Der Werwolf-Roman »Scharfe Zähne« von Toby Barlow

Sie heulen wieder

Toby Barlow hat mit »Scharfe Zähne« einen Werwolf-Roman in Versform geschrieben.

Ein Buch über Werwölfe in poppiger, leicht trashiger Aufmachung? Das könnte ein guter Indikator dafür sein, wie es um das Horror-Genre in der Postmoderne bestellt ist.
Der Vampir schwächelt derzeit ja bedenklich, zumindest in seiner mainstream­taug­lichen Erscheinungsform, wie man in den »Twilight«-Filmen beobachten kann. Lauter weichgespülte Kreaturen sind da zu sehen, die sich weniger fürs Blutsaugen als für traditionelle Familienwerte und die Wahrung vorehelicher Keuschheit interessieren.
Schlagen wir also Toby Barlows Debütroman »Scharfe Zähne« auf: Wie geht es hier den Werwölfen?
Alles beginnt mit Anthony, einem arbeitslosen Latino aus East L.A., der einen Job als Hundefänger antritt und, anfänglich nichtsahnend, zwi­schen die Fronten rivalisierender Werwolf-Clans gerät – oder eigentlich »Werhund«-Clans, da die Kreaturen, einmal verwandelt, durch nichts von stinknormalen Wach- und Schoßhunden zu unterscheiden sind.
Zum einen gibt es das Rudel rund um Lark, ei­nen Ex-Anwalt, der auf »Disziplin von innen« setzt und aus undurchsichtigen Gründen den Pasadena-Bridgeclub infiltrieren lässt. Zum anderen sind da die Hunde der Hippie-Surferin An­nie, die es jedoch, wie zu erwarten, in ihrer tierischen Daseinsform mit »Peace and Love« auch nicht so genau nehmen.
Richtigen Ärger gibt es, als Baron, ein Mitglied aus Larks Gruppe, eine Meuterei anzettelt und nach viel Blutvergießen und einigen toten Hunden ein neues Rudel gründet, das nach komplett anderen Regeln funktioniert. An diesem Punkt schaltet sich der Polizist Peabody ein, selbst eine Art einsamer Kojote. Er wurde ganz allein auf diesen mysteriösen Fall angesetzt, der anfangs nicht viel mehr ist als »ein paar wirklich eigenartige Hunde und ein lispelndes Flüstern über eine schlechte Telefonverbindung«.
Die meiste Zeit verbringt Peabody damit, in sei­nem Auto zu essen, zu schlafen und zu warten, ohne eigentlich zu wissen, worauf oder warum. Inmitten dieser komplizierten Verwicklungen und neu hinzukommenden Charaktere droht sich der Sympathieträger Anthony hin und wieder ein wenig zu verlieren. Zumal, trotz vieler großartiger Ideen und einigem Satire-Potential, der Plot oft recht vorhersehbar gestrickt ist. Die meisten Hauptfiguren – der Hardboiled-Detective, der zwielichtige Drogenboss, die Femme fatale – bleiben recht blass und kommen über ihr Dasein als bloße Stereotype nicht hinaus.
Die obligatorische Romanze, die auch noch untergebracht ist, bietet immerhin einen makabren Twist: Unwissend, dass es sich bei seiner Angebeteten um eine Werwölfin handelt, verliebt sich der Hundefänger Anthony in das »Alpha-Weibchen« aus Larks Rudel. Sex und Liebe, das wird schnell klar, haben bei Barlow immer auch mit Macht zu tun, mit Verschlingen oder Verschlungenwerden.
Diese kompromisslose, etwas pathetische Betrachtung hebt sich angenehm ab vom oberflächlich-distanzierten Beziehungsgeplänkel der gängigen deutschen Gegenwartsliteratur. So sind der Annäherung zwischen den beiden verlorenen Seelen einige der schönsten Passagen des Buches gewidmet: »Sie hält ihn so,/wie man eine Truhe voller Liebesbriefe hält,/wenn dein Schiff versenkt wurde/und die Strömung dich hinauszieht.«
Wer sich gefragt hat, warum Barlow seinen Neo-Noir-Mystery-Thriller ausgerechnet in freien Versen verfasst hat, erhält spätestens in diesen Zeilen die Antwort. Kein anderer Stil hätte eine derartige Wandlungsfähigkeit zwischen zarter Poesie und abgehackter, treibender Hardboiled-Action erlaubt. Durch die eigenwilligen Zeilenumbrüche ergibt sich ein fast cinematographischer Effekt, die Möglichkeit, eine Szene in einem zunächst randständig erscheinenden Detail atmosphärisch perfekt zu fassen. Insgesamt ist diese genre-untypische epische Form erstaunlich flüssig lesbar. Einziger Wermutstropfen: Die Übersetzung fällt weit hinter das Original zurück. Zudem wurde ziemlich nachlässig lektoriert, was das Lesevergnügen leider ein wenig mindert.
Mehr als die Auflösung der verworrenen Hand­lungsfäden und der arg plakative Showdown interessieren letztlich die in der Werwolf-Idee an­gelegten makaber-ironischen Twists. Und von denen gibt es so einige.
Dank einer Marketingkampagne werden Tausende von Lykanthropen in Gestalt artiger Familienhunde aus den Tierheimen nach Suburbia geholt. Dort tollen sie mit wohlgeratenen Kindern über einen akkurat geschorenen Rasen, spielen mit Bällchen und Stöckchen, bis zu dem Tag, »an dem das endgültige Signal gesendet wird«. Eine originelle Variante von »Das Böse ist mitten unter uns« – perfide und beinahe camp.
Nach der Zerschlagung seines Rudels taucht Lark bei der schlaftablettensüchtigen Vorstadt-Neurotikerin Bonnie unter, als deren treuer Gefährte »Buddy«. Auch sie leidet an etwas, kehrt dieses Zerrissensein, im Gegensatz zu den Gestaltwechslern, jedoch niemals nach außen, denn »ihr Allergologe sagt, es ist der Wechsel der Jahreszeiten,/deswegen fühlt sie sich zerrüttet«.
So verbringen sie gemeinsame Abende vor dem Fernseher; »sie bringt ihm Reste von ihrem Bürolunch mit nachhause./Sie rubbelt seine Läufe./Sie hebt seine Scheiße auf./Wer hatte gewusst, dass das Leben so gut sein kann.« Diese Beschreibung könnte man als parodistische Über­spitzung der geschlechterrollentypischen Arbeitsteilung lesen, in der die Frau Geborgenheit und Ruhe symbolisiert, als Gegenpol zum harten Konkurrenzkampf unter Männern.
Sehr treffend ist auch der Kontrast zwischen Peabodys Kojoten-Dasein und seinem Leben als Familienvater skizziert. Als der Fall für abgeschlossen erklärt wird, ahnt der Ermittler, dass für ihn das Wesentliche nach wie vor im Dunkeln liegt. »Er begräbt die Erinnerung an die Blon­dine,/wie sie ihn im Zwielicht von San Pedro anlächelt,/an den knienden, schluchzenden Anthony/in den Kohlen seines ausgebrannten Hauses.« In diesen Zeilen verbirgt sich eine tiefere Wahrheit: Nur um den Preis der Verdrängung dunkler, unverstandener Sehnsüchte ist seine Rückkehr zu Frau und Kind und Routinejob mög­lich. Dies verweist auf einen Wesenszug des Horrorgenres. Die Normalität wird zerstört und für eine Weile durch das Monströse ersetzt – was besonders erschreckend ist, wenn dabei die Normalität als Illusion entlarvt und in ihren Grundfesten erschüttert wird. Ebenso wie der Vampir ist auch der Werwolf ein Tabubrecher, der die Grenzen zwischen Gut und Böse, Leben und Tod, weiblich und männlich überschreitet. Die Auflösung des normativ gebundenen, vereinheitlichten Ichs ist Bedrohung und Befreiungsakt zugleich, der fragmentierte, unkontrollierbare Körper des Werwolfs ein Symbol für die ultimative Befreiung.
Barlows postmoderne Lykanthropen sind nicht einmal an den Vollmond gebunden. Sie ver­wandeln sich, wann immer ihnen der Sinn danach steht, oder manchmal – nobody’s perfect – nehmung des Geruchs von gebratenen Hähnchen. Leider nutzt Barlow dieses Subversionspotential kaum aus. Es findet weder eine Dekonstruktion der Heteronormativität noch der Geschlechterbinarität statt. Im Gegenteil: Barlows archaisch strukturierte, auf paramilitärischer Ordnung basierende Rudel sind reine Männerbünde, die sich um jeweils ein Weibchen gruppieren. Das herrschende Alpha-Männchen fungiert als eine Art Zuhälter, der das Weibchen gezielt als »Belohnung« für in der Rangordnung aufsteigende Rudelmitglieder einsetzt und ansonsten vor Übergriffen beschützt. Während die Ordnung der Normalbürger heftiger Kritik ausgesetzt ist, werden diese männerbündischen Strukturen kaum in Frage gestellt. Anstatt die Lykanthropie als bestimmtes Männlichkeitsideal aufzuzeigen oder zu pa­rodieren, wird die Freisetzung des »Tiers im Manne« eher naturalisiert und an einigen Stellen sogar verherrlicht.
Anzurechnen ist Barlow immerhin, dass seine Protagonistinnen nicht nur Opfer, sondern zugleich auch Täterinnen sind. Die duale Daseinsform als Mensch und Bestie gibt ihnen die Chance, sich für erlittene Demütigungen und Misshandlungen brutal und effektiv zu rächen, was für ambivalente Charaktere und einige innerpsychologische Konflikte sorgt. Nichtsdestotrotz kämpft die namenlose »Sie«, in die Anthony sich verliebt, auch als Werwölfin mit den Waffen einer Frau. Wie jede ordentliche Femme fatale lockt sie mit Sex, um dann das innere Biest herauszulassen, tödlich zuzubeißen und nach der Metzelei das Blut ihrer Opfer aufzulecken.

Toby Barlow: Scharfe Zähne. Milena-Verlag, Wien 2009, 348 Seiten, 23,50 Euro