Die Kundgebungen der Nazis am 1. Mai

Keine Arbeit für Ninjas

Norden oder Süden, Westen oder Osten, Provinz oder Großstadt – die Auswahl an Kundgebungen ist für Nazis am 1. Mai groß.

Ein Video warnt vor dem Untergang Deutschlands: Mit Totenköpfen versehene 200-Euro-Scheine (»volksfeindliche Globalisierungspolitik«), eine Szene vom Handel an der Börse (»asozialer Raubbau am eigenen Volk«) und eine Kopftuch tragende Frau (»verantwortungslose Überfremdungspolitik«) sollen die vermeintlichen Schrecken der globalisierten Welt vor Augen führen. So rufen »nationale Sozialisten aus Norddeutschland« auf der Internetseite »arbeiterkampftag.info« zu einer Demonstration in Hannover auf. Dort soll am 1. Mai unter dem Motto »Schluss mit Verarmung, Überfremdung und Meinungsdiktatur – Nationaler Sozialismus jetzt!« die Großdemonstration der Kameradschaften stattfinden.
Die Veranstalter erwarten 1 500 Teilnehmer, sie haben sich den zum Mythos stilisierten 1. Mai 2008 zum Vorbild genommen: Damals griffen in Hamburg »Autonome Nationalisten« Polizisten und Gegendemonstranten an. An dem »nationalrevolutionären Antikapitalismus« der »Autonomen Nationalisten« orientiert sich offensichtlich das Motto des diesjährigen Aufmarsches. Die Wirtschaftskrise dient als Anlass dazu, über »internationale Finanzmächte«, »globale Knebelabkommen« und das »volksfeindliche System« zu klagen. Einzig ein »nationaler Sozialismus« könne dem etwas entgegensetzen.

Doch die befürchteten Krawalle, die Vorstrafen des Anmelders Dennis Bührig und die Parole »Nationaler Sozialismus jetzt!« gaben den Behörden Anlass für das Verbot der Demonstration. Die Veranstalter wechselten Bührig kurzerhand aus und wollen nun zur Not bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Zur Unterstützung des »Rechtskampfes« können Kameraden ein »Soli-T-Hemd« mit dem Aufdruck »Arbeit, Freiheit, Brot« erwerben. Im Nazi-Forum »Thiazi« regen sich Benutzer darüber auf, dass »10 000 Kanaken demonstrieren« dürften, während »nationale Bürger (…) sämtliche Institutionen durchlaufen« müssten; sie wollen im Falle eines weiterhin bestehenden Verbots »eben eine andere Stadt ansteuern«. Der Benutzer »Mel Gibson« hält dagegen den Aufruf für »unsensibel geschrieben« und die Selbstbezeichnung der Veranstalter als »nationale Sozialisten« für »taktisch sehr unklug«.
Das Motto der Jungen Nationaldemokraten (JN) für die Demonstration in Ulm dürfte die Behörden dagegen eher verwirren als beunruhigen, es heißt: »Aufruhr im Paradies – die Jugend stellt sich quer!« Die Veranstalter bedienen sich jedoch ebenfalls des völkischen Antikapitalismus. In einem Video, das mit klassischer Musik und weich­gezeichneten Bildern von schlecht besuchten JN-Aufmärschen besticht, erfährt man, was Nazis bedrückt: Sie sind arbeits- und perspektivlos und haben Angst vor der Umweltzerstörung, der »Völkervernichtung« und der Zukunft im Allgemeinen. Dass diese Probleme »harte Realität« seien, aber »totgeredet« würden, sei die Schuld derer, »die durch internationale Machtstrukturen und globale Wirtschaftskreisläufe Druck auf die nationalen Regierungen ausüben«. Im Aufruf fordern die JN aber lieber ein »Wirtschaftssystem, das dem Volke dient«, statt den »nationalen Sozialismus«. Die abgemilderte Rhetorik zeigt Wirkung: Das zunächst für die Demonstration verhängte Verbot wurde vom Verwaltungsgericht Sigmaringen wieder ausgesetzt.

Nazis, die nicht wissen, wo Ulm überhaupt liegt, können auch eine der kleineren Veranstaltungen besuchen. Die Veranstalter einer Demonstration in Dresden wollen »Finanzheuschrecken bekämpfen« und die »heimische Wirtschaft und Arbeitsplätze schützen«. Im provinziellen Weiden will sich das »Freie Netz Süd« auf einer Kundgebung unter dem Motto »Gegen Massenarbeitslosigkeit! – Kapitalismus zerschlagen!« des Leids der Deutschen annehmen. In Berlin-Köpenick lädt die NPD zunächst zu einer Kundgebung unter dem Motto »Kampf und Arbeit unentwegt«. Danach will sie vor der in dem Stadtteil gelegenen Parteizentrale ein Straßenfest veranstalten. Insbesondere ältere Nazis und Familien können hier Bier trinken, ein bisschen schunkeln und den Ausführungen des wegen Volksverhetzung vorbestraften »Umerziehungskritikers« Udo Walendy lauschen.
Alle Kameraden, denen Bratwurst und Liedermacher zu bieder und die Methoden der »Autonomen Nationalisten« zu undeutsch sind, können unter Umständen in Neubrandenburg ihr Glück versuchen. Sie werden unter dem Motto »Heraus auf die Straße zum Tag der deutschen Arbeit« da­zu aufgefordert, »in Arbeitskleidung aller Berufe und Zünfte zu erscheinen«. Vermummte Teilnehmer (»Ninja ist kein Beruf des europäischen Kulturkreises«) sind ebenso unerwünscht wie englische Parolen (»ausschließlich Transparente in deutscher Sprache«). Ebenso wie in allen anderen Aufrufen der Nazis ist vom Gegensatz zwischen dem verhassten, abstrakten Finanzkapital und der »nationalen« Arbeit die Rede. So habe der Liberalismus »das Wesen der Arbeit verfälscht« und »das Bewusstsein unseres Volkes für die Arbeit stark vergiftet«. In Wirklichkeit aber sei die Arbeit »nicht Fluch, sondern Segen«. Trotz dieses Bekenntnisses zu Fleiß und Tüchtigkeit wurde die Demonstration zunächst ver­boten. Das Verwaltungsgericht Greifswald hat das Verbot jedoch Anfang der Woche wieder aufgehoben.

Im »Thiazi«-Forum sind die Benutzer angesichts der Vielfalt der Angebote verärgert und fragen sich, warum man nicht »geschlossen nach Hannover« fahre, »um mal eine anständige Teilnehmerzahl bei wenigstens einer Demo zu erreichen«. Der Unmut trifft vor allem die NPD: »Schweine«, findet ein User, ein anderer sieht die »Bestätigung dafür, dass das System seine Fäden in der Partei hat und diese so geschickt ausspielt, dass die Teilnehmerzahlen nicht auf bedrohliche Größe steigen«.
Es gibt zwar vereinzelte Vermittlungsversuche: »Trotzdem verfolgen wir alle das gleiche Ziel.« Doch der Konflikt zwischen den »Freien Kräften« und NPD-Anhängern lässt sich nicht verbergen. »Germanenruf« schreibt, die »Anzugträger« seien »eh nichts« ohne die »freien Nationalisten«. »Wolfsrudel« hält dagegen die »Autonomen Nationalisten« für »erlebnisorientierte Krawallkids«. Er fragt: »Kopiert ihr Möchtegern-Autonomen jetzt alles von dem linken Pack?« Mit seinem Vorschlag, »Autonome Nationalisten« sollten doch einfach am 1. Mai nach Berlin-Kreuzberg fahren (»vielleicht bekommt ihr von den Zecken dann ja mal gezeigt, wie autonom ihr seid«), liefert er den mit Abstand besten Veranstaltungstipp.