichen für einen deutsch-polnischen »Notfallplan«. »Es ist auch möglich, dass es in Polen mehr Austragungsstädte geben wird als in der Ukraine«, sagte Marcin Herra, Vorsitzender der für die Organisation der Euro 2012 gegründeten staatlichen Firma PL 2012. »Die Zahl muss ja nicht in beiden Ländern gleich sein.« Herra geht davon aus, dass in Polen sechs Städte dazu in der Lage sein werden, das Turnier zu organisieren. Bislang war von jeweils vier Austragungsorten in beiden Ländern die Rede. Ergänzend zu den sechs polnischen Städten Warschau, Poznan (dt.: Posen), Wroclaw (Breslau), Gdansk (Danzig), Chorzów (Königshütte) und Krakow (Krakau) könnten damit Leipzig und Berlin stehen. Die Äußerung Latos kommentierte Herra mit dem Satz: »Von offizieller ukrainischer Seite gibt es keine Bestätigung, dass dort die Arbeit eingestellt wurde.«
Berlin und Leipzig könnten das polnische Verkehrsproblem zur EM 2012 auf halben Wegen lösen. Denn die Verbindungen in die Ukraine bis zur EM 2012 werden nicht – wie geplant – fertig. Noch vor einer Woche bestätigte die oberste polnische Straßenbehörde, dass die ehrgeizigen Pläne zur Vervollständigung des Straßennetzes, die die Regierung noch im vergangenen Jahr in einem »Programm 2012« vorgestellt hatte, unrealistisch sind: Von den 3012 geplanten Kilometern wird weniger als ein Drittel fertiggestellt werden. Die Autobahn Berlin-Warschau wird aber ganz sicher fertig werden, und auf der Strecke liegt auch Poznan, das als sicherster Austragungsort Polens gilt. Auch die A4 von Leipzig über Wroclaw und Chorzów nach Krakow wird bis dahin fertiggestellt sein. Mit der Ausnahme von Gdansk wären sämtliche acht Austragungsorte über ein modernes Autobahnnetz miteinander verbunden.
Allerdings gilt Lato nicht als Wunschkandidat der Uefa. Ihr Präsident Michel Platini hatte seinen ehemaligen Mitspieler bei Juventus Turin, Zbigniew Boniek, für dieses Amt favorisiert. Boniek, lange Zeit der einzige polnische Fußballer, der sich auf Weltniveau behaupten konnte, scheiterte bei seiner Kandidatur zu diesem Amt an den Funktionären. »Lato ist bekannt als ein anerkannter Vertreter des polnischen Fußballverbandes PZPN. Mit ihm als Präsident wird sich nichts ändern«, sagte Jacek Gmoch, ehemaliger polnischer Nationalspieler und bekannter Fußballkommentator im polnischen Fernsehen. Der PZPN gilt als eine der letzten post­kommunistischen Bastionen in Polen.
Sein bisheriger Präsident Michal Listkiewicz musste sein Amt auf politischen Druck niederlegen: Der Verband hatte zuletzt mit immer neuen Skandalen zu kämpfen. Selbst die Rolle Polens als Gastgeber der EM 2012 war deshalb in Frage gestellt worden. Wegen seiner wiederkehrenden folgenlosen Ankündigungen, die Korruption im Fußball zu bekämpfen, hatte List­kiewicz jegliches Vertrauen in der Öffentlichkeit verloren. In den vergangenen zwei Jahren gab es 116 Verhaftungen von Schiedsrichtern, Trainern und Funktionären, die an Spielmanipulationen beteiligt sein sollen. Eine Anhörung beim zuständigen Gericht in Wroclaw, das sich mit dem riesigen Bestechungsskandal unter polnischen Schiedsrichtern befasst, hat Listkiewicz in der vergangenen Woche abgesagt, weil er bei der Uefa sein wollte. »In einer Angelegenheit der Uefa-Schiedsrichterkommission, an der ich teilnehme.«
Zur selben Zeit eskalierte die Krise weiter: Zunächst wurde der ehemalige Nationaltrainer Janusz Wójcik, ein Mann mit großem Einfluss im PZPN, unter dem Verdacht verhaftet, elf Liga­spiele in seiner Zeit als Trainer von Swit Nowy Dwór Mazowiecki manipuliert zu haben. Und dann schlug die polnische Steuerbehörde zu: mit Kontensperrungen beim PZPN, um eine Steuerschuld von rund zehn Millionen Zloty (2,7 Millionen Euro) zu vollstrecken, die sich nach dem Verkauf von Fernsehrechten angehäuft hat.
Ob Grzegorz Lato der richtige Mann ist, um den polnischen Fußball zu einer vertrauenswürdigen Sache zu machen, muss er selbst noch beweisen. Als Trainer von Amica Wronki, einem Club aus dem westlichen Polen, wo der Korruptionsskandal seinen Anfang nahm, ist Lato auch bereits in den Verdacht der Ermittler geraten. »Wir müssen das Image des polnischen Fußballs verbessern. Wir müssen Transparenz und Reinheit zeigen und vorleben«, sagte Lato in seiner Antrittsrede. Es müsse sichergestellt sein, dass die EM 2012 ein Erfolg werde. Um das zu gewährleisten, laufen bereits Gespräche zwischen dem PZPN und dem DFB-Schatzmeister Horst R. Schmidt, der zurzeit noch Südafrika als Ausrichter der WM 2010 berät. Das bestätigte Michal Listkiewicz in einem Gespräch mit dieser Zeitung bereits vor wenigen Wochen. »Künftig werden wir uns auch mit Herrn Schmidt hier in Warschau beraten.« Derselbe Herr Schmidt, der als geschäftsführender Vizepräsident des Organisationskomitees (OK) für die WM 2006 in Deutschland zuständig war. Übrigens auch als Mitarbeiter für das OK der WM 1974, an die Grzegorz Lato noch die besten Erinnerungen hat.