Arbeiterproteste in Ägypten

Nicht ohne meinen Tarifvertrag

Die Zahl der Streiks in Ägypten nimmt zu. Das Arbeitsrecht ist restriktiv, dennoch sieht sich das Regime nun gezwungen, die erste unabhängige Gewerkschaft anzuerkennen.
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Das Sit-in von 90 Angestellten der Landwirtschaftsbehörde vor dem Parlament in Kairo wurde von der Polizei aufgelöst, nur zehn Protestierende durften bleiben, unter der Bedingung, dass sie keine regierungsfeindlichen Parolen mehr rufen. Im Mahalla-Krankenhaus streikten 200 Beschäftigte für höhere Löhne, während in Shar­qiya 300 Arbeiter gegen ihre Entlassung demons­trierten.
Es waren einzelne Protestaktionen, die in der vergangenen Woche in Ägypten stattfanden, doch sie sind Teil einer größeren Bewegung, die Gewerkschafter zu koordinieren versuchen. Ende März veranstaltete das Egyptian Centre for Trade Union Rights and Worker’s Services (CTUWS) in Kairo ein internationales Seminar, um den 20. Jahrestag seiner Gründung zu feiern. Die Themen waren gewerkschaftliche Organisation und Tarifverhandlungen. Das mag nicht sehr aufregend klingen, dennoch handelt es sich um explosive Themen.
Ägypten wird in den westlichen Medien meist als »gemäßigter« arabischer Staat dargestellt, das Land ist mit den USA verbündet und hat einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen. Es handelt sich also nicht um einen sogenannten Schurkenstaat, doch herrscht in Ägypten ein autoritäres Regime, das keine unabhängigen Gewerkschaften duldet. Nach offiziellen Angaben hat Ägypten eine sehr große Gewerkschaftsbewegung. Millionen im öffentlichen Sektor Beschäftigte müssen Abgaben an staatlich kontrollierte Gewerkschaften zahlen, die allerdings wenig für sie tun. Diese Gewerkschaften arbeiten nach dem sowjetischen Modell, ihre Aufgabe ist es, für eine höhere Produktivität der Arbeiter zu sorgen.

Die Arbeiter im privaten Sektor haben überhaupt keine Gewerkschaften und somit keine legale Interessenvertretung. Dennoch kommt es immer wieder zu Arbeitskämpfen. In den vergangenen Monaten haben Lohnabhängige mehrfach auf den Straßen der Hauptstadt demonstriert. Diese Entwicklung ist nicht allein für Ägypten von Bedeutung. Mit fast 80 Millionen Einwohnern ist Ägypten das bei weitem bevölkerungsreichste arabische Land. Das ägyptische Arbeitrecht ist dem anderer Staaten der Region sehr ähnlich. In den meisten arabischen Ländern werden Gewerkschaften kaum toleriert, in manchen sind sie verboten, und andere Regierungen haben staatlich kontrollierte gelbe Gewerkschaften aufgebaut.
Es gibt jedoch Ausnahmen. In Marokko werden gewisse gewerkschaftliche Freiheiten gewährt, und im Libanon existieren einige nicht vom Staat kontrollierte Gewerkschaften. Auch in Algerien haben sich in den vergangenen Jahren unabhängige Organisationen entwickelt. Die palästinen­sischen Gewerkschaften genießen einen gewissen Grad an Freiheit, allerdings nur in der Westbank, die von der Fatah beherrscht wird. Im Irak hat ein Prozess begonnen, der mit der Gründung unabhängiger, demokratischer Gewerkschaften enden könnte, die nicht vom Staat kontrolliert werden. Doch es ist ein harter Kampf, denn noch immer gilt die unter Saddam Hussein eingeführte, sehr restriktive Arbeitsgesetzgebung. Irakische Gewerkschaften haben jüngst um internationale Unterstützung für eine Kampagne zur Reform des Arbeitsrechts geworben. Doch Ägypten ist nicht nur geographisch das Zentrum der arabischen Welt. Was immer dort geschieht, beeinflusst die gesamte Region.

Seit ein Militärputsch am 23. Juli 1953 die Monarchie stürzte, hatte Ägypten nur drei Staatschefs. Präsident Hosni Mubarak regiert das Land seit fast 30 Jahren. Doch der Gesundheitszustand des nunmehr 82jährigen ist schlecht, er musste sich in Deutschland medizinisch behandeln lassen. Viele Ägypter vermuten, dass er seinen Sohn Gamal, der bereits Generalsekretär des politischen Komitees der Regierungspartei NDP ist, zum Nachfolger ernennen will. 60 Jahre nach dem Sturz König Farouks könnte Ägypten wieder zur Erbfolge zurückkehren.
In den vergangenen Jahrzehnten haben Mubarak und sein Vorgänger Anwar al-Sadat den öffentlichen Sektor Ägyptens, der in der Ära des »arabischen Sozialismus« unter Gamal Abd al-Nasser aufgebaut worden war, Schritt für Schritt privatisiert. Den Forderungen des IWF und der Weltbank folgend, wurde die Wirtschaft libera­lisiert und der Arbeitsmarkt flexibilisiert. Das Ergebnis war eine allmählicher Abbau der meisten sozialen Schutzmechanismen. Auch die offizielen, staatlich kontrollierten Gewerkschaften befinden sich im Niedergang. Sie haben keine Basis im wachsenden privaten Sektor.
Das Seminar des CTUWS fand in einer unruhigen Zeit statt, in Ägypten gibt es derzeit die größte Welle von Arbeiterprotesten seit Jahrzehnten. Der Kampf der kommunalen Grundsteuereinnehmer im vergangenen Jahr hatte historische Bedeutung. Er führte nicht nur zu Gehaltserhöhungen für Zehntausende Beschäftigte des öffent­lichen Sektors, sondern auch zur Gründung der bislang einzigen anerkannten unabhängigen Gewerkschaft Ägyptens.
Die in Kairo Versammelten diskutierten auch über Arbeitskämpfe in den Schulen und in der Textilindustrie, wo es bereits vor etwas mehr als drei Jahren eine Streikwelle gab und das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung gefordert wurde (Jungle World, 9/07), außerdem über Repression, Verhaftungen und Razzien. Auch dem CTUWS war lange Zeit von der Regierung jegliche Aktivität untersagt worden.

In mancherlei Hinsicht ist die Situation ähnlich wie in Polen vor 30 Jahren. Dort führte die Forderung nach unabhängigen Gewerkschaften zu einer Streikwelle, die das Regime zwang, Solidarnosc anzuerkennen. Die Rebellion der polnischen Arbeiter im Jahr 1980 hatte auch eine religiöse Komponente, die katholische Kirche spielte dabei eine wichtige Rolle. In Ägypten gehört die Muslimbruderschaft zu den bedeutendsten Organisationen der Opposition. Das CTUWS ist jedoch gänzlich säkular, es wurde eher beeinflusst von der Kommunistischen Partei, die 1953 von Nasser verboten worden war. Wie damals die polnischen Gewerkschafter sind sich heute die ägyp­tischen der Bedeutung der internationalen Solidarität bewusst. Am Seminar des CTUWS nahmen Gewerkschafter aus den USA, den Niederlanden, Spanien, Frankreich und den palästinensischen Gebieten sowie Delegierte von LabourStart, der International Trade Union Confederation und der PSI, der globalen Gewerkschaft der im öffentlichen Sektor Beschäftigten teil.
Da sich die Streiks ausweiten und eine wachsende Zahl von Lohnabhängigen, dem Erfolg der Steuereinnehmer nacheifernd, ebenfalls die Anerkennung ihrer unabhängigen Gewerkschaften fordert, ist auch eine härtere Repression zu erwarten. Das Regime muss befürchten, dass eine kämpferische Gewerkschaftbewegung auch aweitergehende Forderungen stellt und sich gegen die autoritären Verhältnisse auflehnt. Spätestens nach dem Tod Mubaraks dürfte eine tiefe politische Krise eintreten. Es besteht dann die Gefahr, dass die herrschende Klasse Ägyptens panisch reagiert, ähnlich wie das stalinistische Regime Polens, das Ende 1981 das Kriegsrecht verhängte.