»Durst«, der neue Film von Park Chan-wook

Der Dracula aus dem Priesterseminar

Der neue Film von Park Chan-wook, »Durst«, ist eine bonbonbunte Vampirsaga, die das Genre neu erfindet.

Wie so einige Filmemacher hat auch Park Chan-wook vor seiner Laufbahn als Regisseur Texte über das Kino geschrieben. Man sieht es seinen Filmen an, dass sie um ihre zahlreichen Vorgänger in der Filmgeschichte wissen, doch anders als Quentin Tarantino, der seine Referenzen und Bezüge explizit und voller cineastischer Euphorie ausstellt, schlummern sie bei Chan-wook eher im Verborgenen.
Auch sein neues Werk »Durst«, ein Ausflug ins Genre des Vampirfilms, ist alles andere als postmodernes Zitatkino. Und dennoch scheint jeder Vampirfilm der Vergangenheit wie ein Baustein betrachtet und zumindest einmal umgedreht worden zu sein.
Auf den ersten Blick wirkt das neue Werk des südkoreanischen Regisseurs, das auf dem diesjährigen Festival in Cannes den Großen Preis der Jury gewann (gemeinsam mit Andrea Arnolds »Fish Tank«), zwar etwas flatterhaft und von einer Vielzahl anderer Themen abgelenkt, doch die Verbindung gängiger Plotmuster mit genreüberschreitenden Motiven lässt das Vampirdasein in einem gänzlich neuen Licht erscheinen. »Durst« ist nämlich kein blutrünstiger Vampirfilm – auch wenn noch so viel Blut fließt – und erst recht kein Horrorschocker, sondern vielmehr eine anspielungsreiche, intelligente und witzige Studie über Moral. Eine vampirische Version von »Schuld und Sühne«, wenn man so will.
Der katholische Krankenhausseelsorger Sang-hyeon (von dem südkoreanischen Star Song Kang-ho gespielt) befindet sich am Rande einer Glaubenskrise. Man merkt es seinen Gebeten an: Sie sind zaghaft, leise und ohne Überzeugungskraft. Sein Entschluss, an einem medizinischen Experiment zur Bekämpfung eines töd­lichen Virus teilzunehmen, ist im Grunde nichts anderes als ein legitimierter Suizid. Denn bisher hat noch keiner das Experiment überlebt. Auch bei Sang-hyeon nimmt die Krankheit zunächst ihren gewohnten Verlauf. Die Haut platzt auf, es bilden sich eklig eiternde Blasen. Der Priester, ganz mit Binden eingewickelt, gleicht mehr und mehr einer Mumie und stirbt auch schon bald auf dem Operationstisch. Doch dann folgt eine obskure Auferstehung – und wenig später wird Sang-hyeon als »verbundener Heiliger« verehrt. Superkräfte erwachen in ihm, Gebete und Segnungen zeigen plötzlich Wirkung. Endlich hat sein Priesterdasein wieder Sinn – und ist doch umso stärker bedroht. Denn als Sang-hyeon seinem alten Schulkameraden Kang-woo (Shin Ha-kyun) begegnet und sich leidenschaftlich in dessen Ehefrau Tae-joo (Kim Ok-vin) verliebt, verspürt er einen immer stärker werdenden »Durst«. Ganz offensichtlich wurde er bei der Bluttransfusion in einen Vampir verwandelt, und nun muss er trinken, trinken, trinken, ansonsten meldet sich der tödliche Virus wieder zurück.
Auch Tae-joo wandelt sich. Aus dem verhuschten Mädchen, das unter der Herrschaft einer garstigen Schwiegermutter und der geistigen Zurückgebliebenheit ihres Ehemanns und Halbbruders zu leiden hat, wird eine Femme fatale. Und als Geliebte von Sang-hyeon verwandelt sie sich nach dem ersten Biss unvermeidlich auch in einen Vampir. Die Zeit des befreiten Genusses ist allerdings kurz, und die Leidenschaft füreinander und für das Blut der anderen nimmt immer destruktivere Züge an. Außerdem kommt es zu ernsthaften Geschmacksdifferenzen. Tae-joo hat nämlich ein Problem damit, dass sich der Geliebte an den Blutkonserven des Krankenhauses bedient. Irgendwann wirft sie ihm verächtlich vor, dass er nur abgestandenes Blut trinke. Was ungefähr so viel bedeutet, als dass er kein »richtiger Mann« sei.
Ähnlich wie bei dem Vorgängerfilm »I’m a Cyborg, but that’s OK«, einer ebenso bezaubernden wie nervtötenden Nervenheilanstalt-Komödie, produziert Park Chan-wook einen kaum zu bändigenden Überschuss an Motiven, Genres und visuellen Styles. Nie zuvor hat ein Vampirfilm so ungruftig ausgesehen. Die Bilder sind anfangs überbelichtet, hellweiß, fast steril – eine Ästhetik, die gegen das Genre arbeitet und stattdessen dessen Künstlichkeit überbetont. Doch Chan-wook bleibt diesem vermeintlich minimalistischen Stil keineswegs treu und reichert seinen Film stattdessen mit einer immer opulenteren und farbigeren Bildsprache an – ein artifizielles Blutrot dominiert bald die Bilder. Die statischen Einstellungen vom Beginn weichen mitreißenden Kamerabewegungen, die Sang-hyeon bei seinen fliegenden Sprüngen über die Krankenhausdächer begleiten – doch erinnern diese akrobatischen Einlagen in ihrer Superheldenhaftigkeit weniger an Martial-Arts-Filme als an Comicverfilmungen. Und wenn sich Realität, Traum und Wahnvorstellung auch noch vermischen, kippt der Film sogar in das surrealistische Genre.
Chan-wooks Missachtung dramaturgischer Regeln und das hemmungslose Ausleben persönlicher Vorlieben dient vielleicht nicht immer der Stringenz und schon gar nicht dem Suspense, schafft aber immer wieder interessante und ausgefallene Verbindungen zwischen den verschiedenen Genres. So schreitet »Durst« mit großen Schritten jeden erdenklichen Seitenweg ab, der sich ihm bietet, mäandert mal in diese, mal in die andere Richtung, verbindet Vampirfilm mit Amour-fou-Geschichte, Ghoststory und Gewissensdrama.
Interessanterweise hat sich Park Chan-wook hier von Emile Zolas »Thérèse Raquin« inspirieren lassen. Der Roman erzählt den Niedergang eines Paares nach einem gemeinsam ausgeübten Verbrechen, eine Geschichte, wie man sie aus zahlreichen Films noirs kennt, »Double Indemnity« etwa oder auch den verschiedenen Adaptionen von »The Postman Always Rings Twice«: Ein Mann und eine Frau, die einander leidenschaftlich verfallen sind, planen den Mord am Ehemann der Frau. Doch die Schuld kehrt wie ein böses Gespenst zurück, sie zerstört die Liebe der beiden und auch die Leidenschaft. Bei Zola endet die Geschichte im Doppelselbstmord, bei Park Chan-wook in einer ironischen Collage verschiedenster Vampirmotive und -klischees, eine wunderbar selbstreflexive Geste im Blick auf das eigene Genre.
Ebenso wie bei Zola ist auch bei Park Chan-wook die Schuld das zentrale Motiv. Sang-hyeon, der Vampir-Priester, muss gleich gegen mehrere Dämonen ankämpfen: gegen die Zweifel am Glauben wie gegen sein verbotenes sexuelles und vampirisches Begehren. Mehr als alles andere ist »Durst« daher die Geschichte eines Priesters, der von seinem Glauben abfällt und in eine tiefe Identitätskrise stürzt. Das Versprechen auf ein ewiges Leben erhält für ihn plötzlich eine ganz andere, sehr grausame Dimension. Es bedeutet nicht Erlösung, sondern in der ewigen Wiederholung gefangen und zum Massenmörder verurteilt zu sein. »Vampir ist, einen anderen Geschmack zu haben«, sagt der Priester einmal sehr charmant – ein vergeblicher Versuch, seinen blutrünstigen Trieb auf eine rationale Formel zu bringen. Dem moralischen Dilemma entkommt er damit nicht.

Durst. Regie: Park Chan-wook: Südkorea 2008. Start: 15. Oktober