Eine Winterreise durch Minnesota

Durchs Land des Dreizehnstreifenziesels

Es herrschen 38 Grad minus, die Sandwiches aus dem Supermarkt sind ungenießbar. Andererseits lernt man Heulen wie ein Wolf und bekommt von Michelle Pfeiffer die Hand geschüttelt, und auf der Fensterbank wartet ein lila Lackbär. Notizen vom Rücksitz bei einer Winterreise durch Minnesota.

Der Dreizehnstreifenziesel, eine Unterart der Erdhörnchen (lat. Spermophilus), hat eine erstaunliche Verteidigungstechnik entwickelt. Wird er von seinem Hauptfeind, der Klapperschlange, angegriffen, wedelt er mit hoher Geschwindigkeit mit seinem buschigen Schwanz. Im Gesichtsfeld der Schlange, das ähnlich wie eine Infrarotkamera funktioniert, entsteht dadurch ein bedrohlich groß wirkender roter Fleck. In vielen Fällen zieht sich die Schlange zurück.
Der amerikanische Name für den Dreizehnstreifenziesel ist »Gopher«. Für ein Erdhörnchen kann der Gopher auf eine erstaunliche Karriere in seinem Hauptverbreitungsgebiet, dem nördlichen Mittelwesten der USA, verweisen. Er ist das Wappentier der University of Minneapolis. Und er gab dem Staat Minnesota seinen Spitznamen. 5,1 Millionen Einwohner, davon 3,1 im Großraum der »Twin Cities« Minneapolis und St. Paul. 32. Staat der USA. The Gopher State.

»Guck mal!« Thomas Linkel hält uns einen lila­farbenen Lackbären entgegen, der auf der Fensterbank wartete. Kollegin Susann Sitzler und ich lassen das Spielzeug-Kaleidoskop sinken, durch das wir gerade abwechselnd schauen. Styling und Verspieltheit werden sehr ernst genommen im Designhotel »W« in der Innenstadt von Minneapolis. Dafür gibt es allerdings keine Kaffeemaschine auf dem Zimmer, wie sonst in den USA üblich, und das vom Zimmerservice gebrachte Kännchen kostet 12 Dollar. Plus Steuern.
Ein Blick aus dem Zimmer lässt die Weite der Landschaft erahnen. Wälder, verschneite Ebenen, so weit das Auge an diesem Januarnachmittag reicht. Eine Männerstimme aus dem Radio erzählt etwas von Blizzards, die über Kanada toben und einen »Luftkeil« vom Nordpol über die US-Grenze ziehen werden, von »Kältefrei« an Schulen und ausfallenden Gottesdiensten. Müssen wir uns etwa sorgen? Immerhin wollen wir morgen aufbrechen nach Ely, einen Ort an der kanadischen Grenze. Und danach den Norden des Staates erkunden. Uns eine Woche lang die Straßen entlang treiben lassen, bis an die Grenze zu North Dakota.

St. Louis Park, eine kleine Siedlung am Rande von Minneapolis. Alle Geschäfte drängen sich um eine Kreuzung. Ein Supermarkt, ein Friseur, ein Eisenwarenhändler. Den kleinen Laden, in dem die Gebrüder Coen nennenswerte Teile ihrer Jugend verbracht haben sollen, finden wir nicht. Vermutlich ist er geschlossen. Die Coen-Brüder, die aus Minnesota stammenden weltberühmten Regisseure, sind hier in der Nachbarschaft geboren. Auf mehreren Quadratkilometern stehen Einfamilienhäuschen nebeneinander, die alle so aussehen, als würden gleich Al Bundy oder Marge Simpson auf der Veranda erscheinen. Nur dass nicht vor jedem dritten Haus »For Sale!« steht. Und nicht an jeder Kreuzung ein Schild mit der Aufschrift »Neighborhood watch area« droht. Vielleicht kommt gleich auch Freddy Krueger (»Nightmare on Elm Street«) aus der Tür.
Von hier aus erscheint die Skyline der Twin Cities so weit entfernt wie der Mond. Man kann jeden Jugendlichen verstehen, der notfalls mit Drogen dealt oder jemanden ermordet, um nur hier wegzukommen. Man kann aber auch jeden Familienvater verstehen, der eine Politik hasst, die ihm diesen kleinen Vorstadttraum zerstört hat. St. Louis Park ist eine typische Vorstadt in den USA. So seltsam wie die Filme der Coens.

Ingredients: Corn syrup solids, partially hydrogenated soybean oil, contains 2 % or less of the following: sodium caseinate (a milk derivate), dipotassium phosphate, mono and diglycerides, Titanium Dioxide, Silicone Dioxide (anti-caking agent), Artificial Flavor, and Artificial Color (Annatto).
Contains Milk, May contain: Soy.
CPR Holding Inc. Orlando, Fl.
(Aufschrift auf einem Tütchen Kaffeeweißer, das zum »Fitness Breakfast« gereicht wird, im Hotel »W«, Minneapolis)

Das Radio hatte Recht. Kaum sitzen wir am nächsten Tag im Auto, rauscht der »Luftkeil« heran. Unsere Reise nach Nordwesten Richtung Ely dauert anderthalb Tage. Thomas sitzt am Steuer, Susann mit den Straßenkarten neben ihm. Ich lungere auf dem Rücksitz, döse von Zeit zu Zeit ein und führe ansonsten das Logbuch. Es ist unsere dritte Reise durch die USA in dieser Konstellation, die sich bewährt hat. Daran, dass die anderen mich permanent als »Backseat Boy« veralbern, habe ich mich gewöhnt. Die Sache mit dem Dösen gestaltet sich allerdings schwierig. Von Stunde zu Stunde wird es draußen kälter. Durch meinen Atem bildet sich auf dem Fenster neben mir eine feste Eisplatte. Obwohl die Heizung bis zum Anschlag aufgedreht ist. Wann habe ich eigentlich zum letzten Mal meine Zehen gespürt? Wir erreichen unser Ziel an einem sonnigen Nachmittag. Das Thermometer zeigt mittlerweile unter minus dreißig Grad Celsius an, Tendenz weiter fallend.

»Lasst uns ein bisschen zusammen heulen«, schlägt Jesse vor. Wir treffen sie im Wolf Center am Rande von Ely. In diesem modernen Gebäude wird über Wölfe geforscht und informiert. Etwa 4 000 der Tiere soll es im Nordosten von Minnesota geben. Das Wolf Center verfügt sogar über ein eigenes Rudel. Sechs Wölfe werden auf einem eingezäunten Stück Wald gehalten. Das Areal endet an einer Plexiglasscheibe. Davor stehen wir. Manchmal schlurft ein Wolf heran. Wenn die Scheibe nicht wäre, könnte man ihn streicheln. Wenn die Scheibe nicht wäre, wäre man wahrscheinlich zehn Sekunden später tot.
Jesse hat mittlerweile ein Laptop aufgeklappt und spielt uns einige Aufnahmen von Wolfsgeheul vor. Die 26jährige kommt aus Michigan und war Lehrerin für Naturwissenschaften in New York und Chicago, bis sie ihr Herz an Ely und die Wölfe verlor.
»Dieses Geheul ist das wichtigste im Wald. Es bedeutet einfach ›Wir sind hier‹. Oder, wenn es etwas aggressiver klingt, ›Wir haben Beute, lasst uns in Ruhe‹«, erklärt Jesse. Dann fängt sie selbst an zu heulen, kehlig, viel lauter, als man es ihrer zarten Gestalt zutrauen würde. Wir räuspern uns und versuchen, in das Geheul einzufallen. Immerhin gelingt es Thomas und Susann, fast so laut zu jaulen wie Jesse, während ich klinge wie ein frisch geborener Welpe, der kläglich winselt. Trotzdem scheint Jesse nach ein paar Versuchen zufrieden zu sein. »Gut, dann lasst uns in den Wald fahren.«
Draußen wird es gerade dunkel. Nach einigen Meilen hält Jesse an und schaltet den Motor ab. Mit einer Kopfbewegung bedeutet sie uns auszusteigen. Nur noch unser Atem und das Knirschen unserer Schritte sind zu hören, als wir ein paar Meter in den Wald gehen. Dann beginnt Jesse zu heulen. Wir fallen ein. Sogar ich klinge mittler­weile immerhin wie ein satter Welpe. Doch wir bekommen keine Antwort. Jesse schüttelt den Kopf. Wir fahren weiter und versuchen es an einer anderen Stelle. Wieder nichts. Zunächst.
Denn dann hören wir von weit entfernt Heulen. Aus vier, vielleicht sechs Kehlen. Versucht tatsächlich ein Rudel, mit uns Kontakt aufzunehmen? Ist das der Ruf der Wildnis? Jesse lauscht kurz und beginnt zu lachen. »Das sind keine Wölfe. Das sind auch Menschen.«

Die Beißkräfte der Wölfe im Norden der USA sind bemerkenswert. Weil die Tiere stark ausgeprägte Muskeln sowie tief in den Kiefer versenkte Zähne besitzen, können sie doppelt so stark zubeißen wie ein Schäferhund und fünf Mal so stark wie ein Mensch. Damit sind sie in der Lage, selbst die Schenkel von Elchen zu zerteilen.
Ein Wolfsrudel frisst ein erlegtes Beutetier nahezu vollständig. Im Winter werden sogar das Geweih, das Fell und die Hufe des erlegten Rotwilds verzehrt. Nur ein einziger Körperteil der Beute bleibt mit Sicherheit zurück: der Magen. Der ist voller Gras und Blätter, die Wölfe nicht verdauen können.

»Ist das ein Holzbein, Sir?« fragt Roger Skraba. In der Lobby der Ely Lodge hilft er mir in ein paar wattierte Hosen. Da ich sehr aufgeregt bin, weil ich gleich zum ersten Mal auf ein Schneemobil steigen soll, gebärdet sich mein rechtes Bein noch verkrampfter, als es durch meine Nervenkrankheit ohnehin ist. Auch Skraba ist nervös. Der Schneemobil-Verleiher ist gleichzeitig Bürgermeister von Ely. Gleich soll das Baseball-Team der »Minnesota Twins« mit dem Mann­schaftsbus anreisen. Einmal im Jahr fährt das Major-League-Team durch den ganzen Staat, um sich von den Fans feiern zu lassen. In der »Grand Ely Lodge« sammeln sich schon die ersten Fans und schauen erwartungsfroh auf den Parkplatz. Skraba sollte also lieber seine Begrüßungsrede noch einmal durchgehen, statt einem Journalisten in die Hose zu helfen. Mit einem brachialen Ruck reißt er sie schließlich bis auf Gürtelhöhe. »Naja, besser als wenn das mittlere Bein kaputt ist!«
Ein paar graue Schemen rasen an mir vorbei. Die nächste Kurve schaffe ich eher durch Zufall als durch Können, und das Schneemobil mit unserer Führerin Nancy kann ich schon lange nicht mehr sehen. Nicht optimal, wenn man mit 65 Kilometern pro Stunde durch einen verschneiten Wald fährt. Um wieder sehen zu können, muss ich mein vereistes Visier hochklappen. Der Fahrtwind schneidet in mein Gesicht. Minus 38 Grad Celsius zeigte das Thermometer, als wir aufstiegen. Über den »Windchill-Effekt« denke ich lieber nicht nach.
Auf dem Schneemobil vor mir hebt Nancy die Hand. Nancy ist 54 Jahre alt und lebt von Geburt an in Ely. Heute war die kleine, dralle Frau unsere Rettung. Roger Skraba selbst wollte uns nicht auf die Schneemobiltour mitnehmen, weil ab minus zwanzig Grad Celsius bei Unfällen keine Versicherung mehr zahlt. Aber er empfahl uns Nancy: »Die ist sowieso bei jedem Wetter unterwegs!«
Nun führt Nancy uns aus dem Wald und über einen zugefrorenen See zurück zur Lodge. Als sie ihren beheizbaren Helm absetzt und mein völlig vereistes Visier sieht, lacht sie schallend. »Ihr seid ja noch wahnsinniger als ich! Hättet ihr nicht angerufen, wäre ich heute zuhause geblieben!« Mein Antwortgrinsen wird sehr schief, weil mein Gesicht von der Kälte taub ist.
Erst beim Verabschieden sagt sie uns, dass sie nebenbei als Lokaljournalistin für das regionale Blatt Ely Echo arbeitet.

Wir haben vergessen, CDs ins Gepäck zu stecken. So wird die mangelnde Versorgung mit guter Musik zum ernsten Problem. Wenn man in den menschenleeren Weiten an der kanadischen Grenze überhaupt Radiosender findet, dann spielen sie entweder »Classic Rock« oder »New Country«. Respektive Classic Country oder New Rock. Eine Zeit lang kann das sogar Spaß machen. Wenn alle zusammen mitgrölen: »Paradise City«. »Stand by your man«. »No sleep til Brooklyn«. Wenn man Susann dazu befragt, welche Frau wohl so dämlich ist, ausgerechnet dem Scorpions-Sänger Klaus Meine die Aussage »Here I am / Rock you like a hurricane« abzunehmen. Und sie die Gelegenheit nutzt, Grundsätzliches zu sagen: »Es kommt nicht auf die Größe an, sondern auf die Technik, sagt man ja immer. Aber Größe kann Technik ersetzen. Glaubt mir.«
Doch auf Dauer ist es nicht auszuhalten. »Noch ein Gitarrensolo, und ich schlage um mich«, sagt Thomas etwa 100 Meilen hinter Ely. Zeit, das Radio auszuschalten.

Wie überall in den USA wird auch im Gopher State auf jedem Ortsschild die Einwohnerzahl verzeichnet. So wissen wir, dass in Elfie 93 Menschen wohnen. Die Town Hall von Elfie liegt ein Stück von der einzigen Kreuzung des Ortes entfernt und ist von knietiefem Schnee umgeben. Thomas stapft mit großen Schritten um sie herum. »Vier mal fünf Meter ungefähr«, ruft er uns zu. »Wenn alle kommen, wird es ziemlich eng.« Allerdings dürfte die Anfahrt bei diesem Wetter für einige Anwohner ohnehin etwas schwierig sein. Am Straßenrand vor der Town Hall mahnt ein Schild, auf entgegenkommende Kutschen zu achten. Und auf den Feldern hinter der Kreuzung stehen einige Scheunenkonstruktionen, wie man sie aus Peter Weirs Film »Der einzige Zeuge« kennt. Anscheinend durchqueren wir gerade ein Siedlungsgebiet der Amish People.

Susann studiert hektisch die Straßenkarte. Thomas blickt immer wieder verkrampft auf die Tanknadel, die im roten Bereich zittert. Seit über zwanzig Meilen haben wir keine menschliche Behausung mehr gesehen, und draußen beginnt es rasch dunkel zu werden. Dass man in einem Auto sitzt, bietet nur eine trügerische Sicherheit. Sobald der Tank leer ist, fällt auch die Heizung aus, und dann ist man diesen mörderischen Temperaturen ausgesetzt. Gerade als sich diese Überlegung in meinem Bauch zu einem drückenden Klumpen formt, seufzt ­Susann erleichtert auf. »An der nächsten Kreuzung rechts. In 15 Meilen kommt das Red-Lake-Reservat. Da gibt es ein Casino.«
Casinos sind zuverlässige Orte in Gegenden wie diesen. Wenn der weiße Mann den Indianern Reservate zugewiesen, ihnen alles genommen und überdies noch ihren sozialen Zusammenhalt zerstört hat, dann bekommen sie dafür das Recht zugestanden, ein Casino zu eröffnen und rund um die Uhr Alkohol auszuschenken. Im Grunde sind die Casinos die Glasperlen unserer Zeit. Am besten für uns ist: Wo Casinos sind, gibt es immer billige Zimmer. Schließlich sollen die Leute bleiben, aber genug Geld zum Spielen in der Tasche behalten.
Das Casino in Red Lake ist ein Blechcontainer, in dem vielleicht 100 Spielautomaten stehen. An drei von ihnen wird gespielt. Am Eingang hängt ein Zettel, auf dem nach einer vermissten Frau gesucht wird. »A Hotel? In Red Lake?« Die circa zweieinhalb Zentner schwere Indianerin, die an der Tür Wache steht, lacht freudlos.
Immerhin ist eine Tankstelle neben dem Casino. Und ein Supermarkt, in dem es aussieht wie in Bratislava 1982. In den nur halb gefüllten Regalen befindet sich ausschließlich No-Name-Ware. An Markenware gibt es nur Schokoriegel. Auch hier hängt ein Zettel am Eingang. Er bietet der ortsansässigen Jugend Übungsstunden bei einer ehemaligen Profi-Wrestlerin an. Nach einer halben Stunde in Red Lake geben wir wieder Gas und hoffen, dass wir nie mehr zurückkehren werden. Nach zwei Meilen werfe ich den Rest des hausgemachten Truthahn-Sandwiches aus dem Fenster. Meine Mitreisenden hatten sich heftig über den Geruch beschwert.

»We were out in the subzero temperatures for about two hours. Everyone survived the cold, and I surmised Thomas didn’t breathe the entire time we were out snowmobiling, as his shield was as clear of frost as my heated shield.
All in all, a nice snowmobile experience was provided to our international visitors, and my husband Doug and I were happy to accomodate them. We’re just glad we didn’t have to be out any longer.«
(»31 degrees Fahrenheit below zero and 13 Corners«, Ely Echo, 15.1.2009)

»When I was young, my grandfather told me … « Kelly Pickler unterbricht ihre spontane Zwischenmoderation. Links vor ihr hält ein Fan einen roten Stöckelschuh in Richtung Bühne. Sie kniet sich hin und signiert ihn. »Okay«, sagt sie dann den zweieinhalbtausend Leuten vor sich. » … When I was young, my grandfather … « Es klingt fast so spontan wie eben. Leider hält ihr schon wieder jemand einen roten Schuh hin. Und dann noch jemand. So braucht es insgesamt vier Versuche, bis Miss Pickler wieder zu singen beginnt.
Wir sind schon wieder in einem Reservat. Das Casino hier heißt Shotgun-Casino und verströmt mit seinen Neonreklamen, seinen 300 Hotelzimmern und über 1 000 blinkenden und klingelnden Automaten durchaus den Charme eines der billigen Häuser in Las Vegas. Kelly Pickler, die hier heute Abend den Hauptsaal füllt, war mal die Sechste bei »American Idol – Country Edition«. Ihr Single-Hit hieß »Red Highheels«, deswegen halten ihr ihre Fans Schuhe zum Signieren hin. Die schmale, blonde 25jährige hat vom Tourstress Falten im Gesicht, die man noch in der zehnten Reihe sieht. »One, two, three, four«, zählt sie für ihre Band an. Und sieht dabei aus wie jemand, die ihre 15 Minuten Ruhm mit aller Kraft noch etwas verlängern will.

Michelle Pfeiffer schenkt mir Kaffee ein. Diese Michelle Pfeiffer ist PR-Beauftragte der »Grand View Lodge«, in der Nähe von Brainerd. Die beste Unterkunft, die Nordminnesota zu bieten hat. Die »Hütte«, die uns Michelle zur Verfügung stellt, hat drei Zimmer und ist größer als viele Einfamilienhäuser, die wir in den letzten Tagen gesehen haben. Nur werden mitten im Winter kaum Attraktionen geboten. »Schade, dass ihr nicht letzte Woche hier wart«, bedauert Michelle. »Da fand auf dem See hinter dem Haupthaus unser alljährliches Wettangeln statt. Mit 15 000 Teilnehmern. Für jeden wird ein Loch ins Eis gebohrt. Wenn alle auf der Fläche sind, biegt sich das Eis nach unten, und das Wasser kommt durch die Löcher nach oben. Anfänger haben immer ein bisschen Angst.«
Dann lächelt sie bedauernd. Während ich mir dauernd vorstelle, wie genau diese Situation in einem Hollywood-Actionfilm entgleisen würde, lädt sie uns für den Abend zum Steakessen auf Kosten des Hauses ein. Das erscheint uns wesent­lich sicherer.

Auf dem Rückweg nach Minneapolis kehren wir für eine Nacht nach Ely zurück. Als es dunkel wird, fährt ein Van am Eingang der Lodge vor. Am Steuer sitzt ein fröhlicher Mittzwanziger mit dünnem Bart. Er heißt Matthew Schmitt und ist Jäger, Angler und scheinbar gegen jede Art von Kälte immun – nicht einmal Handschuhe trägt er bei 38 Grad unter Null. Nach kurzer Fahrt erreichen wir den Lake Vermilion.
Die ganze Eisdecke auf dem See ist übersät mit kleinen Holzhütten, in denen die Eis­fischer ihrem Hobby nachgehen. Es sieht malerisch aus. Schön. Und lebensfeindlich. Mittlerweile kann man vor lauter Atemwolken kaum noch die Gesichter der anderen erkennen. Die Fische, die Matthew heute morgen gefangen hat, liegen noch neben der Hütte. So hart gefroren, dass man mühelos jemanden damit erschlagen könnte.
Matthew öffnet seine Hütte. Vier Löcher sind in das einen Meter dicke Eis gebohrt, vor jedem steht ein Campingstuhl. In der Ecke steht ein Elektroheizgerät, das er anschaltet. Von der Decke hängen zwei Angelschnüre. Matthew hängt Köder an die Haken und lässt sie in die Löcher gleiten.
»Achtung, jetzt wird es kompliziert!« sagt er und grinst. »Wenn was anbeißt, einfach mit der Hand die Schnur blockieren und den Fisch rausziehen.« Dann geht er mit Thomas hinaus und lässt Susann und mich in der Hütte sitzen.
Gut. Passen wir eben auf. Das Heizgerät lässt unsere Atemwolken allmählich verschwinden. Richtig gemütlich wird es hier.
»Hey! Nicht schlafen!« Matthew klopft mir auf die Schulter. Ich zucke zusammen. Auch Susann öffnet verschreckt die Augen. Das Thermometer in der Ecke zeigt acht Grad plus. So eine Hitze sind wir einfach nicht mehr gewöhnt.