Iranische Fußball-Nationalspieler unterstützen den Protest in ihrem Land

Der Kapitän geht von Bord

Mehdi Mahdavikia hat seinen Rücktritt als iranischer Fußball-Nationalspieler erklärt und in einem Abschiedsbrief seine Loyalität gegenüber dem Mullah-Regime aufgekündigt.

Jetzt reiche es, muss sich Mehdi Mahdavikia gedacht haben, als er sich kürzlich zwischen zwei Trainingseinheiten seiner Eintracht aus Frankfurt ins Mannschaftshotel zurückzog und mit der Hand einen dreiseitigen Brief an »die Bevölkerung im Iran und in der ganzen Welt« schrieb. Darin erklärte der Kapitän der iranischen Fußballauswahl seinen sofortigen Rücktritt als Nationalspieler. Für seinen Schritt machte er allerlei sportliche Gründe geltend, aber er hatte vor allem eine politische Botschaft an das iranische Regime und die Staatsmedien zu verkünden: »Meine letzten Worte gehen an diejenigen, die Nationalspieler als Verräter bezeichnet haben. Wie könnt ihr es wagen, ohne Beweise so über Spieler zu sprechen, die jahrelang alles gegeben haben – ihre Körper, ihre Seelen und ihre Fami­lien eingeschlossen –, um den Iran stolz zu machen und um den Menschen im Iran Pokale und Freude zu schenken? Ich schlage vor, dass ihr eure Bilanz vorlegt und uns die Ehre gebt, Loyalität von euch zu lernen – obwohl ich sicher bin, dass das Volk gut zwischen uns Landesverrätern und euch Loyalisten unterscheiden kann.«
Den Hintergrund für das Schreiben des 31jährigen bilden die Vorfälle während des WM-Qualifikationsspiels des Iran in Südkorea am 17. Juni sowie die Vorkommnisse im Anschluss. Gemeinsam mit fünf weiteren iranischen Spielern war Mahdavikia zu dieser Partie mit einem grünen Schweißband am Handgelenk aufgelaufen – als »Zeichen der Solidarität mit den Menschen daheim auf der Straße«, wie ein Mannschaftsverantwortlicher nach dem Match zu Spiegel online sagte. Mahdavikia hatte außerdem eine grüne Kapitänsbinde getragen. Nach der Halbzeitpause kamen die Fußballer jedoch ohne ihre Bänder wieder aufs Feld – offenbar auf Intervention des iranischen Sportfunktionärs Mohammed Ali-Abadi, der gleichzeitig ein Schwager des iranischen Präsidenten Mah­moud Ahmadinejad ist. Der iranische Fußballverband kündigte nach der Partie Sanktionen gegen die betreffenden Spieler an; in der britischen Tageszeitung The Guardian hieß es, vier Spieler sollten dauerhaft aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen werden. Davon betroffen seien neben Mahdavikia die aus der deutschen Bundesliga bekannten Ali Karimi und Vahid Hashemian sowie der für Persepolis Teheran spielende Hossein Kaabi. Dem Blatt zufolge erhielt kein iranischer Spieler nach der Rückkehr nach Teheran seinen Reisepass zurück, was Vahid Hashemian allerdings dementierte. In der regimetreuen iranischen Presse wurden die Fußballer, die ein grünes Band trugen, als »Landesverräter« beschimpft.
Mahdavikia schrieb Ahmadinejad & Co. mit seinem Brief außerdem ins Stammbuch, mög­liche Vergehen in internationalen Begegnungen dürften nur von der Fifa untersucht werden »und von keiner anderen Person oder Organisation«. Damit machte der 110malige Nationalspieler deutlich, dass er sich für seine Aktion und die seiner Mitspieler ausschließlich gegenüber dem Weltfußballverband zu rechtfertigen gedenkt, nicht aber vor dem Mullah-Regime. Die Fifa untersagt zwar in ihren Statuten politische oder religiöse Äußerungen während eines Spiels, hat jedoch beschlossen, keine Maßnahmen gegen die iranischen Fußballer zu ergreifen. Zur Begründung hieß es, der Schiedsrichter habe nichts in seinem Spielbericht vermerkt, weshalb kein Grund zum Einschreiten bestehe – eine beachtliche Entscheidung.
Der Vizepräsident des iranischen Fußballverbands, Mehdi Taj, versuchte derweil, die Fifa präventiv zu beschwichtigen. Denn die verbittet sich den Eingriff der Politik in die Belange der nationalen Verbände und droht bei Zuwiderhandlungen mit dem Ausschluss. »Wir sind gegen die Einmischung von Parlamentsmitgliedern in die Angelegenheiten des Fußballs unseres Landes«, sagte Taj dem Staatssender Press-TV zufolge dann auch pflichtschuldig.
Das Tragen der grünen Bänder und Mahdavikias Abschiedsschreiben sind nicht zuletzt deshalb so bemerkenswert, weil sich iranische Spitzensportler bislang stets loyal gegenüber dem Regime verhalten haben. Diese Loyalität war vor allem dann zu beobachten, wenn Wettkämpfe gegen israelische Athleten oder Mannschaften anstanden. Im Herbst 2004 beispielsweise spielte der deutsche Rekordmeister Bayern München in der Champions League gegen Maccabi Tel Aviv. Dabei fehlte sowohl im Hin- als auch im Rückspiel der inzwischen wieder für den VfL Bochum tätige iranische Nationalspieler Vahid Hashemian. Die offizielle Begründung lautete, der Angreifer sei verletzt. Dass das nur vorgeschoben war, lag gleichwohl nahe. Denn der iranische Verband hatte Hashemian mit Konsequenzen gedroht, sollte er mit den Münchnern gegen Maccabi spielen.
Anfang Oktober 2007 gab es eine Menge Wirbel um den deutschen U-21-Nationalspieler Ashkan Dejagah vom VfL Wolfsburg. Der weigerte sich, mit zum EM-Qualifikationsspiel der DFB-Juniorenauswahl in Israel zu reisen. Die Spekulationen über seine Motive heizte der Spieler selbst an: »Das hat politische Gründe. Jeder weiß, dass ich Deutsch-Iraner bin«, wurde er in verschiedenen Zeitungen zitiert. Von einer Furcht vor möglichen Nachteilen für seine Verwandten im Iran oder davor, dass ihm selbst künftig die Einreise in den islamischen Staat verweigert werden könnte, war erst die Rede, als die Proteste gegen Dejagah und die Nachsicht des DFB zunahmen und sich zudem herausstellte, dass Dejagah doch nicht mehr, wie ursprünglich angenommen, für die A-Nationalmannschaft des Iran spielberechtigt ist.
Boykotte gegen israelische Sportler gab es aber auch bei den letzten beiden Olympischen Spielen: In Athen weigerte sich 2004 der favorisierte iranische Judo-Weltmeister Arash Miresmaeili, gegen den Israeli Ehud Vaks anzutreten. Offiziell war Miresmaeili wegen Übergewichts nicht zum Kampf zugelassen worden. Doch er hatte schon Tage zuvor angekündigt, gegen keinen Judoka aus Israel anzutreten. Damit wolle er »gegen die israelische Haltung im Nahost-Konflikt protestieren«. Miresmaeili wurde von der politischen Führung seines Landes gefeiert sowie mit der Prämie bedacht, die für eine Goldmedaille ausgelobt worden war. Und bei der Olympia 2008 in Peking erschien der iranische Schwimmer Mohammad Alirezaei nicht zum Vorlauf in der Disziplin 100 Meter Brust, weil auch ein israelischer Schwimmer im Becken war. Zunächst hatte das Nationale Olympische Komitee des Iran den Start von Alirezaei erlaubt, weil dieser auf Bahn eins und der Israeli auf Bahn sieben eingeteilt waren und es sich damit nicht um einen direkten Zweikampf gehandelt hätte. Am Ende blieb Alirezaeis Platz aber frei. Angeblich war er erkrankt.
Mag sein, dass Mehdi Mahdavikia nach dem schon feststehenden Scheitern der iranischen Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation ohnehin zurückgetreten wäre. Entsprechendes hat er der Frankfurter Rundschau gesagt. Doch seine politische Stellungnahme bleibt – sowohl die während des für ihn und seine Teamkollegen so entscheidenden Spiels in Südkorea als auch die in seinem Brief. Im fußballbegeisterten Iran dürfte die Botschaft jedenfalls angekommen sein, und sie hat dem zerfallenden Regime offenkundig gar nicht gefallen.