Die deutsche Doku-Soap »Der Wendler-Clan«

Cola und Calzone

Sat.1 bringt mit dem »Wendler-Clan« das deutsche Pendant zur US-amerikanischen Erfolgsserie »The Osbournes« ins Fernsehen. Anstelle von Ozzy belästigt uns nun der »König des deutschen Pop-Schlagers«, Michael Wendler, mit den Luxusproblemen seiner Sippschaft.

Es hat mal wieder nicht lange gedauert. Schon wieder versetzt der Fern­sehsender Sat.1 die Freunde des Reality-TV mit einem neuen For­mat in Verzückung. Gemeint ist »Der Wend­ler-Clan«. Sat.1 lädt die Zu­schauer dazu ein, sich als Voyeure zu betätigen und sechs Folgen lang am armseligen Leben der Schla­gerfamilie Wendler teilzunehmen. Und eines kann schon jetzt verraten werden: Hier gibt es Pikantes zu sehen. Doch der Reihe nach: Michael Wendler (»der Wendler«) gilt als der »Kö­nig des deutschen Pop-Schlagers«. Ein Blick auf seine Homepage genügt, um zu erfahren, wodurch sich der deutsche »Pop-Schlager« auszeichnet: »Stimmungskracher und Tanzlieder auf der einen Seite, durchaus ­schmu­sig-nachdenkliche Stücke auf der anderen.«
Wie dem auch sei, fest steht, dass es dem ge­lern­ten Speditionskaufmann gelungen ist, durch die unablässige Dauerpräsentation seiner »Pop-Schlager«, insbesondere seiner Smash-Hits »Sie liebt den DJ« und »Nina«, die Herzen un­zähliger Fans zu erobern. In allen Bierzelten zwischen Wanne-Eickel und Bottrop-Süd, auf allen Schützenfesten zwischen Herne und Mettmann und in allen Diskotheken zwischen Palma und Mallorca. So viele Herzen jedenfalls, dass es sich für den Privatsender rechnet. Das unbekümmert-narzisstische Wesen des Wendlers spielt Sat.1 aber auch in die Hände, und die Redakteure der Doku-Soap werden genüsslich mit der Zunge schnalzen – hier muss jemand gar nicht mehr instruiert werden. Der Wendler stellt sich ganz von selbst mitsamt seiner Familie bloß. Das bringt Quote.
So sind über zwei Millionen Zuschauer nicht nur dabei, wenn der Wendler auch in Gegenwart seiner Familie nicht davor zurückschreckt, von sich in der dritten Person zu schwärmen. Auch die Erziehungsprobleme bleiben nicht unbeachtet. Adeline, die Tochter, sitzt weinend in ihrem sterilen Kinderzimmer, das nach Möbelhaus-Deko aussieht, und quengelt so lange, bis Papa dazu bereit ist, ihr einen Hund zu kaufen. Also fährt der Wendler zum Tier-Discounter, produziert sich dort vor laufender Kamera und seiner Ehefrau Claudia in selbstgefälliger Art und Weise auf Kosten eines Praktikanten (die ha­ben nie Ahnung) und muss schließlich feststellen, dass es im Tier-Großhandel leider keine Hunde gibt. Aber auch dieses Problem wird schnell gelöst: Ein kleines Hausschwein muss als Hunde-Substitut herhalten. Damit wird die Siebenjährige schon ruhigzustellen sein, denkt sich der Wendler wohl. Doch weit gefehlt. Als die kleine Adeline in Rekordgeschwindigkeit das Interesse am Schwein verliert und ihre vollende­ten Nörgelkünste einsetzt, um Reitunterricht zu bekommen, muss Oma Waltraud das wild quie­kende Schwein einfangen, wenn es aus seiner artgerechten 50 x 50 cm großen Transportbox ausbüxt, um auf den Teppich zu machen.
Opa Udo ist derweil froh darüber, dass er von alldem nichts mitbekommt und in der Ruhe des westfälischen Dinslaken den Bau der zukünftigen 2 000-qm-Supervilla des Clans überwachen darf. Da der Wendler seiner eigenen Aussage zufolge viele Neider hat, kommt es einem ungewöhnlich klug vor, dass er auch noch ein Bauschild aufstellen lässt, das majestätisch verkündet: »Hier baut Michael Wendler sein Märchenschloss!« Aber Schwiegervater Udo ist ja, Gott sei Dank, mit Wohnwagen und Wachhund an Ort und Stelle und hat die Lage voll im Griff.
In diesem Wissen kann sich der Wendler un­ter­dessen entspannt in die Ledersitze seines Mercedes sinken lassen und sich von seinem Bo­dyguard und Chauffeur Chris die A1 rauf- und runterkutschieren lassen. Ein Pensum von 300 Auf­tritten im Jahr hat er zu absolvieren, da sind also noch so einige Zeltpartys in den deutschen Niederungen abzuarbeiten. Und endlich kommt das, worauf man so lange gewartet hat: der Wendler bei der Arbeit.
Während sein schwarzer Mercedes hinter einer Wald- und Wiesenbühne im Matsch parkt, stellt sich der Wendler, im blütenweißen Hemd, unter dem das maskuline Brusthaar hervorwuchert, als solcher dem Veranstalter vor. Der Bodyguard legt wichtigtuerisch seine Arme um seinen Schützling, bis dieser endlich sein Funk-mikrofon in der Hand hält und schon aus dem Backstage skandiert: »Put your hands up in the air – die Hände in die Höhe!« Die Fans, augenscheinlich darauf dressiert, auf dieses Signal zu reagieren, drängen sich vor den Wellenfängern vor der Büh­ne, die der Wendler mit einem Sprint betritt und auf der er versiert sein Partyspaß-Programm für jung und alt herunterspult. Die Hitparade der Volksmusik meets Mallorca. Die Musik kommt vom Band, aber singen tut der Wendler selbstverständlich live, wobei er sich breitbeinig in Bühnenpose wirft. Nach dem Auftritt folgt das obligatorische Bad in der Menge, inklusive ob­szöner Angebote verschiedener Damen, bevor der Wendler wieder in den Schoß seiner Familie zurückkehrt.
Hier kann er nämlich richtig entspannen. Am allerbesten beim wöchentlichen gemeinsamen Abendessen im Kreis seiner Lieben. Da lernen wir etwa Christine kennen, Wendlers Mut­ter, und hätten sie fast mit einer 15jährigen verwechselt – die von ihr gewählte Kleidung und Schminktechnik lassen auch auf nichts anderes schließen. Und spätestens jetzt müsste dem geneigten Zuschauer auch auffallen, dass nicht nur der Ed-Hardy-Chic der Wasserstoffperoxyd-Schönheit Claudia, der Gemahlin Wendlers, hoch­gradig fragwürdig ist. Auch was die Inneneinrichtung ihres Hauses angeht, haben die Wendlers offenbar beide Augen zugedrückt: ein Alptraum ganz in Weiß und Gold. Über Geschmack kann man streiten, mag man denken. Bis man schließlich miterleben muss, wie der Wendler-Clan zusammen speist: Die Kamera ist auf die Familie gerichtet, die um den mit teurem weißen Porzellan und edlem Besteck gedeckten Tisch versammelt ist. Ertönen der Türklingel aus dem Off, Kameraschwenk auf die Eingangstür, und Tatarata: Pizza-Service! Cola und Calzone für die ganze Mannschaft – und schon kauen alle zufrieden im Takt.
Ungläubig sitzt man zu Hause vorm Fernseher und bekommt das eigene Abendessen fast nicht hinunter, weil einem der Appetit vergangen ist, derweil einem langsam das Erfolgsgeheimnis der Sendung dämmert: Man findet diese Gesellschaft eklig und ordinär, aber um einen Blick auf sie kommt man nicht herum.