Das Grab von Federico García Lorca wird in Spanien noch gesucht

Vom Himmel ermordet

Der spanische Dichter Federico García Lorca war eines der ersten und prominentesten Opfer der Franquisten. Doch die Umstände ­seiner Ermordung konnten bis heute nicht restlos geklärt werden. Die kürzlich erfolgte Suche nach seinem Leichnam blieb erfolglos.

Eine schmale Landstraße, von Einheimischen »Landstraße des Todes« genannt, führt zu den Hängen der Sierra de Alfacar im Nordosten der Provinzhauptstadt Granada. Unweit der Straße liegen die Reste der Colonia, in den Jahren der Republik ein Ferienlager für Schulkinder. Nachdem die Falangisten am 20. Juli 1936 in Granada die Macht übernommen hatten, wurde das Gebäude in ein Behelfsgefängnis umfunktioniert. »La Colonia« diente als Todescamp für die in Granada verhafteten Gegner des Regimes. Meist wurden die Opfer in den frühen Morgenstunden erschossen und an Ort und Stelle verscharrt. In den Tälern und Hängen der Sierra liegen auch heute noch Hunderte von Leichen begraben.
Am Morgen des 19. August 1936 wurden vier Gefangene in einen nahen Olivenhain geführt. Die Todeskandidaten: der 38jährige Federico García Lorca, der Lehrer Dióscoro Galindo González, zum Tode verurteilt, weil er »linken Ideen anhing«, sowie die Stierkämpfer Joaquín Arcollas Cabezas und Francisco Galadí Mergal, Vertreter der anarchistischen Bewegung aus Granada – sie hatten gegen die Übernahme der Stadt durch die Putschisten bewaffneten Widerstand geleistet. Die Gefangenen wurden von Francos berüchtigter »Escuadra Negra« hinterrücks erschossen – in einem Olivenhain nahe der Fuente Grande, einem Quellweiher, der von den Mauren »Ainadamar« genannt wurde: Quelle der Tränen. Fasziniert von der Schönheit der Um­gebung hatten dort maurische Adelige ihre Sommerresidenzen gebaut. Der größte Dichter Granadas starb an dem Ort, dessen Schönheit in den Werken islamischer Dichter besungen wurde: Federico García Lorca, der zu sagen gewagt hatte, dass die Eroberung des maurischen Granada durch Ferdinand und Isabella ein entsetzliches Unglück war. Wegen seiner republikanischen Ideale, seiner gesellschaftskritischen Arbeiten und wohl auch wegen seiner Homosexualität wurde der Dichter zur Zielscheibe der politischen Rechten. »Lorca wurde von der traditionalistischen Mentalität Spaniens ermordet«, so der irische Lorca-Biograf Ian Gibson. Federico García Lorca wurde ein Opfer des Hasses der katholischen Kirche und des konservativen Teils der Gesellschaft Granadas, den er die »schlimmste Bourgeoisie von ganz Spanien« nannte.
Die Opfer der »Landstraße des Todes« wurden in der Regel von anderen Gefangenen der Colonia beerdigt, die man so lange am Leben ließ, wie es den Schlächtern gefiel. Der Totengräber Lorcas war ein junger Kommunist namens Manuel Castilla Blanco. Kurz nach der Erschießung kam er an den Ort der Bluttat und erkannte die beiden Stierkämpfer, einen Mann mit einem Holzbein sowie ein weiteres Opfer, das eine locker gebundene Schleife trug, »in der Art, wie sie Künstler tragen«. Er begrub die Leichen, eine über der anderen, in einem Graben neben einem Olivenbaum. Zurück in der Colonia erfuhr er, dass der Mann mit dem Holzbein der Lehrer Galindo war und der mit der Schleife Federico García Lorca. Der Gitarrist Angel Barrios, ein langjähriger Freund Lorcas, suchte wenige Tage nach der Tragödie den Ort des Geschehens auf und fand das Grab. Man hatte Kalk auf die Stelle geschüttet, und in der ganzen Gegend hing Leichengeruch in der Luft.
Schnell wurde über die Grenzen des Landes hinaus bekannt, dass Federico García Lorca von den Franquisten ermordet worden war. Die gesamte spanischsprechende Welt war betroffen und die europäische Presse berichtete über den Tod des Dichters. Über Nacht wurde Lorca zum Märtyrer der Republik. Schnell erkannten die spanischen Nationalisten die möglichen Auswirkungen des Ereignisses und taten alles, um die Schuld für das Verbrechen von sich zu weisen. Die nationalistische Presse lancierte eine Reihe von Berichten, in denen Lorcas Tod als Unfall dargestellt und sogar den Republikanern in die Schuhe geschoben wurde. Letztlich hatten sie damit Erfolg. 1940 wurde Lorcas Tod auf dem zuständigen Amt in Granada registriert. In dem Dokument ist zu lesen, Lorca sei »im August des Jahres 1936 infolge kriegsbedingter Verletzungen gestorben«. Der Tod eines der größten Dichter des 20. Jahrhunderts ist bis heute ein Tabu.

Gedenken versus Trauma
Wer heute die Colonia aufsucht, findet ein ummauertes Wasserbecken und eine steinerne Platte, in die ein Lorca-Gedicht eingemeißelt ist: »Vuelta del Paseo«. Das Gedicht beginnt und endet mit den Worten »Asesinado por el cielo« – vom Himmel ermordet. Das Kultusministerium der andalusischen Regierung hat die Platte anbringen lassen, in Erinnerung an den Dichter. Nicht weit davon befindet sich die Gedenkstätte »Parque García Lorca«, an der Stelle, an der die Toten liegen sollen. Ein Gedenkstein weist auf den Tatort hin: »In Erinnerung an Federico García Lorca und alle Opfer des Bürgerkriegs«. Nicht erwähnt sind die Umstände seines Todes und die Täter sowie ihre Motive. Das würde das Tabu von Bürgerkrieg und Diktatur berühren.
Im Juli 1936 begann der Spanische Bürgerkrieg mit dem versuchten Staatsstreich einer Offiziersjunta, die in Spanien eine faschistisch-klerikale Diktatur errichten wollte. Treibende Kraft bei der Vorbereitung und Durchführung des Putsches war General Francisco Franco. Am 1. Oktober 1936 inszenierte Franco seine Proklamation zum Regierungschef und Generalissimus, später nannte er sich »Caudillo por la gracia de Dios« (Führer von Gottes Gnaden). Es begann ein sich bis in den späten März 1939 hinziehender Bürgerkrieg, der mit dem Sieg Francos endete. Bis 1975 sollte der Diktator über Spanien herrschen. Die Franquisten ermordeten mehr als 100 000 politische Gegner, allein in der Provinz Granada soll der Franco-Terror 12 500 Opfer gefordert haben.

Täter und Motive
In höchstem Maße als verhängnisvoll sollte sich Lorcas Entscheidung erweisen, Madrid zu verlassen und nach Granada zurückzukehren. Lorcas Freund, Fulgencio Díez Pastor, ein Mitglied der spanischen Volksvertretung der Cortes, hatte dem Schriftsteller empfohlen, in Madrid zu bleiben. Ähnlich lautender Rat kam von anderen Freunden und Kollegen. Der Autor entschied sich dennoch für eine Rückkehr auf das väter­liche Landgut Huerta de San Vicente. Im Umfeld seiner Familie wähnte er sich sicher. »Ein Unwetter zieht sich zusammen, und ich geh’ heim«, sagte er. »Dort bin ich sicher vor dem Blitz.« Am 16. Juli 1936 verließ Lorca mit dem Nachtzug Madrid, um in das für ihn vermeintlich sichere Granada zurückzukehren. Ein Irrtum, denn Granada war zu diesem Zeitpunkt keine Bastion der Volksfrontregierung mehr. In den Tagen nach dem 20. Juli übernahmen Francos Truppen die Stadt – der Terror gegen den politischen Gegner begann. Eines der ersten Opfer war der sozialistische Bürgermeister Granadas, Manuel Fernández Montesino, ein Schwager Lorcas, er wurde bereits am 20. Juli verhaftet und im Provinzgefängnis festgesetzt.
Lorca hatte angesichts der Ereignisse und der heraufziehenden Gefahr für seine Person die Huerta am 9. August verlassen und sich in das Haus seines Freundes Luis Rosales geflüchtet. Ramón Ruiz Alonso, ein stadtbekannter Spitzel und Profiteur des Terrorregimes, denunzierte Lorca beim Kommandanten der Guardia Civil, Oberstleutnant Velasco. Am 16. August, kurz vor Morgengrauen, wurde Manuel Fernández Montesino zusammen mit 29 anderen Gefangenen auf dem städtischen Friedhof ermordet, am Nachmittag desselben Tages verhafteten Handlanger der Franquisten Lorca im Hause Rosales. Verantwortlich für die Ermordung Lorcas war Major José Valdés Guzmán. Valdés erhielt von seinem Vorgesetzten, General Queipo de Llano, dem militärischen Machthaber in Sevilla und Granada, den Befehl, Federico García Lorca zu liquidieren. Alle Versuche, ihn zu retten, blieben erfolglos, keiner seiner Freunde und Verwandten sollte ihn wiedersehen.

Aufklärung gefordert
Jahrzehntelang hatte das Trauma des Bürgerkriegs die spanische Gesellschaft gespalten, die Verbrechen der Franco-Diktatur wurden tabuisiert. Der Lorca-Biograf Ian Gibson hat als einer der ersten die Exhumierung der Leichen gefordert und damit ein Tabu verletzt, das selbst Lorcas Nachkommen zum Schweigen gebracht hatte. Vor einigen Jahren wurde in Granada ein Verein für die »Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses« gegründet. Seine Mitglieder kämpfen seit vielen Jahren für die restlose Aufklärung der unter Francos Herrschaft begangenen Gewalttaten. Ian Gibson, der heute als spanischer Staatsbürger in Madrid lebt, droht, Spanien für immer zu verlassen, sollten die spanischen Behörden die Suche nach Lorcas Grab aufgeben: »Ich will, dass man Lorcas Grab findet. Ich will wissen, wo er ist. Um schlafen zu können.«
Im vergangenen Jahr erklärte der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón die Aufklärung der Verbrechen des Franco-Regimes zu seiner persönlichen Angelegenheit. Garzón hatte sich vor allem durch die Erlassung eines Haftbefehls gegen den ehemaligen chilenischen Staatspräsidenten Augusto Pinochet und durch seinen Kampf gegen den baskischen Separatismus einen Namen gemacht. Die von ihm im September 2008 eingeleiteten Ermittlungen sollten das Schicksal der während der Diktatur Verschwundenen klären. Garzón erließ die Anordnung, die über das ganze Land verteilten Massengräber aus der Frühphase des Franquismus zu öffnen, auch das Grab Lorcas. Darüber hinaus eröffnete der Richter ein Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschheit gegen eine Reihe von Führern des Franco-Regimes. Garzón forderte ebenfalls, das Amnestiegesetz von 1977 aufzuheben, das in Spanien jahrzehntelang Ermittlungen gegen hohe Entscheidungsträger des Regimes verhindert hatte. Der Untersuchungsrichter musste seine Ermittlungen jedoch einstellen, nachdem der Nationale Gerichtshof in Madrid erklärt hatte, dass Garzón nicht zuständig sei.
Der Fall Lorca wurde nun Angelegenheit der andalusischen Regierung. Die zuständige Justizministerin Begoña Alvarez ordnete die Öffnung der Gräber an, die Ausgrabungsarbeiten begannen Ende Oktober. In der Zwischenzeit hatten auch die Nachkommen Lorcas nach langem Zögern ihren Widerstand gegen eine Exhumierung aufgegeben. Die Stelle, an der man das Grab vermutete, wurde weiträumig abgesperrt, die dort arbeitenden Archäologen und Anthropologen unterliegen einem strengen »Schweigegesetz«, das die Regierung von Andalusien zum Schutz der Privatsphäre verhängt hat. Sogar dem Lorca-Experten Ian Gibson verweigerte man den Zutritt zur Grabungsstelle. Ursprünglich war eine erste Grabungsphase über einen Zeitraum von eineinhalb Monaten geplant. Danach sollte, falls Überreste gefunden würden, der Forensiker José Antonio Lorente seine Arbeit aufnehmen und mit der Identifizierung beginnen. Zum ersten Mal gab es einen Anhaltspunkt für die Stelle, an der der Autor erschossen und verscharrt worden sein könnte. Auf einem Felsstein in der Nähe des vermuteten Grabes glaubte man, Schussspuren zu erkennen. Aufgrund dieses Fundes sollten die Ausgrabungen noch bis zum 30. Dezember verlängert werden. Doch dann wurden die Arbeiten überraschend abgebrochen und der Schlussbericht vorgelegt – es wurden keine mensch­lichen Überreste gefunden, weder von Lorca noch von anderen Personen. Auch die auf dem Felsstein gefundenen Spuren konnten nicht zweifelsfrei als Schussspuren identifiziert werden. Dies gab Justizministerin Begoña Alvarez am 18. Dezember bekannt. Anderthalb Monate hatten Archäologen, Historiker und Gerichtsmediziner nach den sterblichen Überresten von Mordopfern der Franco-Diktatur gesucht.
Ian Gibson glaubt fest daran, dass Lorca immer noch dort in der Nähe liegt. So wie er davon überzeugt ist, dass Manuel Castilla Blanco die Wahrheit sagte, als er ihm Mitte der sechziger Jahre Lorcas Grab zeigte. Die Regionalregierung hat beschlossen, die Suche nach den Opfern aufzugeben. Damit bleibt das Schicksal García Lorcas nach wie vor ungeklärt.
Gleichzeitig wird der Ruf nach einer nationalen Gedenkstätte laut. Während das unter Franco gebaute Kriegerdenkmal im »Tal der Gefallenen« gigantisch ausfiel, gibt es nur wenige bescheidene Mahnmale für die auf Seiten der Republik Gefallenen und die Opfer der franquistischen Gewaltherrschaft. An Federico García Lorca erinnert eine Statue auf der Plaza de Santa Ana in Madrid, das Sommerhaus der Lorcas, die Huerta de San Vicente, ist ein Museum der Fundación García Lorca und dann gibt es noch die kleine Gedenkstätte am Tatort, an der »Landstraße des Todes«. Im Kugelhagel der Mörder – so berichteten Augenzeugen – klammerte sich Lorca verzweifelt an einen Ölbaum. Noch erinnert nur ein Gedenkstein, kein Grabstein an seinen Leidensweg. Doch errichtete ihm bereits 1936 der Dichter Antonio Machado ein frühes literarisches Denkmal, gleichsam Nachruf und Anklage: » In Granada geschah der Mord, dass ihr’s wisst – armes Granada! – in seinem Granada«.