Vollbeschäftigung auch ohne Arbeitsplatz

Busy ohne Job

Vollbeschäftigung? Wenn das mal keine Drohung ist. Schon wer offiziell arbeitslos ist, hat rund um die Uhr zu tun.

Lange bevor man feine Unterschiede wie die zwischen SPD und CDU oder »Vollbeschäftigung« und »Arbeit für alle« auch nur ansatzweise erfassen kann, lernt man, dass Politiker lügen. Besonders im Wahlkampf. Die verkündeten hochgesteckten »Beschäftigungsziele« der Parteien lassen sich daher leicht als leeres Geschwätz abtun. Aber vielleicht wäre es angebrachter, sie als Drohungen zu verstehen. Denn beschäftigt sind die meisten Leute längst mehr als genug, ob mit oder ohne Erwerbsarbeit.
Irgendwie rührend, wenn man sich erinnert, wie man, jung und idealistisch, die nach dem glimpflich beendeten Kalten Krieg größte Sorge aussprach, später einmal mehr als 20 Stunden die Woche arbeiten zu müssen oder gar den falschen Beruf zu wählen – einen, der auf die Dauer keine Erfüllung bieten werde. Die Angst davor, in die »Mühle der Arbeitswelt« zu geraten, hat sich nicht nur als Luxusproblem von Angehörigen der Mittel- und Oberschicht erwiesen, sondern auch als vergänglich. Heutzutage treibt selbst viele Akademiker die Sorge um, vom Job nicht mehr leben zu können oder, noch schlimmer, der Agentur für Arbeit ausgeliefert zu sein.
Der vor Jahr und Tag zu einem jähen Ende gekommene so genannte Aufschwung hatte sich vor allem dadurch bemerkbar gemacht, dass die Arbeitgeberverbände nicht mehr im Wochentakt neue Forderungen nach Entlastungen für die ach so gebeutelten Unternehmen aufstellten. »Bei den Menschen ankommen« tat er nicht. Aufschwung und Menschen müssen sich irgendwie verpasst haben. Nicht einmal jene, die das Bruttosozialprodukt fleißig mehrten, hatten mehr Geld in der Tasche.
Während die offizielle Zahl der Erwerbslosen um rund zwei Millionen sank, verringerte sich die der Normalarbeitsplätze. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse breiteten sich bis in die Staatsbetriebe und Gewerkschaften aus, und der allgemeine Trend geht zum Zweit- bis Drittjob. Der informelle Sektor nicht registrierter Arbeitsverhältnisse erlebte nicht nur dank Jürgen Trittins Dosenpfand einen wahren Aufschwung, gehören doch auch Autoscheibenputzer und Wiederverkäufer von U-Bahn-Tickets mittlerweile zum Stadtbild. Spätestens seit den Hartz-Gesetzen sind auch die offiziell Erwerbslosen rund um die Uhr beschäftigt, wahlweise mit »Maßnahmen«, Ein-Euro-Jobs oder damit, bis zum nächsten Termin beim Fallmanager mehrere Dutzend erfolglose Bewerbungen nachzuweisen, um nicht noch das Existenzminimum gestrichen zu bekommen.
Ohne Zweifel wird die Zahl der offiziell Erwerbslosen in Kürze wieder enorm steigen. Die Financial Times Deutschland, der Verbreitung von Verschwörungstheorien bislang unverdächtig, berichtete kürzlich mit Blick auf einen Arbeitsplatzabbau von »einer Art Stillhalteabkommen zwischen Industrie und Regierung«, das bis zur Bundestagswahl gelte, und berief sich auf die Aussagen »mehrerer Spitzenmanager«.
Es gibt keinen Grund zu glauben, die Massen würden deshalb in Zukunft weniger beschäftigt sein. Ganz im Gegenteil.