Hollmann Morris im Gespräch über kritischen Journalismus in Kolumbien

»Wir zeigen die Barbarei des Krieges«

Hollmann Morris ist Kolumbiens derzeit be­kanntester investigativer Journalist. Der Direktor der Fernsehproduktionsfirma Con­travia ist mit Beiträgen über den kolumbianischen Bürgerkrieg bekannt geworden und hat internationale Menschenrechtspreise und kolumbianische Journalistenpreise erhalten. Wegen seiner kritischen Berichterstattung erhält Morris immer wie­der Morddrohungen. Die Politik der »starken Hand« des Präsidenten Álvaro Uribe Vélez richtet sich nicht nur gegen Guerillagruppen wie die Farc, sondern auch gegen Kritiker seiner rechtskonservativen Regierung. Nicht selten greift der Präsident Menschenrechtler und Journalisten persönlich an.

Sind Sie ein Komplize der Farc? So hat Sie Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe Anfang Februar bezeichnet.
Oh nein, das bin ich nicht. Leider ist es aber so, dass in Kolumbien Menschen, die sich für die Menschenrechte einsetzen und für ein anderes Kolumbien kämpfen, immer wieder als Parteigänger der Guerilla bezeichnet werden. Zur Arbeit eines Journalisten gehört es nun mal zu versuchen, dabei zu sein, wenn in einem Land, das sich im Krieg befindet, Geiseln entlassen werden. Wenn er sich von der Regierung danach als Komplize der Guerilla bezeichnen lassen muss, dann ist das ein großes Risiko für ihn und sein Team. Der Präsident hat mit seinen Äußerungen mein Leben, das meiner Familie und das meines Teams in Gefahr gebracht und damit natürlich auch die Existenz einer alternativen Informationsquelle.
Das ist nicht der erste Angriff von offizieller Seite. Sie mussten 2007 sogar das Land verlassen.
Ja, ich musste einige Monate nach Spanien gehen, damals war es besonders schlimm. Aber in den letzten zehn Jahren meines Lebens ist es immer wieder zu Drohungen gegen mich und zur Stigmatisierung meiner Person und meiner Arbeit gekommen. Mein Telefon ist mehrfach illegal abgehört worden, ich bin illegal überwacht worden. Meine älteste Tochter ist im Jahr 2000 im Ausland zur Welt gekommen, weil es in Kolumbien einfach nicht sicher genug für uns war. Ich bin kurze Zeit später wiedergekommen, um an meinem journalistischen Projekt Contravia (Ge­genfahrbahn) zu arbeiten. 2005 habe ich etwa an der Tür zu meinem Apartment einen Beerdigungskranz vorgefunden. Und seit Präsident Uribe mich Anfang Februar als Komplize der Farc bezeichnete, sind mehr als 50 Todesdrohungen gegen mich eingegangen.
Von wem kommen diese Drohungen?
Sie kamen per E-Mail und trugen keine Unterschrif­ten, aber wir sind sicher, dass sie aus dem Umfeld der Paramilitärs kommen. Die meisten tragen fiktive Namen. Wir sind sicher, dass sie von der extremen Rechten stammen. Dieser Fanatismus kennzeichnet auch das Umfeld des Präsidenten, und diesen Fanatismus entfacht der Präsident auch in der kolumbianischen Gesellschaft.
Wie ist es möglich, unter diesen Bedingungen zu arbeiten?
Das ist schwierig, aber ich begreife den Journalismus nicht als Beruf, sondern als Mission. Für mich ist es kaum möglich, den Mund zu halten, wenn ich am Tisch eines Bauern gesessen ha­be, mit ihm gegessen habe und er mir seine Ge­schich­te erzählt hat. Aus meiner Perspektive ist es wichtig für die Erinnerung, gegen die Straflosigkeit und für die Opfer einzutreten, ihnen eine Stimme zu geben, das ist Teil meiner Aufgabe.
Warum fühlen Sie sich für das Schicksal der Bauern in Kolumbien verantwortlich?
Als Bürger dieses Landes bin ich doch mitverantwortlich für das, was mit Bauern, Indigenen und Afro-Kolumbianern geschieht, die sich für ein anderes Leben entschieden haben und deren Rechte nicht respektiert werden. Wir träumen davon, ein anderes Kolumbien aufzubauen, ein gerechteres, eines, das die Menschenrechte respektiert, eines, in dem die Leute Perspektiven haben.
Präsident Uribe war Anfang des Jahres in Deutsch­land und hat darauf hingewiesen, dass es in Sachen Menschenrechte in Kolumbien Fortschritte gibt. Sehen Sie auch welche?
Uribe hat betont, dass es Fortschritte bei der Sicherheit gibt, aber was zeigen sie den Leuten außerhalb Kolumbiens – und was nicht? Es ist rich­tig, dass die Guerilla geschwächt wurde, es ist richtig, dass die Zahl der Morde abgenommen hat, es ist auch richtig, dass es weniger Angriffe auf die Zivilbevölkerung durch Anschläge wie jene der Farc mit Zylinderbomben in abgelegenen Regionen gibt. Es stimmt auch, dass es weniger Entfüh­rungen gibt und dass die Leute wieder reisen dürfen. Das ist es, was sich Präsident Uribe auf die Fahne seiner »demokratischen Sicherheit« schreibt.
In den abgelegenen Regionen macht sich die so genannte demokratische Sicherheit eher als Kriminalisierungsstrategie bemerkbar. Was man hier in Kolumbien falsos positivos nennt und womit die Ermordung von oft jungen Menschen gemeint ist, die dann als im Kampf gefallene Gue­rilleros ausgegeben werden, ist für mich die kaltblütige Ermordung von unschuldigen und un­bewaffneten Zivilisten durch die Sicherheitsorgane. Die »demokratische Sicherheit« ist aus mei­ner Sicht ein ziemliches Risiko für Bauern und für Jugendliche aus den Armenvierteln von Bogotá.
Wie steht es um das Recht auf freie Meinungsäußerung und den investigativen Journalismus?
Das Fernsehen verfolgt einen sehr offiziösen Stil. Genres wie der Dokumentarfilm, die Reportage und die Chronik sind fast ausgestorben im kolum­bianischen Fernsehen. Im Printbereich sieht es besser aus, aber auch dort folgt nach einer großen Geschichte über die falsos positivos eine Geschi­chte über die Kinder des Präsidenten. Generell ha­ben wir eine sehr regierungsnahe Berichterstattung in Kolumbien.
Was sind die größten Hindernisse für kritischen Journalismus?
Es gibt zu wenig medienpolitische Vielfalt in Kolumbien. Eine einzige landesweite Zeitung, zwei große Privatkanäle und wenig drum herum. Da ist wenig Platz für kritischen Nachwuchs, und die besten werden dann noch ermordet wie Jaime Garzón, wie Cano und wie sie alle heißen. Mehr als 130 Journalisten wurden in den letzten 30 Jahren ermordet, und kaum einer der Fälle wurde aufgeklärt. Das ist nur ein Beispiel für die weitverbreitete Straflosigkeit.
Führt das zur Selbstzensur?
Ja, ich glaube, im Fernsehen ist die Selbstzensur weit verbreitet. Journalisten, die kritisch mit dem Präsidenten umgehen, die Distanz halten, die ihn mit Nachfragen konfrontieren, die gibt es kaum mehr in Kolumbien. Die meisten Journalisten wagen nicht, kritisch zu fragen, warum Kolumbien das einzige Land in Lateinamerika ist, das sich im Irak engagiert, oder weshalb die Kinder des Präsidenten keinen Militärdienst ableisten.
Haben die Journalisten Angst, den Präsidenten zu kritisieren?
Ja, viele haben Angst. Aber dass sie Angst haben, könnte ich noch verstehen, nicht aber das unterwürfige Duckmäusertum.
Ihr Name taucht immer im Kontext besonders brisanter Themen auf.
Wir beschäftigen uns eben mit der Situation in einem Land, das sich de facto im Krieg befindet. Wir haben es mit Entführungen zu tun, mit dem Verschwinden von Menschen, mit der faktischen Übernahme des Kongresses durch Paramilitärs, mit der Übernahme vieler Gemeinden durch paramilitärische Kräfte. Wir berichten über diesen Krieg und kontern damit die Aussagen der Regierung, die behauptet, dass es in Kolumbien kei­nen Krieg gibt. Wir zeigen die Barbarei des Krieges, denn man muss die Wahrheit zeigen, um die Lüge zu bekämpfen.
Der Krieg in Kolumbien ist sehr brutal, und genau das zeigen wir, aber wir zeigen auch die Hoff­nung, die hier und da sprießt, das zarte Pflänzchen eines anderen Kolumbien. Für viele ist die Hoffnung ein großer Event mit großen Reden über den Frieden, für uns hat die Hoffnung jedoch das Gesicht der Bauernführer in Catatumbo, die Straßen und Wasserleitungen bauen. Sie hat das Gesicht der Kokabauern in Nariño, die sich für die Substitution der Kokaproduktion einsetzen, oder das Gesicht von Carmen Margarita, die in ihrem Haus in kleinen Museen die Erinnerung an die »Verschwundenen« wach hält. Das ist das hoffnungsvolle Gesicht Kolumbiens. Zudem stehen wir vor der Herausforderung, den eigenen Kontinent zu entdecken. Wir müssen uns als Lateinamerikaner entdecken, verstehen und begreifen. Das ist eine echte Herausforderung aus meiner Sicht.
Warum? Hat Lateinamerika ein Identitätsproblem?
Lateinamerika wird oft interpretiert, aus der Perspektive von London, von Miami oder anderen Städten, aber eben nicht aus Bogotá, aus Buenos Aires, Caracas oder Brasilia. Viele der Notizen, die auf dem Kontinent kursieren, werden über Mia­mi oder Buenos Aires vertrieben. Wir müssen beginnen, uns als Kontinent mit vielen Hoffnungen zu begreifen. Es ist wichtig, über Lateinamerika zu reden, zu erzählen, aber mit Respekt und Würde und nicht von oben herab.
Aus journalistischer Perspektive haben wir es in ganz Südamerika oft mit identischen Themen zu tun, mit Massakern an Indigenen, an Minderheiten, mit dem Kampf der Mapuche in Chile, dem Kampf der Zapatisten in Mexiko. Und die indigene Bevölkerung klagt ihre Rechte ein, in Kolumbien genauso wie in Bolivien, Ecuador oder Chile. Da gibt es auch gemeinsame Probleme wie den Drogenhandel, der den ganzen Kontinent prägt. Ich habe viele Gemeinsamkeiten kennen gelernt und mir gedacht, Mann, wir sprechen hier im letzten Zipfel von Chile über die gleichen Dinge wie in Cauca oder Catatumbo in Kolumbien.