Nichts ist schöner als ein kleines Tribunal, bei dem es gesittet, aber deutlich zugeht. Da saß Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der Partei »Die Linke«, am Montag mit aufgerissenen Augen im Publikum der alljährlichen Neujahrsklausurtagung der Partei und rieb sich das Kinn, während ihm der zweite Parteivorsitzende Gregor Gysi am Rednerpult eine feine Abreibung verpasste. »Ich sage das jetzt auch sehr offen, obwohl ich ihn sehr mag«, hob Gysi in Richtung Bartsch an, um klar zu machen, dass es ihn wirklich traurig mache, den Genossen Bartsch tadeln zu müssen, und fuhr fort: »Da war der Bundesgeschäftsführer gegenüber einem der Vorsitzenden nicht loyal.« Streng schob er nach: »Und das hat Folgen.« Aber heute haut man nicht mehr aufs Pult und schreit: »Du hast das Vertrauen des großen Parteivorsitzenden Lafontaine mißbraucht!«, sondern sagt mit einer merkwürdig linkischen Handbewegung: »Weil dann das Vertrauensverhältnis in der engeren Führung beschädigt ist.«
Unsere gegenwärtigen Probleme haben bekanntlich mit einem Artikel zu tun«, erklärte Gysi – mit einem Artikel im Spiegel, der Bartsch zitiert, es habe schon vor den Wahlen »im engsten Führungskreis Diskussionen darüber« gegeben, »dass Oskar Lafontaine nach der Wahl nicht mehr die Fraktion führen wird« – ein Indiz, dass Lafontaine seine Wähler getäuscht habe. Nun mag es für einen Bundesgeschäftsführer unprofessionell sein, die Wahrheit zu sagen, wenn diese dem Vorsitzenden schadet. Aber weiter wird kolportiert, dass Bartsch kolportiert haben soll, Lafontaine habe eine Affäre mit Sahra Wagenknecht. Dass sich Lafontaine kurz darauf einer Krebsoperation unterziehen musste, und darum auch zur Klausur nicht kommen konnte, ließ das Gerücht besonders bösartig erscheinen.
»Es ist jetzt bei uns ein Klima der Denunziation entstanden. Ich finde dieses Klima unerträglich, und ich werde mich daran nie beteiligen«, sprach Gysi. Aber: Ob Gysi hier nicht selbst jemanden als Denunzianten denunziert? Bartsch sieht sich jedenfalls auch als Opfer einer Verschwörung: »Es ist offensichtlich eine Kampagne initiiert worden«. Von wem – darüber wolle er nicht spekulieren. Wahrscheinlich ist auch Bartsch so ein ganz Edler, der sich, wie Gysi, »niemals« an einem »Klima der Denunziation« beteiligen würde.