Europas Rechtspopulisten nach dem Referendum in der Schweiz

Die Freunde der eidgenössischen Gesinnung

Das Schweizer Votum gegen den Bau von Minaretten finden Europas rechtspopulistische Parteien vorbildlich.
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Manche behaupten, der humanistische Gründungsmythos der Schweiz beruhe in Wirklichkeit nur auf einem Aufbegehren zivilisationsfeindlicher Bergstämme gegen den Fortschritt. Dass es mit der liberalen Tradition und Weltoffenheit der Schweizer nicht weit her ist, hat die Volksabstimmung über das Verbot von Minaretten bewiesen. 57 Prozent Ja-Stimmen – ein unerwarteter Erfolg für die rechtskonservative Schweizer Volkspartei (SVP), von deren Basis die Initiative ausging. Parteipräsident Toni Brunner sprach triumphierend von einem »Votum gegen die Etablierung von Parallelgesellschaften«. Vorausgegangen war eine populistische Kampagne mit dem Ziel, die Deutungshoheit in der Debatte zu erlangen. Die Strategie hieß Überhöhung: Minarette wurden als »Symbole für den politischen Islam« imaginiert, auf welche notwendigerweise Hassprediger, Zwangsheirat, Ehrenmorde, gar die Scharia in der Schweiz folgen würden. Verbildlicht wurde diese Vorstellung durch ein Plakatmotiv, das eine Frau mit Burka vor einer von Minaretten durchbohrten Schweizer Flagge zeigte.

Sollte diesmal die drohende »Ausdehnung des Islams in die Schweiz« (SVP) irrationale Ängste vor den größtenteils gut integrierten Moslems schüren, so waren es in früheren Kampagnen »kriminelle Ausländer« oder Linke, »die unser Land ruinieren« – kreativ dargestellt als Raben, schwarze Schafe oder rote Ratten. Wie andere Rechtspopulisten konstruiert die SVP simple Gegensätze, um in der Öffentlichkeit einen Kampf zwischen »Identitäten« zu inszenieren: Wir gegen die Anderen, Vertrautes gegen Unbekanntes. Dass die Partei damit erfolgreich ist, zeigt auch das Lob der europäischen Rechten. Die FPÖ nannte das Wahlergebnis »zukunftsweisend« und regte ebenso wie der französische Front National und die italienische Lega Nord zu ähnlichen Abstimmungen im eigenen Land an. Judith Wolter, Vorsitzende der Fraktion von Pro Köln im Kölner Stadtrat, meinte, ein Minarettverbot »muss auch in Deutschland möglich sein«.
Gern gibt sich die SVP als die bürgerliche Partei, immer besorgt um die Ängste des Kleinbürgers und die Interessen der wirtschaftlichen Eliten gleichermaßen. Dabei zeugen weder die inhumane Asylpolitik noch ihre Polemik gegen das Völkerrecht noch der populistische Personenkult um den ehemaligen Bundesrat Christoph Blocher von Bürgerlichkeit im klassischen Sinn. Gemessen an der Zustimmung im Wahlvolk, das ihr bei den Nationalratswahlen 2007 die meisten Stimmen bescherte, kann die SVP aber durchaus als Konsenspartei gelten. Sie hat es verstanden, die Verunsicherung in einer wirtschaftlich prekären, globalisierten Welt zu instrumentalisieren. Sei es der Frust der Mittelschicht über die gut ausgebildete Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt oder der Rassismus in den kaum von Migranten bewohnten ländlichen Gebieten – die SVP reagiert. Ihre plakative Propaganda und medienwirksame Eventisierung der Politik trifft dabei auf einen in der Schweiz weit verbreiteten Rassismus, der bis heute weder aufgearbeitet noch systematisch untersucht wurde – auch wenn es angesichts der Komplexität der Debatte um Islamisierung verkürzt wäre, das Votum nur darauf zurückzuführen. Hinzu kommt indes ein Mangel an Gegenöffentlichkeit. Andere Parteien waren sich der Ablehnung der Initiative so sicher, dass sie kein Geld in eine Gegenkampagne investierten.
Nach der Volksabstimmung kündigte die SVP an, die Ausländerpolitik zu einem Schwerpunkt im Wahlkampf 2011 machen zu wollen. In einem Newsletter wandte sich Anian Liebrand, Vorsitzender der Jungen Luzerner SVP, an seine Leserschaft: »Sie sind aufgefordert zu handeln, wenn sich kulturfremde, nicht integrierte Ausländer unseren Pass erschleichen wollen.« Beigefügt war ein Musterbrief, mit dem sich Privatpersonen über Einbürgerungsgesuche beschweren können.
Die Übergänge von der SVP zur rechtsextremen Szene sind fließend, Besorgnis erregt in der Partei jedoch nur die negative Medienwirkung. Zuletzt löste im Oktober ein SVP-Nationalrat einen Skandal aus, als er an einer Podiumsdiskussion des rechtsextremen Bloc Identitaire in Frankreich teilnahm und diese rasch verließ, als rassistische Reden gehalten wurden. Regelmäßig dementiert man Kontakte, die der SVP-Jugendorganisation zur »Partei national orientierter Schweizer« (PNOS) nachgesagt werden. Ihrem Selbstbild nach ist die PNOS die »einzige wirkliche nationale Alternative«, mit ihren Forderungen nach »ethnischer und kultureller Geschlossenheit des Volkes«, der »Bekämpfung globalistischer Vereinigungen« und der »Abschaffung der Zins- und Kreditwirtschaft« ähnelt sie anderen antikapitalistisch und völkisch argumentierenden Parteien wie der NPD. Zuletzt handelte sich die Partei eine Klage ein, weil sie auf ihrer Homepage das Tagebuch der Anne Frank als »Lügengebilde« bezeichnet hatte, welches der »Holocaustindoktrinierung« diene. Zumindest erhielt die SVP bei der Minarett-Kampagne Unterstützung von Mitgliedern der PNOS, die Flugblätter verteilten, auf denen Minarette als »Machtsymbole fremder Zivilokkupanten« bezeichnet wurden.

Die PNOS gilt als politischer Arm einer wachsenden Neonaziszene, die sich am Vorbild der deutschen Kameradschaften orientiert. Gruppierungen wie die »Helvetische Jugend« (abgekürzt HJ), die ebenfalls an den Flugblattaktionen teilnahm, etikettieren sich als »eidgenössisch gesinnt«. Gegenüber der SVP gibt man sich grundsätzlich offen, auch wenn diese die Existenz einer Neonaziszene in der Schweiz leugnet.
Nazis nehmen an SVP-Kundgebungen teil und untermauern deren Forderungen, indem sie wie im Kanton Genf mit falschen Muezzin-Rufen vor den Folgen einer Ablehnung der Initiative warnen. Im selben Ort bewarfen Unbekannte Ende November eine Moschee mit Steinen und Farbbeuteln. Der SVP wird aus Nazikreisen vor allem mangelnde Konsequenz vorgeworfen. So heißt es auf der Homepage des »Kampfbundes Nationaler Aktivistinnen«, dass die Minarett-Initiative zwar nur »an der Oberfläche der Ausländerproblematik« kratze, jedoch »ein Zeichen gegen die herrschende Zuwanderung und Überfremdung gesetzt werden konnte«. Dies würden die SVP und wohl auch eine Menge Schweizer unterschreiben.