»Deutschland 09«

Dumm und dümmer

Mit »Deutschland 09« kommen »13 kurze Filme zur Lage der Nation« in die Kinos. Mit dem Geld, das für dieses Projekt ausgegeben wurde, hätte man lieber die Boni deutscher Banker erhöhen sollen.

Mr. Boogie«, so heißt der Spielfilm, der den berühmten Big-Brother-Zlatko in einer Hauptrolle als Privatdetektiv oder so etwas zeigt. Leider kennt den Film niemand. Er war bereits für die Kinos angekündigt, doch dann stürzte Zlatko in Lichtgeschwindigkeit ab, wur­de vom Kultdeppen über Nacht zum Kassengift, und »Mr. Boogie« verschwand in irgendeiner Schublade. Der Film ist unter Garantie ein hunds­miserables Machwerk, ein schlechter Film. Doch jeder schlechte Film ist besser als »Deutschland 09«. Denn auch schlechte Filme, das wissen wir spätestens seit Quentin Tarantino, können Spaß machen. »Deutschland 09« dagegen macht keinen Spaß, »Deutschland 09« ist eine Sammlung von 13 Kurzfilmen deutscher Regisseure, die so penetrant daneben sind, dass man sich schon fast wieder fragt, ob das Ganze vielleicht doch nur ein Gag ist. Selbst beim Niederschreiben dieser Rezension denkt man sich noch: Die können diesen geballten Unsinn doch nicht wirklich in die Kinos bringen. Wobei gleich gesagt werden muss, und genau das kon­nte man auch in jeder bisherigen Rezension dieses Machwerks lesen, das auf der diesjährigen Berlinale seine Premiere hatte: Alles ist konsequent schrecklich, bis auf den großartigen Beitrag »Ramses« von Romuald Karmakar, der wirkt wie eine Perle in einem Kuhfladen.
Loben wir diesen Kurzfilm also schnell weg, um im Folgenden nur noch unerträglich schlechte Laune verbreiten zu dürfen. »Ramses« lässt einfach nur den Besitzer eines schmierigen Puffs in Berlin zu Wort kommen, zeigt ihn stolz auf dem Sofa, auf dem er selbst seine Mädchen flachgelegt hat, und lässt ihn von den irrsinnigsten Ausschweifungen in seinem Sex­lokal berichten. Trotzdem ist der Film auch melancholisch und subtil, er zeigt ein Stück Deutschland und einen, der diesem Land für das dankt, was er hier aufbauen durfte. Trotzdem hat der Mann nur noch einen Traum: diesen Scheißladen zu verkaufen und einmal ­seine Heimat in Persien zu sehen.
Der Rest in »Deutschland 09« ist das Grauen. Es gibt keinen Lichtblick mehr, nichts ansatzweise Vernünftiges. Nicht einer der Filme endet ohne plumpe Pointe, damit geht es schon los. Bereits jetzt als legendär dämlich gehandelt wird beispielsweise der Beitrag von Hans Steinbichler, in dem ein Industrieller vom Obersalzberg eines Tages auf die Titelseite seiner geliebten Frankfurter Allgemeinen blickt und sieht: Die Fraktur, sie ist verschwunden. Er organisiert einen Protest gegen die Aufgabe der Fraktur, lässt alle Zeitungen, derer er habhaft werden kann, aufkaufen und bläst zum Sternmarsch gen Frankfurt. So weit, so halbwegs lustig. Doch dann weiß er so wenig weiter wie der Verfasser des Drehbuchs. Darum erschießt er jeden einzelnen in der Redaktion. Bumm! Bumm! Bumm! macht es dumpf, aber man hat wirklich nicht das Gefühl, jetzt einer unerhörten Tat beizuwohnen, sondern einfach nur, einen riesigen Schmarren in Leinwandgröße zu sehen.
Ach, man weiß gar nicht, wo anfangen bei der Aufzählung all der Peinlichkeiten, die man hier über sich ergehen lassen muss. Nicolette Krebitz lässt Susan Sontag und Ulrike Meinhof wiederauferstehen und sich gemütlich über irgendwas unterhalten. Warum das denn? So was hätte auch von Jutta Ditfurth kommen können, nur bei ihr hätten die beiden womöglich noch etwas miteinander haben müssen. Tom Tykwer nennt den Protagonisten seines Porträts einens Geschäftsmanns, der so sehr in der Welt unterwegs ist, dass er kaum noch zu sich findet, ernsthaft »Feierlich«. Dieser Name, und da sind wir uns ganz sicher, will uns bestimmt auch irgendetwas sagen. Nur was bloß?
Viele Beiträge sind nur furchtbar langweiliger und prätentiöser Quatsch, die Beiträge von Dominik Graf und Christoph Hochhäusler etwa tun nicht weiter weh, über die schläft man hinweg. Nervig wird es dann aber wieder bei Dany Levy, dem irgendjemand mal gesagt ­haben muss: Du kannst doch auch lustig, du kriegst doch bestimmt auch eine gelungene Hitler-Parodie hin. Doch Dany Levy kann, zumindest nach seinem Film »Alles auf Zucker«, einfach nicht lustig, und sein Hitler-Film war ein Desaster. Und trotzdem müssen wir in ­seinem Beitrag »Joshua« eine Angela-Merkel-Parodie durchstehen und eine Reihe von sur­realen Bildern, die Originalität behaupten, aber eigentlich zu nichts führen.
An »Deutschland 09« sind ja durchaus Regisseure beteiligt, die bereits bewiesen haben, dass sie auch Filme drehen können, die man sich ansehen kann, ohne dabei ganz entsetz­liche Kopfschmerzen zu bekommen. Doch die Aufgabe, die der Initiator des Projekts, Tom Tykwer, seinen Kollegen gestellt hatte, lautete: Haltet euch kurz und seid trotzdem irgendwie politisch dabei! Dieses Korsett sitzt deutlich sicht­bar jedem einzelnen Beitrag (einfach immer die einzige Ausnahme mitdenken) eindeutig zu fest. So kriegt es auch Hans Weingartner nicht hin, den Fall Andrej Holm sinnvoll nachzustellen. Holm wurde vor zwei Jahren nach einer skandalösen Polizeiaktion festgenommen unter dem Verdacht, Mitglied der Berliner »Militanten Gruppe« zu sein. Beweise lagen nicht vor, reine Vermutungen reichten aus, den Universitätsdozenten monatelang auszuspitzeln und schließ­lich verhaften zu lassen. Ein Skandal und durchaus auch Stoff fürs Kino. Aber was macht Weingartner daraus? Er zeigt Holm in seinem pittoresken Kiezidyll, die Unschuld schlechthin, der beste Mensch der Welt. Und genau der wird plötzlich konfrontiert mit einer brachialen Staats­gewalt, dass man annehmen sollte, wir würden jetzt in einer Militärdiktatur leben. Hätte man den Holzhammer nicht einfach auch mal stecken lassen können?
Wenn man es genau bedenkt, lässt sich feststellen, dass »Deutschland 09« auch großartig ist. Diese »Deutschland-Rolle« behauptet ja, Nabelschau und Spiegel der Nation gleichzeitig zu sein. Nachdenken über Deutschland, um so etwas soll es gehen, und in der Krise denkt ja jeder ganz gerne über Deutschland nach. Man wird also trotz all der Warnungen, die bereits ausgesprochen wurden, fleißig in die Kinos rennen. Und es wird ein Stöhnen und Wehklagen einsetzen. Spätestens nach dem fünften Beitrag ist man schließlich ermattet und bettelt um Gnade. Doch es geht immer weiter, »Deutschland 09« erscheint einem immer schreck­licher, und irgendwann erfüllt der Film ja vielleicht doch noch seinen Zweck, und man denkt sich: Ein Land, das solche Filme hervorbringt, das muss einfach gerade vor die Hunde gehen. Und schon steigen alle dagegen auf die Barrikaden. Oder es ergeht Deutschland bis zum geplanten Filmstart wie einst Zlatko, dann ist das Land zu diesem Zeitpunkt bereits am Ende, und es gibt keinen Grund mehr, einen Film in die Kinos zu bringen, der bloß davor warnt, dass es mit diesem Land zu Ende gehen könnte.
Aber noch einmal kurz zurück zum Inhalt. Habe ich eigentlich schon den absoluten Tiefpunkt erwähnt, Wolfgang Beckers »Krankes Haus«? »Hochbetrieb in der Deutschlandklinik«, darum geht’s, so schreibt das Presseheft und fragt: Kommt es zur »Amputation der Lohnnebenhöhlen oder hilft schon etwas Subventionsadrenalin?« So wie sich das liest, genau so ist auch der Film. Bei »Deutschland 09« jedenfalls hilft gar nichts mehr.