Das Kriegsdrama »Defiance«

It’s Hard to Be a Jewish Hero

Das Kriegsdrama »Defiance« schildert den Überlebenskampf jüdischer Partisanen und bricht mit dem Klischee des passiven Opfers.

Es hat eine ganze Weile gedauert, bis der Film das Tabu brach und den Holocaust als Thema entdeckte. Erst mit der amerikanischen Low-Budget-Serie »Holocaust« (1978 entstanden, 1979 in Deutschland ausgestrahlt) flackerte das hausgemachte Grauen dann auch durch deutsche Wohnzimmer. Es war »das erste Mal, dass das deutsche Publikum mit dem individuellen Schick­sal von Opfern der Shoah konfrontiert wurde«, kommentiert der Filmwissenschaftler Omer Bartov in seinem Buch »The ›Jew‹ in Cinema«.
Seitdem hat sich Hollywood dem Thema Shoah ausgiebig gewidmet. Neben aufklärerischen Motivationen gilt das Thema auch als guter Pusher, wenn es darum geht, Filmpreise zu gewinnen. In diesen Wochen starten nun gleich mehrere Blockbuster zum Thema.
Einer davon jedoch, »Defiance«, unterscheidet sich von den meisten anderen in der langen Reihe von Filmen, die sich thematisch dem größten Verbrechen aller Zeiten widmen. Historisch wohl nur allzu nachvollziehbar, begründeten die Filme über die Shoah eine Bildtradition des »Juden« als »Opfer par excellence«.
Edward Zwick, der Regisseur, Drehbuchautor und Co-Produzent von »Defiance«, kommentiert seine Entscheidung, mit diesem Stereotyp zu brechen, so: »Die populäre Ikonografie des Holocaust war zumeist eine der Opferbildung. Es ist wichtig, die Komplexität dieses Begriffs zu erweitern – zu verstehen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Passivität und Hilflosigkeit, dass der Impuls, Widerstand zu leisten, immer da war.«
»Defiance« erzählt die Geschichte der Bielski-Brüder und bietet die kinematografische Aufarbeitung eines historischen Beispiels für jüdischen Widerstand. Auf der Flucht vor den Nazis treffen 1941 die jüdischen Brüder Tuvia (Daniel Craig) und Zus Bielski (Liev Schreiber) in den Wäldern Weißrusslands auf eine versprengte Gruppe jüdischer Flüchtlinge. Unter Führung von Tuvia Bielski bilden sie eine Partisanengruppe, die sich an Kollaborateuren rächt und Sabotageakte gegen die Nazis ausführt. Immer neue Flüchtlinge schließen sich der Gruppe an, so dass die Versorgungslage immer dramatischer wird. In Ermangelung anderer Nahrungsquellen ist die Gruppe gezwungen, sich zu bewaffnen und Nahrungsmittel von den Bauern zu fordern. Auch russische Partisanengruppen verhielten sich so, aber die oft antisemitisch eingestellte Bevölkerung bewertete diese »Beschaffungsmaßnahmen« sehr unterschiedlich. So kommen­tiert Zus, einer der beiden jüdischen »Heldenbrüder«, in einem Gespräch mit einem russischen Partisanenführer: »Bei euch nennt man es Unterstützung, bei uns sagt man Diebstahl«.
Die größte Leistung des Films ist es, das Klischee des passiven jüdischen Opfers aufzubrechen. Die jüdischen Charaktere sind hier nicht durchweg hilflos leidende Opfer mit überdurchschnittlichem Ethos, vielmehr verhalten sie sich individuell höchst unterschiedlich. Manche Männer und Frauen greifen zur – gestohlenen – Waffe, um für sich und die anderen Flüchtlinge Nahrung zu beschaffen. Andere verharren im Camp und hoffen auf die Hilfe der Stärkeren in der Gruppe. Die Opferrolle wird in diesem Film zugunsten der Darstellung von individuellem Handlungsspielraum zurückgedrängt. So wird einer der jüdischen Kämpfer gezeigt, wie er seine körperliche Überlegenheit missbraucht, um schwachen Mitgliedern der Gruppe ihre Essensrationen streitig zu machen. Und überhaupt wird trotz der heroischen Grundstruktur der Geschichte, die auf Fakten beruht, an so manches sakrosankte Filmbild gerührt. So geht eine Frau zum raubeinigen Anführer Zus, nimmt seine Hand, legt sie auf ihre Brust und sagt »Ich möchte Schutz.« Sein Bruder Tuvia kommentiert die daraus entstehende Beziehung lakonisch mit den Worten: »Du glaubst doch nicht, dass es Liebe ist.« Und bekommt dafür von Bruder Zus – so gar nicht dem Stereotyp des jiddischen Mannes entsprechend – einen Faustschlag ins Gesicht.
Gerade diese untypischen Szenen und der Mut, die rauen Seiten der Verfolgten zu zeigen, machen den Film glaubwürdig. Und so werden auch die großen Filmdialoge in den tragischen historischen Kontext eingebettet, so dass sie nicht nur groß tönen. So zum Beispiel, wenn es um die ganz essenzielle Frage geht, was es bedeu­tet, ein Mensch zu sein. Nach etlichen Szenen, in denen man die Brüder und ihre Schützlinge vom Regen durchweicht im Wald kauern sieht, bekommt Tuvia seinen Auftritt. Auf einem weißen Pferd vor der Gruppe auf- und abreitend, verkündet er das Credo der jüdischen Partisanen: »Wir werden Kämpfer werden! (…) Seien wir auch gejagt wie Tiere, wir werden nicht zu Tieren werden! All dies hier haben wir gewählt, um frei zu leben, wie menschliche Wesen, so lange wir können. (…) Und wenn wir sterben in unserem Bemühen zu leben, so sterben wir zumindest wie Menschen.«
Tuvia erreicht hier nach knapp 100 Filmminuten im Schlamm eine heroische Größe wie nur ganz wenige jüdische Leinwandhelden vor ihm. Sein mythologischer Hollywood-Großvater Paul Newman ist zuletzt 1960 im Film »Exodus« zu derart grandioser Form aufgelaufen.
Doch schon bald darauf ist es für Tuvia wieder vorbei mit der Heldenpose hoch zu Ross. Schon in der folgenden Szene zwingt der Hunger im Lager den Revolverhelden, die Waffe gegen sein Pferd zu richten, so dass er seinen Weg durch die matschigen Wälder zu Fuß fortsetzen muss.
»Is schwer zu sayn a Jid«, sagt ein altes jiddisches Sprichwort. Und schwerer noch, ein jüdischer Held zu sein. Richtige Superman-Rollen sind nur ganz selten in Filmen zum Holocaust zu vergeben. Am Ende ist in »Defiance« derjenige der Held des Waldes, der sich beim Beschaffen der täglichen Suppe hervortut.

»Defiance« (USA 2008). Regie: Edward Zwick. Darsteller: Daniel Craig, Start: 5.3.