Über den israelischen Popstar Aviv Geffen

Er kommt in Frieden

Israels Popstar Aviv Geffen will mit seiner ersten englischsprachigen Platte nun auch international erfolgreich werden.

Dass israelische Musiker interna­tionale Aufmerksamkeit genießen, ist eher selten. Zuletzt ist das der Sängerin Yael Naim gelungen, deren Song »New Soul« für einen Werbespot eines Computerherstellers genutzt wurde. Nun versucht Israels erfolgreichster Popstar, Aviv Geffen, international Karriere zu machen. Die vergangenen zwei Jahre hat er in London intensiv an seinem ersten englischsprachigem Album gearbeitet, das vor kurzem gleichzeitig in England und Deutschland erschienen ist. »Nach so vielen Jahren dachte ich, es ist an der Zeit, der Welt zu zeigen, wer Aviv Geffen und was meine Botschaft ist«, sagt er während seiner Werbetour auf einer Pressekonferenz hoch über den Dächern Berlins.
In Israel, wo er seit Anfang der Neunziger ein Star ist, hat der oft etwas schüchtern wirkende 36jährige alles erreicht. Ausverkaufte Stadien und eine treue und immer noch wachsende Fangemeinde, daran hat er sich inzwischen gewöhnt.
14 Alben sind von ihm bereits auf Hebräisch erschienen. Fast scheint es, als sei Israel nun zu klein für den Sänger geworden. »I’m here, I’m coming to you«, schmettert es auch gleich den Hörern in »Black & White« entgegen, dem ersten Song des nach ihm betitelten Albums.
Aviv Geffen ist fest entschlossen, in Europa Karriere zu machen. Deutschland, so erklärt er, sei dabei sein Hauptziel. Eher stolz als überrascht wirkt er, als er erzählt, dass er die ersten Reaktionen insbesondere aus Deutschland so nicht erwartet hätte. »Es sieht so aus, als würde das Radio hier meine Songs unterstützen, was wirklich mutig ist, denn ich bin der erste jüdisch-israelische Künstler der heutigen Zeit, der in den Playlisten deutscher Radios gespielt wird«, sagt er.
Natürlich kokettiert er ein wenig damit, Jude und Israeli zu sein. »Auch ich habe einige Mitglieder meiner Familie im Holocaust verloren, aber Deutschland hat sich sehr verändert. Ich denke, die Geschichte ist die Geschichte«, sagt er. Doch dann relativiert er: »Für mich ist es nicht immer angenehm, hier zu sein, als Jude.«
Seit Mitte der neunziger Jahre kommt Geffen regelmäßig hierher. Er habe sich in die deutsche Hauptstadt verliebt. Ihr hat er auf seinem ersten internationalen Album gleich einen Song gewidmet. »Berlin ist einer der schönsten Plätze, an denen ich je war«, schwärmt er. »Berlin erinnert mich an meine Heimatstadt Tel Aviv. Die Stadt hat ein beeindruckendes Nachtleben, tolle Musik und eine spannende Underground-Szene.« Die Gegend rund um die Oranienburger Straße in Berlins Mitte sei »eine der tollsten Gegenden der Welt momentan«.
Wie viele Songs seines englischsprachigen Debüts mutet auch der Song »Berlin« hymnenhaft und düster an. Es ist ein Liebessong, der Geffens Songwriting und seine markante Stimme, die immer ein wenig gebrochen wirkt und in der ein Vibrato mitschwingt, unterstreicht. »Ich traf ein Mädchen an einem Nachmittag hier«, erzählt der seit einiger Zeit in London lebende Sänger die Geschichte zum Song. Damals, mit seiner britischen Band Blackfield auf Deutschland-Tour, traf er die Unbekannte in einem Café in der Mitte Berlins. Wenn auch rein platonisch, wie er unterstreicht, so habe er sich in die distanzier­te und kühle Art der Frau verliebt und zwischen Berlin und der nächsten Station der Tournee, Hamburg, den Song geschrieben. Ob PR-Gag oder wahr, vor allem die Berliner Presse liebt die Idee, dass der israelische Popstar eine Hymne an die deutsche Hauptstadt singt.
Nachdem Geffen bei seiner ersten Werbetour und einigen Konzerten in Deutschland Anfang des Jahres vor allem wegen des Kriegs in Gaza und seinen kritischen Statements dazu Schlagzeilen gemacht hat, schwärmt die deutsche Presse in diesen Tagen von seiner musikalischen Liebeserklärung an die Hauptstadt.
Noch immer stehen in vielen Interviews mit Geffen auch seine politischen Ansichten und seine linken Überzeugungen im Mittelpunkt. Er antwortet gern auf politische Fragen, unterstreicht erneut seine radikalen Thesen von einer Aufgabe aller Siedlungen und seine Forderung nach einer Rückgabe Ost-Jerusalems an die Palästinenser. Er glaube, dass nur so der Frieden im Nahen Osten möglich sei, sagt er. »Vielleicht ist es ein bisschen naiv zu sagen, mit dem Rückzug löst sich das Problem«, gibt er zu, »aber, um ehrlich zu sein, sehe ich keinen anderen Weg. Natürlich kann es sein, dass die Palästinenser ihr Land zurückbekommen und trotzdem weiter schießen, aber ich ziehe es vor, das wenigstens auszuprobieren.«
Nicht immer lieben ihn die Israelis für seine Ansichten – noch weniger, da Geffen einer der prominentesten und ersten Wehrdienstverweigerer Israels ist und seit Jahren seinen Lebensmittelpunkt außerhalb des Landes hat.
»Jetzt ist es eine schöne Mischung«, sagt er sehr zufrieden auf die Frage, ob er denn inzwischen auch über seine Musik reden könne. »Die Journalisten interessieren sich für meine Hintergründe, aber sie sind auch am Album, der Tour und dem Rest interessiert.«
Schon Geffens biographische Hintergründe können ganze Zeitungsseiten oder gar Bücher füllen. Er beschreibt seine Kindheit dann auch als einen der Schlüssel für seine Musik. Aufgewachsen als Scheidungskind, mit einem berühmten Vater, dem Dichter Jonathan Geffen, und als Neffe des einstigen Verteidigungsministers Moshe Dayan, genoss er mehr Freiheiten als der normale Israeli. Schon in seiner Kindheit interessiert ihn die Musik mehr als die Schule. Er bringt sich lieber das Spielen von Instrumenten bei – sieben sind es insgesamt –, anstatt die Schule mit einem Abschluss zu verlassen.
Mit 18 Jahren, in einem Alter, in dem andere Jugendliche in der Armee dienen, produziert er sein erstes Album. Schnell zeigt sich, dass er mit seinen teils düsteren Songs über Liebe, Tod und Frieden vielen jungen Israels aus der Seele spricht. Er bezieht zu aktuellen Ereignissen Stellung und mischt sich mit seinen Songs ein, er verfasst gewissermaßen den Soundtrack einer Generation. Für ihn seien Stift und Gitarre Waffen, damit diene er seinem Land. »Ich denke, ich habe einer Menge Jungen und Mädchen geholfen. Wenn sie zu meinen Shows kommen, ist das für sie wie eine Therapie«, sagt er nicht ohne Stolz. »Sie können während meiner Songs weinen, sich Fragen stellen. Ich weiß, dass ich ein Teil des Soundtracks ihres Lebens bin.« Mit seinen Songs verarbeitete der Sänger auch seine schrecklichen Erlebnisse vom 4. November 1995, als er gerade von der Bühne ging und nur wenige Meter neben ihm Yitzhak Rabin erschossen wurde. Von dem Trauma, dass der ultrareligiöse Attentäter sich als Geffens Fahrer ausgab, habe er sich bis heute nicht erholt.
Die Songs für sein erstes internationales Album hat er mit Bedacht ausgewählt. Düstere Popsongs mit hymnisch anmutenden Momenten, inhaltsschweren Texten, Rock und Elektroklängen vereint. Mit »Cloudy Now« hat Geffen einen seiner größten Hits aus den neunziger Jahren für den internationalen Markt neu arrangiert. Der Song, so sagt er, sei für ihn auch 16 Jahre später noch aktuell. Überhaupt, so meint er im Laufe unserer Diskussion über die aktuelle Lage in Israel, habe sich seit der Ermordung Rabins wenig zum Positiven gewendet. »Irgendwie haben wir in Israel kein Glück im Friedensprozess«, sinniert er. »Als Ehud Barak Arafat alles anbot, war Arafat ein richtiger Idiot und bevorzugte es, lieber als Shahid zu sterben statt als ein großer leader, und dann fiel Ariel Sharon ins Koma – irgendwie haben wir nur Pech.« Geffen ist Patriot und Kritiker Israels gleichermaßen, er betont, an Veränderungen zu glauben, die seine Musik bringen könne. Auf Gott verlassen will sich der Atheist und Friedenskämpfer mit der Gitarre in der Hand dabei lieber nicht. Der sei, so sagt er lachend, vielleicht einfach »kein Pazifist«.

Aviv Geffen: Aviv Geffen (Mars Records/Rough Trade)