Die neue Platte von Franz Ferdinand

Müder Ackergaul in der Disco

Die langerwartete neue Platte von Franz Ferdinand ist da. Die Rockband ging dafür in die Disco.

Nichts ist umsonst, und der hohe Preis, den eine Kult- oder Hype­band für ihren Status zu entrichten hat, ist in aller Regel: dreist überzogene Erwartungen der Fans und Musikkritiker an das nächste Album. Das ist nicht unbedingt schön für die Bandmitglieder, erhöht es doch zusätzlich den Druck, unter dem sie bei Albumaufnahmen ohnehin schon stehen – soll unbedingt … , könnte vielleicht … , darf aber auf keinen Fall … ! Umso mehr, wenn die Gruppe aus dem schottischen Glasgow kommt und Franz Ferdinand heißt, so wie der tote österreichische Erzherzog, dessen Ermordung einst den Ersten Weltkrieg mit ausgelöst hatte.
Die dritte Platte des Quartetts aus der Kunsthochschule, in dessen Zentrum der als überaus modebewusst geltende Sänger Alex Kapranos agiert, titelt »Tonight: Franz Ferdinand«. Das »To­night«, auf dem Cover in weißen Lettern vom Rest des Namens abgesetzt, wirkt wie eine Aufforderung: Geh tanzen, amüsier dich, übertreib es ruhig, es ist deine Nacht und du bist jung und schön! Bereits vor dem Anhören wird so an die Euphorie des Zuhörers appelliert. Zudem darf der Albumtitel als Hinweis gelten für die Lust der Band auf die eigene Sache, Lust auf die »neue« Musik, auf das Rampenlicht, vielleicht sogar auf das Popbusiness und seine Spielchen. Der Titel sagt: Hey, wir sind wieder da! Macht euch bereit!
Selbstverständlich ist das nicht. Man muss sich nur einmal die Schicksale anderer Hype-Bands ansehen, die einst hoch auf der Retro-Rock-Welle surften. Die Libertines lösten sich erst in Heroin und dann ganz auf. Ob es die Strokes noch gibt, weiß kein Mensch. Von der zweiten Garde junger Bands erinnert man sich nicht einmal mehr an die Namen. Vorbei.
Auch Franz Ferdinand, berühmt geworden mit zackig-nervösem Neo-Postpunk, den sie auf ihren einander sehr ähnlichen Alben »Franz Ferdinand« (2004) und »You Could Have It So Much Better« (2005) zur hysterischen Freude des Publikums zum Besten gaben, stecken nun in der Krise.
Nach einer kreativen Pause, die alle Bandmitglieder getrennt voneinander verbrachten, pro­bierten sie es zunächst in London mit dem Popproduzenten Brian Higgins, doch die Vorstel­lungen von Band und Produzent waren offensichtlich zu verschieden. Franz Ferdinand trollten sich zurück nach Glasgow, entdeckten zufällig ein seit den fünfziger Jahren leerstehendes Rathaus am Rande der Stadt, und nachdem sie es bezogen und das Equipment verstaut hatten, be­merkten Gitarrist Nicholas McCarthy, Paul Thompson (Schlagzeug), Bassist Robert Hardy und Kapranos mit großer Freude, dass sich nicht nur in, sondern sogar mit diesem Haus Musik machen ließ.
Man spielte mit der Akustik der Räume, hängte Mikrofone mal hier, mal dort hin. Schade nur, dass man davon auf »Tonight: Franz Ferdinand« nichts hört. Die räumliche Dynamik der Stücke scheint stets die gleiche zu sein. Vom mo­derat aufgetragenen Schmuddel früherer Aufnahmen ist nichts mehr zu spüren. Irgendwann stellt man dann auch fest, dass die Platte nicht nur die Nacht im Namen führt – auch in den Tex­ten geht es um nächtliche Aktivitäten. Was wiederum, der Band zufolge, damit zusammen­hängt, dass sie, den Ohren der Nachbarn zuliebe, die Fenster des Gebäudes zumauerten – in Umkehrung des elterlichen Sprichworts wurde hier also der Tag zur Nacht gemacht. Kapranos singt: »I’m bored, I’m bored/Come on, let’s get high!« – High sein gegen die Langeweile: Richtig originell klingt das nicht.
Und die Musik? Um es neutral zu sagen: Es herrscht eine gewisse Orientierungslosigkeit. Ein Abgreifen verschiedenster Einflüsse ist spürbar, freilich ohne sich vollständig von dem zu ver­abschieden, womit man berühmt geworden ist. Franz Ferdinand wollten neu anfangen – und tun deshalb was? Sie drosseln das Tempo, betonen die Bässe, beseitigen die scharf geschnittenen Kanten von einst, holen sogar verzerrte Schwanzrockgitarren raus, singen das gute alte »Lalalala«, stellen alles schön laut, und dann begeben sie sich auf einen nur in den allerseltensten Momenten songtechnisch und atmosphärisch zwingenden Ritt durch die ver­schie­dens­­ten Genres. Mal zitieren sie Mainstream-Funk, an anderer Stelle Indie-Elektronik, irgend­wo taucht ein Blues-Thema auf. Die Band präsentiert Disco-Einflüsse der achtziger und neun­ziger Jahre, liebäugelt auch mal mit Ska, wechselt öfter die Tempi, um für noch mehr Ab­wechs­lung zu sorgen. Am Ende gibt es Balladen.
»Tonight: Franz Ferdinand« ist eine in ihrer Unausgegorenheit ziemlich anstrengende Platte, der man in jeder Sekunde die Angestrengtheit ihrer Urheber anzumerken meint. Und weil die neuen Songs so wenig von der schnoddrig coolen Lässigkeit und selbstverständlich wirken­den Eleganz haben, die Hits wie »Michael« oder »Darts Of Pleasure« auszeichnete, wirken die lyrischen Anmachmanöver Kapranos’ – Rollenprosa hin oder her – nicht länger sexy und witzig, sondern seltsam klebrig: »You girls never know how you make a boy feel.« Selbst die Ekstase, von der hier überall die Rede ist, kommt einem bald vor wie ein müder Ackergaul, der mit der Peitsche vorangetrieben wird. »Tonight«, denkt man, kann man auch zuhause bleiben. Und man fragt sich, vielleicht ein bisschen traurig, wie es denn hätte aussehen können, das perfekte, rundum glücklich machende Album Franz Ferdinands im jungen Popjahr Jahr 2009 – und weiß eines sicher: dass man keinen Schimmer hat.

Franz Ferdinand: »Tonight: Franz Ferdinand« (Domino/Indigo)