Berlin Beatet Bestes, Folge 30

Vor dem Bademantel

Berlin Beatet Bestes. Folge 30. Olli + Ulf: Red Hot (1978).

Im Jahr 1978 war ich zwölf Jahre alt, in der siebten Klasse und ein Rock’n’Roll-Fan. Schon damals wusste ich zum Beispiel, dass der Rockabilly-Sänger und spätere Country-Superstar Conway Twitty eigentlich Harold Jenkins hieß und sein Künstlername aus den Namen zweier Kleinstädte, Conway/Arkansas und Twitty/Texas, zusammengesetzt war. Und ich wusste auch, dass die Originalversion des Rockabilly-Klassikers »Red Hot« von Billy »The Kid« Emerson geschrieben und 1955 für Sun Records in Memphis aufgenommen wurde.
Das Original ist eine primitive Rhythm & Blues-Nummer, aus der allerdings, in der 1957 ebenfalls für Sun Records aufgenommenen Version von Billy Lee Riley, einer der rohesten und wildesten Rockabilly-Songs der fünfziger Jahre wurde. Auch Elvis versuchte sich in seiner Zeit bei Sun Records an einer Emerson-Nummer (»It rains when it pours«), die aber unveröffentlicht blieb. Dafür verwandelte er den Rhythm & Blues-Song »Mystery Train« von Little Juniors’ Blue Flames (Sun Records, 1953) zu einer Blaupause für das Rockabilly-Genre. Im selben Jahr coverte auch Bob Luman »Red Hot« für Imperial Records; seine Version habe ich als Teenager am liebsten gemocht. Die ist irgendwie ein bisschen poppiger. Diese Art von Wissen ist mir aus meiner Schulzeit hängen geblieben. Was ist mit Mathe und Bio und Physik? Da war nichts, und da ist nichts. Aber dieser Musikspezialistennonsens bewegt mich bis heute. Kein Wunder, dass ich 1979 die siebte Klasse wiederholen musste.
Die hier vorgestellte Single ist aus ver­schiede­nen Gründen schräg. Erst mal sehen die zwei Typen auf dem Cover aus wie Komiker, die Musik dazu ist aber nicht wirklich komisch und soll es wahrscheinlich auch gar nicht sein. Die Hochwasserhosen und die weißen Socken erinnern eher an den Look des Komikers Jerry Lewis als an den der Teddy Boys. Dafür haben sich Olli und Ulf aber zwei coole Rockabilly-Songs ausgesucht. Allerdings ist die Musik nicht cool. Und es ist streng ge­nommen auch gar kein Rockabilly. Als ich die Platte Anfang der Neunziger in Hamburg fand, haben mich das leicht nervige Piano und die Backgroundgirls nicht überzeugt. Offensichtlich sah das Publikum das 1978 ähnlich, sie floppte.
Erst im vergangenen Jahr las ich irgendwo, wer hinter dem Namen »Olli« steckt: Dittsche, der Mann mit dem Bademantel. Wer hätte das gedacht? Olli Dittrich war ein Rockabilly! Logi­scherweise war er ein Rockabillykomiker. Jetzt hatte die Platte plötzlich Sinn, im Alter von nur 22 Jahren hat er diesen Klamauk-Rock’n’Roll aufgenommen. Als nicht ganz so lustiges Frühwerk des lustigsten Manns Deutschlands hat diese Platte für mich eine ganz neue Bedeutung bekommen. Die Musik ist dadurch nicht besser geworden, aber meine Liebe zu Dittsche noch ein ganzes Stück größer.