Die Krise und ich. Zum 1. Todestag von Lehman Brothers

Am Tag, als Lehman Brothers starb

Wir erinnern uns: Vor einem Jahr begann mit dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank die weltweite Finanzkrise. Infolge der Subprime-Krise hatte die Bank zunächst 3,3 Milliarden US-Dollar abschreiben müssen und am 10. September 2008 bekannt gegeben, dass sie Verluste in Höhe von 3,9 Milli­arden US-Dollar erwartet und dringend auf Stützung angewiesen sei. Aber niemand bot Lehman Hilfe an. Die Insolvenz, die Lehman am 15. September anmelden musste, gilt als Auslöser der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Ist die Krise inzwischen auch bei uns zuhause in Kühlschrank und Kleiderschrank angekommen? Über ein Jahr Alltag mit und in der Depression schreiben unsere Autoren und Autorinnen. ­Boris Bocheinski hat die Auswirkungen der Krise im Stadtbild von Berlin gesucht und fotografiert.

Menschlich korrekt
Von Martin Büsser

Corax Music, Eva Beyer, guten Tag.
Hallo, Martin Büsser, ich soll für die Oktober-Ausgabe vom Blinky-Magazin über The Blond Bombs schreiben. Könntet ihr mir die neue CD schicken und einen Interviewtermin klar machen?

Sorry, für das Album stehen uns leider keine materiellen Tonträger zur Verfügung, aber in Berlin gibt es eine Listening Session. Dort finden auch die Interviews statt.

Nur in Berlin?

Nur in Berlin. Der Rest lohnt sich nicht.

Ich bin aber nicht aus Berlin, sondern aus Mainz. Das sind fünf Stunden Zugfahrt, einfach. Könnten wir nicht einen Phoner (Business-Slang für Telefoninterview, M.B.) klarmachen?

Nein, The Blond Bombs geben nur persönliche Interviews, das ist kommunikativer. Und menschlicher.

Würdet ihr die Fahrtkosten übernehmen?

Nein, sorry, das ist Sache der Redaktion. Du kennst doch unsere finanzielle Lage, wir schätzen, dass wir von dem Album nicht mal mehr 500 Einheiten absetzen werden.

Ich werde das mal durchkalkulieren, melde mich dann noch mal.

Mach das, ich könnte dir einen Interviewtermin von zehn Minuten freischaufeln. Tschö!

(Tüüüüt … tüüüüt)

Blinky-Redaktion, Wolfgang von Edelhofen, hallo.

Hi, Martin Büsser. Sag mal, ich soll doch für euch 3 000 Zeichen zu The Blond Bombs schrei­ben. Jetzt ist es so, es gibt keine CDs zur Bemusterung, es gibt keine Phoner, nur Direktinterviews in Berlin.

Ich weiß. Ist doch auch kommunikativer.

Ja, und menschlicher.

Eben. Gibt der Story einen ganz anderen Human Factor.

Sag mal, würdet ihr die Fahrtkosten übernehmen? Ich habe Bahncard 50, das wären so um die 100 Euro hin und zurück.

Nee, Fahrtkosten sind Sache des Labels. Es ist doch in deren Interesse, dass die Band bei uns erscheint. Das ist für die wie eine Anzeige, nur noch effektiver, weil es nicht gekauft ist.

Und die Spesen.

Was für Spesen?

Na, Essen, Unterkunft.

Aber essen musst du doch sowieso jeden Tag. Das hat ja jetzt nichts spezifisch mit dem Interview zu tun, oder? Du kennst doch sicher Leute in Berlin, bei denen du pennen kannst.

Dann gehen aber zwei Arbeitstage flöten.

Hast recht, aber Berlin hin und zurück schafft man doch auch an einem Tag, du brauchst für das Interview doch sicher keine Stunden?

Nee, das Interview ist auf zehn Minuten angesetzt.

Na also.

Ich habe mir das mal durchgerechnet: Honorar für den Artikel sind 40 Euro.

Und drei Euro Internet-Verwertung.

Genau, 43 Euro. Ziehe ich jetzt die Zugfahrt, Essen und meinetwegen noch ein bis zwei Kaffee ab, dann lege ich für die Story 80 Euro drauf.

He, auf dem anderen Apparat kommt gerade ein Gespräch rein … Überleg’s dir halt. Ich meine, wann bekommt man schon mal die Gelegenheit, mit The Blond Bombs persönlich zu reden … Muss jetzt Schluss machen. Tschüssi.

(Tüüüüt … tüüüt)

Armut feit
Von Germar Grimsen

Eine Tageszeitung hab’ ich nie halten können. Einen Briefkasten immer. Und zweimal die Woche die Umsonstblättchen, die so gut stopfen. Zu Zeiten, als ich auf ein Läuten hin noch die Tür öffnete, hatte mir das Blähpapier gar soziale Kontakte eingetragen: es klingelte, ich tat auf und stets stand vor mir, in klumpiges Braun gekleidet, ein bissig-hageres Männlein Ende 50 und fragte, ob ich zuletzt auch brav mein Umsonstblatt bekommen hätte. Konnte nie Gegenteiliges behaupten (ich stürz doch kein Kind ins Pech, nur weil es listig sich hinter einem Busch seines Packens entledigt und aber frech lügt, alles fein ausgetragen zu haben). Und wars Männlein akkurat, fragte es weiter, ob mir denn in der aktuellen Ausgabe der beigelegte Prospekt der Firma ›Saturn‹ aufgefallen sei? Fürchte nein. Dann ›Comet‹? Nein, leider auch nicht.
Denn ich bin subversiv und lese ausschließlich redaktionelle Beiträge.
Stets jedoch war mein Blick in den Sportteil der Umsonstblättchen sorgenerfüllter als der, den ich die Seite zuvor in die Wirtschaft warf. Oder ins Feuilleton.
Solchermaßen gestählt schritt ich bereits Frühling 1998 der Lehman-Pleite entgegen, wurde Minderkaufmann und ließ mich gern bereden, ich müsse, als Selbständiger ernst ­genommen zu werden, jederzeit erreichbar sein. Flugs hatte ich ein Händi. Und Empfang und einen Vertrag von E-Plus dazu. Dann freilich kränkte mich die Regierung Kohl und strich Juli 98 in einer ihrer letzten Novellen die Rechtsfigur ›Minderkaufmann‹ aus dem HRefG. Dabei war der ›Minderkaufmann‹ mir doch Ansporn gewesen, es zum ›Mußkaufmann‹ zu bringen, ja, immer wollte ich eigentlich Mußkaufmann sein und alle Rechte und Pflichten der Kaufmänner ausleben, Bücher führen und Umsätze erzielen über 700 000 Mark und Gewinne weit über 60 000 Mark und Inventur machen und den Fiskus anstöhnen. Das alles wollte ich. Stattdessen lachte nun jeder Mensch und Beamte mich aus und schalt mich ›Kleingewerbetreibender‹. Nur mein stoisches Steuerbüro, das lachte nicht, das verlangte ungerührt und nach wie vor 1 600 Mark dafür, daß es mir 600 Mark sparte. Außerdem legte es mir nahe, daß alles meine Schuld sei. Da war was dran. Vor meiner Steuerberaterin nämlich hatte ich mich geschämt, trotz Händi und Dauerbereitschaft zum Geschäft keinen nennenswerten Umsatz aufzuweisen – das zu vertuschen, hatte ich meine Einnahme/Überschuß-Rechnung frisiert und Einnahmen hinzugeflunkert.
Ich hatte das Ziel ›Mußkaufmann‹ aus den Augen verloren. Da war es, daß ich merkte: was mich überhaupt noch an den Wirtschaftskreislauf band, war das Händi. Auch fiel mir auf: nicht nur rief mich niemand an, ich rief auch niemanden an – konnte aber sehr wohl, aus lauter Lust- und Geldlosigkeit, die Grundgebühren, die E-Plus erhob, nicht mehr entrichten. So wurde ich meiner Verworfenheit inne, und E-Plus wurde es ebenfalls und schrieb mir erst barsche, finster gestempelte Schreiben (»Denken Sie nicht, daß Sie damit durchkommen«), die mich mores lehren sollten, und schickte dann aber auch gleich hager-bissige Männlein, Ende 50 – in allerdings albanischbunte Folklore gestrickt.
2000 platzte die Dotcom-Blase – und schon das ging mich nichts mehr an. Ich hatte nichts. Und habe nichts. Und nehme, da es gute Sitte ist, daß niemand in Münze oder geldwertem Vorteil für Schreibtischworte zahlt, unwilligen, unzuverlässigen Kindern den Job weg und stelle zweimal die Woche Umsonstblättchen zu. Und petze, wenn ein pickliger Kollege völlig unschlau seinen Packen hinter einen Busch wirft. Fällt ja auf uns alle zurück. Nachts aber lieg ich wach und lese, wenn ich mein Umsonstblättchen aushab, Brechts ›Heilige Johanna der Schlachthöfe‹.
Oder hab ich doch was? Vielleicht ja … – wenn Hoffnung zählt. Hoffnung darauf, bald mir braunklumpige Klamotten leisten zu können. Ende 50, bin ich nah dran.

Die Schoko-Diven-Strategie
Von Tanja Dückers
Immer schon wurde man gelegentlich gebeten, auch ohne Honorar einen Text zu schreiben oder sich unentgeltlich auf ein Podium zu setzen. Das hat schon immer genervt und mich zu der Rückfrage verleitet: Bitten Sie Ihren Zahnarzt, dass er Sie umsonst behandelt? Fragen Sie im Blumenladen, ob Sie den Strauß heute mal einfach so mitnehmen können? Dass die Schrippen aus Kulanz auch mal so rübergereicht werden?
In Zeiten der Krise hat die Ansicht, dass Kultur eine Art kostenloses Luxusgut ist, viele neue Anhänger gewonnen. Vieles muss und sollte man also getrost absagen. Denn hinter den Anfragen stecken nicht nur Soli-Projekte mit unterstützenswertem Hintergrund, gute Freunde oder kleine Klitschen, sondern auch bekannte Institutionen, Magazine oder Zeitungen. Was aber tun bei den Einladungen und Anfragen, die man aus Interesse an der Sache doch annehmen möchte, obwohl sie honorarfrei sind? Da habe ich folgenden Tipp: Ich handele dann immer ein Kakaopaket aus. Das hat noch nie jemand abgelehnt. Der jeweilige Veranstalter oder Redakteur, wie auch immer, muss mir ein Päckchen guter Schokolade oder Pralinen zukommen lassen. Etwas divenhaft belehre ich mein Gegenüber im Vorfeld, was mir auf keinen Fall auf den Tisch kommt: Keine ekelhaften Alkoholpralinen oder Schokolade mit Erdbeer-Joghurt-Füllung. Keine Edelbitterschokolade mit einem Schokoladenanteil, der über 85 Prozent liegt – zu bitter, schmeckt nicht. Niemals Schokolade mit Kaffeebohnensplittern. Und bitte immer etwas, wo das Auge auch mitisst. Es ist mir wirklich egal, ob man meine Wünsche merkwürdig findet oder nicht, Hauptsache, ich bekomme ein ansprechendes Schokoladenpaket. Sonst trete ich nicht auf, sonst schreibe ich nicht. Alles darf man sich schließlich nicht gefallen lassen. Wenn man schon umsonst arbeitet, kann der Andere sich wenigstens ein bisschen Mühe geben und sich Gedanken um den Autor machen. Bisher hat sich noch niemand meinem Wunsch verweigert.

Mail vom 18. August 2009

Liebe Frau Dückers,sehr gerne erfreuen wir Sie mit einer Auswahl leckerer Schokolade! Kennen Sie die Krämerbrücke in Erfurt? Dort soll es eine der besten Schokoladenmanu­fakturen Deutschlands geben. Da ich öfter in Weimar bin, werde ich mal einen Abstecher nach Erfurt machen. Gibt es Pralinen, die Sie besonders gerne mögen?
Den Podiumsgästen können wir leider kein Honorar bezahlen, auch XXXXXXXXXXXX und XXXXXXX nicht. XXXXXXXXXXXXXXXX, der ja neben der Moderation auch den Impulsvortrag halten wird, erhält dafür ein Honorar. Die Eintrittsgelder reichen leider kaum, um die Kosten in der XXXXXXXXXXXXXXXXXXX zu decken. Da das XXX ein gemeinnütziger Verein ist und seit Anfang der 1990er Jahre auch keinerlei Unterstützung mehr von XXXXXXXXXXX erhält, müssen sich alle Veranstaltungen selbst tragen. Wir hoffen auf Ihr Verständnis.
Viele GrüßeXXXXXXXXXXXX

Haus am See
Von Cord Riechelmann
Der Brief kam im Oktober vorigen Jahres und war zwei Seiten lang. Vom dramatischen Anzeigenrückgang, mit dem die deutsche Zeitschriftenbranche zu kämpfen hat, hätte ich ja wahrscheinlich schon gehört, und so sei es ihm, dem Autor der netten Zeilen und seinem Verlag, leider nicht möglich, mir mein vereinbartes Honorar in der in Rechnung gestellten Höhe zu zahlen. Aus 300 Euro sollten 120 Euro werden. Gut, dachte ich, die Zeiten sind schwer, und 120 Euro sind mehr als gar nichts, und so machte ich mich an die Unterschrift unter die neue, gleich mitgeschickte Rechnung.
Doch dann erzählte mir ein Freund, dass sich der Absender gerade ein neues Haus an einem See gekauft hatte. Den See kannte ich. Ich hatte dort vor Jahren mal Gewässerökologiestudien betrieben. Deshalb wusste ich natürlich auch um die Häuser am See. Das ist ja allerhand, was der Mann sich da aufgebürdet hat, da wird ihm bestimmt auch mein Honorar zur Last. Total beschämt ob meiner dreisten Forderung zerriss ich die neue Rechnung und den neuen Vertrag.
Der Mann nämlich hat sich nicht nur mit dem Hauskauf um das Erbe des deutschen Kulturbürgertums verdient gemacht, er hat auch in den Achtzigern eine Sorte Journalismus begründet, die Matthias Frings in seiner Ronald M. Schernikau-Biografie sehr gut beschreibt. Schon damit war der Mann Pleite gegangen, ohne allerdings dieser Sorte Journalismus je ­abzuschwören. Auch das war bestimmt kein leichter Job, kann man doch zurzeit auf fast ­jeder Mitte-Medienparty die Opfer dieser Stil-Treue vor sich hin starren sehen. Max-, Park Avenue- und Vanity Fair-Entlassene, alle mehr oder weniger aus der Ich- und meinungsstarken Schule meines Briefonkels, sinnieren angeschlagen zwei Sätzen nach, die die Krisen um die Schreiber seit Siegfried Kracauers zwanziger Jahren begleiten. Der eine Satz spricht von der reinigenden Kraft der Pleite, und der andere behauptet: Wer schreiben kann, kommt immer irgendwie durch. Beide Sätze kollidieren aber gerade in der derzeitigen Phase der Krise mit den tatsächlichen Lebensläufen derer, denen ihr Lebenslauf immer wie »ihr« Verdienst erschien. Denn schreiben, da sind sich die Schüler dieser Schule sicher, können sie alle, nur mit dem Vom-Schreiben-Leben wird es jetzt ein bisschen schwieriger. Zumindest für die, die es noch nie in Betracht gezogen haben, eventuell für das Schreiben zu leben.
Und das Leben könnte ja zum Beispiel auch darin bestehen, mal zur Abwechselung was zu lesen. Lektüren nachzuholen und der Frage nachzugehen, warum die Tempel und Paläste, obwohl sie seit Zeiten des Propheten Daniel schon hundertmal eingestürzt sind, immer wieder auf gut tönernen Fundamenten aufgebaut werden. Als ich so dann vor ein paar Tagen zu einem Entlassenen sprach, der gerade im Stil der ich-bewussten »Ich-weiß-wo-es lang-geht«-Schule den schlechtesten Foucault-Text der vergangenen 20 Jahre veröffentlicht hatte, meinte der nur: Schreiben könne er überall, lesen aber nur zu Haus, und das ginge gerade nicht, weil er den Strom fürs Licht sparen müsse.

Mein Umgang mit der Krise
Von Gabriele Haefs
Dass Lehman Brothers pleite gegangen ist, war doch zu erwarten, bei dem Namen. Lehmann nannte sich schließlich der preußische Kartätschenprinz, als er 1848 fliehen musste. Später nannte er sich Wilhelm I., wurde von seinen Untertanen aber weiterhin Lehmann genannt, und was das preußische Kaiserhaus für ein Schwindelunternehmen war, wissen wir doch alle. Ich bin aber zuversichtlich, dass Lehmans mein sauer verdientes Geld nicht auch noch auf den Kopf gehauen haben.
Die gewaltigen Honorare, die Leute wie ich (Übersetzerin und literarische Gelegenheitsarbeiterin) bekanntlich scheffeln, werden von mir in der Sparkasse um die Ecke zwischengeparkt und dann alsbald ausgegeben. In früheren Jahren hat die Sparkasse bisweilen Vorschläge machen wollen, »selbst bei solchen Honoraren könnte man doch … «, aber die stießen bei mir auf taube Ohren, ich gebe eben lieber aus. Und jetzt hat die Sparkasse aufgehört, ob das nun an Lehmans liegt oder daran, dass sie keine Lust mehr haben, tauben Ohren zu predigen, was weiß ich, wer weiß schon (und jetzt weniger denn je), was Banken und Sparkassen sich so denken? Bisher dachte ich, die Krise ist mir egal und wird mir so lange egal bleiben, wie die bücherkaufenden Massen hierzulande weiterhin mehr oder weniger unsinnige skandinavische Krimis haben wollen und so lange die Verlage, die solche Krimis veröffentlichen, mir Aufträge geben. Was doch eigentlich eine gute Ausgangsposition für die Krisenbewältigung war.
Aber inzwischen ist alles noch besser geworden. Denn just an dem Tag, an dem die Jungle World nach meinen Krisenbewältigungsstrategien frug, war ich in Uelzen (für Geographiebanausen: im Süden der Lüneburger Heide gelegene Zuckermetropole). Dort steht ein Denkmal, es zeigt einen Kaufmann, der einem Knaben ein Goldstück reicht. Es gibt dazu eine Sage, nach der der Knabe den Kaufmann übers Ohr haut, ihm die Goldstücke abluchst, das aber so geschickt macht, dass der Kaufmann, als er vor Gericht zieht, um die Rückgabe der Goldstücke zu erklagen, nur Hohn und Spott erntet. Das Goldstück, das der Denkmalskaufmann dem Denkmalsknaben überreicht, funkelt, glitzert, glänzt – ganz anders als sämtliche anderen Bestandteile des metallenen Monumentes. Denn, so weiß man in Uelzen, wer das Goldstück anfasst und einmal energisch mit den Fingern darüber reibt, wird für den Rest des Jahres immer ausreichend Kleingeld in der Tasche haben. Was schert mich da noch die Krise? Ich war ja in Uelzen, und wenn es sein muss, fahr ich gleich zu Neujahr das nächste Mal hin.

Auf die Sweet & Sticky-Tour
Von Katja Leyrer
So viel Krise oder Depri geht gar nicht, als dass es nicht ein wirksames Rezept dagegen gäbe. Andere Leute gehen ins Kino, haben Sex oder wagen sich an härtere Botenstoffe, wenn es ­ihnen schlecht geht. Mir genügt im Regelfall eine gute Mahlzeit (ein bis drei Gänge, davor ein Martini, dazu zwei Glas Wein), um einen depressiven Anfall schon im Ansatz zu bekämpfen.
Es ist ein Leichtes, mich selbst der Dekadenz zu bezichtigen: Ich lebe zurzeit manchmal in Kinshasa und kann dort, wenn ich will, in jenen seltenen Supermärkten einkaufen, in denen es neben einheimischen Produkten auch Importiertes gibt, zum Beispiel Martini, französische Weine und Käse, belgische Butter und Sahne, österreichisches Brot, südafrikanisches Obst und spanisches Olivenöl, Bioqualität. Nicht zu vergessen das italienische Toilettenpapier. Die US-Dollar, mit denen an der Kasse bezahlt wird, flutschen dort nur so aus den Händen; man zahlt im Durchschnitt das Doppelte bis Dreifache wie in Deutschland. In Sichtweite des Supermarktes sind keine Bettler zu sehen, sie werden vertrieben, und im Inneren des von bewaffneten Wächtern eingekreisten Ladengeschäftes finden sich selbstverständlich keine armen Leute ein. Was sollen sie auch hier, wo 200 Gramm Sahne umgerechnet 4 Euro kosten, 1 Liter Milch 3 Euro und eine Flasche trinkbarer Tischwein 10 Euro? (Für Zyniker: Dafür gibt es Kochbananen, Mangos und Papaya sowie frische Pfefferschoten und getrocknete Raupen sehr billig!)
Man kann aus Mangos und Papayas feine Sorbets bereiten. Die kongolesischen Kochbananen werden hier meist in länglichen Stücken frittiert und mit etwas Salz gegessen. Das ist ziemlich lecker, aber für meine Begriffe nicht ausreichend für ein richtig schickes und vor allem wirksames Antikrisenrezept. Für mich persönlich gehört in eine antidepressive Speise immer und unverzichtbar mindestens eine Zutat fragwürdiger Herkunft oder Bekömmlichkeit (es darf auch wirklich etwas Ungesundes sein!). Neben alkoholischen Beimischungen bieten sich also wahlweise Fleisch, Fette, Butter, Sahne, Eier und alles, was süß ist, an.