Pedro Matías im Gespräch über die gefährliche Lage für Journalisten in Mexiko

»Viele Verbrechen bleiben unaufgeklärt«

Pedro Matías ist im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca aufgewachsen. In der gleichnamigen Hauptstadt hat der bekannte Journalist auch seine ersten beruflichen Erfahrungen gemacht und schreibt bis heute vorwiegend über die soziale Situation und die fehlenden Rechte der Bevölkerung in einem der ärmsten Bundesstaaten Mexikos. Nach diversen Drohungen und einer Entführung im Jahr 2008, bei der er brutal gefoltert wurde, hat der 45jährige ein Jahr Auszeit genommen, eine Art befristetes Asyl in Hamburg, das er einem Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte verdankt. Er war gerade zu einem Besuch in Mexiko.

Sie sind gerade aus Mexiko zurückgekommen. Was war Ihr Eindruck von der Lage?

Im Dezember herrschte eine angespannte Ruhe, im Januar waren dann wieder verstärkte Bewegungen der Militärs zu beobachten und die Nachrichten über neue Morde der Kartelle prägten die Schlagzeilen. Das ist ein bedrückender Alltag in Mexiko. In Oaxaca laufen derzeit schon die Vorbereitungen für die Gouverneurswahlen am 4. Juli, und die Parteien gehen langsam in Position, gleiches gilt für die sozialen Organisationen. Vieles deutet darauf hin, dass es eine Koalition zwischen der Linken und der Rechten geben könnte, die zum Ziel hat, die seit 80 Jahren währende Herrschaft des Pri, der Partei der institutionalisierten Revolution, in Oaxaca fortzusetzen. Das würde mehr Gewalt, mehr Destabilisierung bedeuten. Aus meiner Sicht ist es notwendig, die Dominanz des Pri in Oaxaca endlich zu beenden. Diese Wahl ist entscheidend, zumal der Pri auf Bundesebene weiter an Macht gewinnt und als Favorit für die Präsidentschaftswahlen in Mexiko 2012 gilt. Dann würde es noch schwieriger werden, die Vorherrschaft des Pri in Oaxaca zu brechen, der vor allem für Straflosigkeit, Korruption und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen steht. Die Verantwortlichen für die Straftaten werden oft noch mit Ämtern im öffentlichen Dienst oder in der Parteihierarchie belohnt.

Wie war es für Sie, nach einem halben Jahr in Hamburg zurückzukehren in Ihre Heimatstadt?

Schön war es, Freunde, Kollegen und Verwandte wiederzusehen, und ich wurde auch gefragt, wann ich denn zurückkehren und meine Arbeit wieder aufnehmen würde. Das ist ein gutes Gefühl, wenn man nicht vergessen wird, wenn die eigene Arbeit gewürdigt wird – das ist ja im Journalismus nicht alltäglich. Positive Erfahrungen habe ich auch in Deutschland gemacht – auf Konferenzen, Tagungen zu Mexiko, aber auch bei Interviews mit Kollegen. Das gibt Kraft und ist der Beweis dafür, dass die eigene Arbeit auf fruchtbaren Boden fällt.

Bedeutet das, dass Sie Ihre Rückkehr bereits vorbereiten?

Ja, ich werde am 14. Juni zurückkehren, und dann muss ich sehen, ob ich in einer Redaktion unterkomme. Ich werde meine Arbeit fortsetzen, denn das ist meine ganz persönliche Verpflichtung, die ich eingegangen bin und an der sich nichts geändert hat. Viele Medien in Oaxaca sind in den Händen der Regierung, und andere sind überaus vorsichtig und achten wegen der schwierigen ökonomischen Situation darauf, Problemen aus dem Weg zu gehen. Wenn man sich mit dem Staat anlegt, kann das schnell bedeuten, dass zum Beispiel die Inserate staatlicher Institutionen ausbleiben oder Ärger mit dem Finanzamt ins Haus steht. Ich will jedoch nicht zu einem Komplizen dieses Systems werden.

Mexiko ist in den vergangenen Jahren zum gefährlichsten Land für Journalisten in Lateinamerika geworden.

Ja, und auch der Jahresauftakt war blutig. Im ­Januar wurden bereits drei Journalisten ermordet. In Mexiko gehört das fast schon zum Alltag. Me­xiko ist ein Land im Krieg, und dem Kampf gegen die Kartelle wird alles untergeordnet. Aber längst nicht alle Opfer sind Opfer dieses Kriegs, haben Beziehungen zum Drogenmilieu oder arbeiten für die Regierung. Das ist zwar ein Eindruck, der immer wieder aufgrund der Berichterstattung entsteht und den die Regierung auch vermittelt, aber er ist einfach nicht korrekt. Es gibt viele Verbrechen, die nicht gesühnt werden, es gibt viele Unschuldige, die in diesem Konflikt sterben, es gibt aber auch viele Menschen, die aus ganz anderen Gründen sterben und deren Tod kaum mehr untersucht wird. Die Straflosigkeit ist längst zu einer Geißel unserer Gesellschaft geworden. Die Verbrechen an Journalisten werden zumeist nicht aufgeklärt und nicht gesühnt. Es hat 2009 etwa 38 Angriffe auf Journalisten gegeben. Darunter fallen Morde genauso wie Entführungen, Attentate und Drohungen. Zudem gibt es seit 2005 insgesamt acht Kollegen, die vermisst werden. Insgesamt wurden seit dem Jahr 2000 in Mexiko 60 Journalisten ermordet.

Wird die journalistische Arbeit in Mexiko nicht mehr respektiert?

Nein. Und Teil des Problems ist es, dass die Regierung, zumindest in Oaxaca, viele Medien kontrolliert. Die Regierung zahlt, in Form von Anzeigen, und die Redaktion verhält sich entsprechend zurückhaltend. Die brisanten Themen werden ausgeklammert, und es gab auch schon Empfehlungen, Kollegen zu entlassen, die nicht locker ließen. Es gibt keinen Respekt für kritischen Journalismus in Mexiko.

Was sind die Tabuthemen?

Die soziale Gewalt ist so ein Thema, es ist riskant, über die politischen Strippenzieher zu ­schrei­ben, die regionalen Kaziken. Was in Europa kaum registriert wurde, ist die Tatsache, dass die politische Öffnung zu Beginn dieses Jahrtausends nur in der Hälfte der Bundesstaaten Mexikos stattfand, die anderen 15 Staaten sind nach wie vor vom Pri dominiert. Dort gibt es nicht einmal minimale Änderungen in Richtung Demokratie. Das andere grundsätzliche Problem ist die Armut in Mexiko. Die hat in der Krise weiter zugenommen. Ein weiteres heißes Thema ist das Jubiläum der mexikanischen Revolution von 1910. Das Wiederaufkommen von revolutionären Bestrebungen in Mexiko macht der Regierung in Mexiko-Stadt Angst. Während im zentralen Norden der Krieg gegen die Kartelle tobt, findet im Süden Mexikos ein handfester sozialer Konflikt statt. Derzeit verlegt die Regierung größere Armeeverbände vom Norden in den Süden, weil sie Angst hat, dass neue Guerilla-Organisationen entstehen oder alte sich wiederbetätigen könnten.

Ist das Risiko für Lokaljournalisten größer als für die Kollegen der großen, überregionalen Blätter?

Ja, das Risiko ist höher als für Journalisten aus der Hauptstadt oder aus dem Ausland. Ein Lokaljournalist wird sehr viel schneller von den loka­len Behörden bedroht, wenn er über brisante Themen in der Gemeinde berichtet. Die lokalen Ka­ziken wissen, wer er ist, wo seine Familie wohnt und so weiter. Generell gilt die Regel: Je kleiner das Medium, desto größer das Risiko.

Und für die internationalen Kollegen?

Auch da gibt es Risiken, aber es sind eher Risiken im Kontext der Recherche, wenn ein Kollege unvorsichtig ist und sich in extrem gefährliche Gebiete vorwagt. Mit staatlicher Repression im Kontext ihrer Berichterstattung haben die Kollegen in aller Regel nicht zu rechnen. Die Regierung achtet sehr genau darauf, dass ihr Image als demokratischer Staat im Ausland und als Staat, der die Menschenrechte beachtet, nicht beschädigt wird.

Aber leidet das Image nicht auch, wenn Mexiko als derart gefährliches Land für Journalisten bekannt wird?

Ja, aber das wird nicht so wahrgenommen. Ein Grund dafür ist, dass Mexikos Journalisten schlecht organisiert sind und keine einheitliche Stimme haben. Das ist ein Problem und macht es schwer, die Pressefreiheit durchzusetzen. Es gibt viele Kollegen, die sich lieber zurückhalten, es vermeiden, über gewisse Dinge zu schreiben.

Sie wurden mehrfach bedroht und am 25. Oktober 2008 in Oaxaca sogar entführt – ein Versuch, Sie mundtot zu machen?

Das ist möglich, aber letztlich weiß ich nicht genau, wer mich und warum man mich entführt hat. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten: von gewöhnlichen Kriminellen bis zu den Instanzen des Bundesstaates.

Sie sind dort gefährdet. Warum wollen Sie in einen Staat in Auflösung, ein Land ohne große Perspektiven zurückkehren?

Genau deshalb, denn man muss doch endlich etwas ändern. Hier in Deutschland, wo man mir ein Jahr Asyl gewährt hat, gibt es doch nichts mehr zu tun. Hier hält man sich an die Gesetze, und ich möchte dafür arbeiten, dass Mexiko sich in diese Richtung entwickelt. In Deutschland zu bleiben, wäre für mich eine Selbstverleugnung und ein Verrat an den Leuten, die mir Vertrauen geschenkt haben und die ihre Hoffnungen auch auf mich und meine Arbeit setzen.