Sollen Linke das Europa-Parlament wählen? Nichts entscheiden!

Don’t!

Bei der Europa-Wahl geht es um die nächsten fünf Jahre Politik für Deutschland made in Brussels – und darum, diese zu legitimieren.

Bei anderen Wahlen sollen Stadt, Land und Staat vorangebracht werden, bei der Europawahl nicht einfach Europa, sondern Deutschland in und mit der EU. Und das heißt in Zeiten der Staatenkonkurrenz auch immer: gegen alle anderen EU-Staaten. Und mit denselben gegen den Rest der Welt. Die Parteienkonkurrenz um die besten Vorschläge für das nationale Wohl spielt auch in der Europa-Politik die entscheidende Rolle: Erreichen will das die CDU mit Fairness für deutsche Firmen in Europa, die FDP sagt zu demselben Zweck dem »Kindermädchenstaat« den Kampf an, die SPD macht’s auf jeden Fall nicht so wie die anderen, (also ohne »heiße Luft« und »Finanzhaie«) und die Grünen wollen Deutschland in Europa mit »Wums« (»Wirtschaft und Umwelt, menschlich und sozial«) nach einem ganz eigenen Rezept voranbringen.
Die Parteien zerbrechen sich den Kopf über eine etwas nettere Ausgestaltung der ökonomischen Zwänge oder wahlweise der unaufwändigeren Verwaltung des entstandenen Elends – mit dem oder gegen den neuen EU-Vertrag von Lissabon. Die grundsätzliche kapitalistische Härte dieser Konkurrenzgesellschaft soll aber nicht angetastet werden. Darin sind sich alle einig. Mit seinem Kreuz auf dem Wahlzettel bestätigt man diese Alternativlosigkeit. Und legitimiert damit die Herrschaft, die diese Verhältnisse organisiert. Deshalb gibt es für jene Kritikerinnen, denen es ums Ganze geht, auch bei dieser Wahl nichts zu entscheiden.

Eine schlecht abstrakte Kritik? Linksradikale geben doch gar nicht allzu bürgerlichen Parteien ihre Stimme. Aber sollte man als Linke nicht Linke stärken – auf der Straße wie im Parlament? Mal angenommen, es gäbe eine Partei, die tatsächlich passable Forderungen stellte (Abschaffung von Armeen und Knästen, Grundsicherung in einer vernünftigen vierstelligen Größenordnung, Grenzen auf für alle und mehr Forderungen in dieser Liga – wenn also bei der Umsetzung dieser Forderungen nicht viel von diesen Verhältnissen übrig bliebe), kurz, eine Partei, die sich redlich bemühte, nichts zur Legitimationsfunktion von Wahlen beizutragen – sollte man die nicht unterstützen?
Neu wäre das nicht. Mit solchen und ähnlichen Forderungen sind Parteien schon angetreten und manche Kandidatinnen sogar gewählt worden. Die allermeisten mussten nicht mal verboten bzw. ausgeschlossen werden, so schnell hatten sie sich den Sachzwängen unterworfen, statt sie zu bekämpfen. Sachzwänge, die erst dann Zwänge sind, wenn man sich die Sache der Nation zu eigen macht. Denn auch dafür sorgt das Parlament in den allermeisten Fällen: Noch so gute Vorsätze und – leider auch: richtige – Erkenntnisse schützen selten vor dem Abstieg in die Realpolitik. Realpolitik findet aber statt unter Bedingungen, die es zu kritisieren gälte.
Auch wenn das keine Garantie für Vernunft ist, sollte ein Mindeststandard an grundsätzlicher Opposition schon drin sein: zur prinzipiellen Armutsproduktion, zu Krieg als permanenter Möglichkeit und zum Nationalen als blutigstem Zwangskollektiv in Deutschland und der EU. Also eine halbwegs vernünftige Kritik an Kapital und Nation.

Wählt man nicht, statt links, sorgt man für ein schlechteres Ergebnis für die Linke. Mal ganz abgesehen von dem marginalen Einfluss einer Handvoll linksradikaler Nicht-Wähler auf die Sitzverteilung: Sollte dies schon ein Argument sein, dann hat man fast alle Inhalte ad acta gelegt und plädiert dafür, immer die aussichtsreichste linke Liste zu wählen. Egal, was die vorhat. Aktuell wirbt sie bürgerlich-feministisch für »gleichen Lohn für Frauen« (lies: gleichen Lohn für gleiche Ausbeutung) – statt das Ende der Ausbeutung zu fordern, unabhängig vom Geschlecht. Sie will die Krise ganz immanent lösen und erwartet nebenbei, dass jeder dazu beiträgt (»Vorfahrt für Kaufkraft und Beschäftigung«) – statt zu kritisieren, dass ohne Leistung hier nichts zu holen ist. Sie macht die Krise furchtbar kritisch an schlechten Managern fest, die sie für ihre Fehler zahlen lassen will (»Millionäre zur Kasse«) – statt am Kapital überhaupt. Und schließlich will sie noch ein bisschen Frieden (»Raus aus Afghanistan«). Die Forderungen dieser Linken sind Argument genug gegen das Wählen.

Die Autorin war von 1999 bis 2004 Abgeordnete des Europa-Parlaments. Zunächst für die Grünen, nach ihrem Parteiaustritt 2001 als Parteilose.