Zum Tod von Malcolm McLaren

A Punk Is Dead

Man nimmt ein paar dahergelaufene Idioten, macht sie sich gefügig, organisiert einen ordentlichen Medienrummel und presst jeden Cent aus diesem Frankensteinprodukt. So funktionieren heute Castingshows. So arbeitet heute Dieter Bohlen. Auch der Dieter ist somit ein Schüler von Malcolm McLaren, den man der Einfachkeit halber den Erfinder des Punk nennt, obwohl er vor allem dessen cleverer Vermarkter war.
Ziemlich sicher ist jedenfalls, dass Punk nie dieser radikale kulturelle Einschnitt geworden wäre ohne den rotgelockten Scharlatan, der sich schon an der Kunstschule mit den Situationisten beschäftigte und sich für einen Anarchisten hielt, um später auch wirklich keine Möglichkeit auszulassen, irgendwo möglichst unangenehm aufzufallen.
Zig Mal wurde die Geschichte von Malcolm McLaren und seiner Kulturrevolution sowie vom Aufstieg und Fall der Sex Pistols bereits erzählt. Zur avantgardistischen Großtat wurde das Schaffen McLarens in der Studie »Lipstick Traces« von Greil Marcus erklärt, en détail und als Sittengemälde Thatcher-Englands in Jon Savages opulentem Buch »England’s Dreaming« beschrieben oder als Schaumschlägerei eines Größenwahnsinnigen in der Autobiographie John Lydons, der sich nach dem Ende der Sex Pistols dagegen verwahrte, lediglich das von McLaren für seinen »Great Rock’n’Roll Swindle« erdachte Geschöpf Johnny Rotten gewesen zu sein. Und von den Situationisten wollte Lydon auch nichts mehr hören. Wirklich ausgesöhnt hatten sich er und McLaren nach dem tragischen Ende der Sex Pistols während ihrer desaströsen US-Tour nie.
In all diesen Erzählungen und Mythen erscheint Malcom McLaren mal als genialischer Strippenzieher und kunstsinniger Produktde­signer, als Andy Warhol oder Marcel Duchamp des Punk, dessen größtes Kunstwerk die Gründung einer Band war, oder einfach nur als überschätztes Arschloch. Sicher ist nur: Langweilig wurde es rund um McLaren nie. In den vergangenen Jahren war es zwar erstaunlich ruhig um den berüchtigten Provokateur, der dazu übergegangen war, nur noch den eigenen Mythos immer mal wieder auf irgendwelchen Panels und »Those-were-the-days«-Veranstaltungen zu befeuern. Aber was McLaren in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern vollbracht hatte, das reicht eben auch ein Leben lang. Nicht viele Manager einer Popband sind in die Annalen der Geschichte eingegangen. Brian Epstein, der Freund und Vertraute der Beatles fällt einem ein, Colonel Parker, der Förderer von Elvis und Andy Warhol, der hatte Velvet Underground auf den Weg geschickt – nur ein paar der ganz Großen hatten Manager, an die man sich auch heute noch erinnert.
Im Literaturbetrieb wurde kürzlich mal wieder diskutiert, ob es statthaft sei, sich für seine eigene Arbeit bei anderen zu bedienen, ohne das ausreichend kenntlich zu machen. McLaren wäre diese bildungsbürgerliche Forderung von nachweisbarer Authentizität und schöpferischem Eigenblutdoping nur lächerlich vorgekommen, hätte er von dem Litaraturskandälchen rund um Helene Hegemann in Deutschland etwas mitbekommen. McLaren war ein begnadeter Dieb, Aneigner und Umcodierer. Er setzte die richtigen Zeichen zum richtigen Zeitpunkt anders zusammen und erschuf so etwas Neues, das war seine große Leistung. Den Punklook gab es schon vor ihm, Punk gab es vor ihm, aber nicht in England und nicht außerhalb verschworener Subkulturzirkel. Also fuhr McLaren in die USA, studierte den kaputten Heroinchic von Richard Hell, verpasste ihn maßgeschneidert seinen Sex Pistols und gab die Idee, wie ein Müllschlucker der industrialisierten Gesellschaft herumzulaufen, als seine eigene aus.
Manche wollen in McLaren außerdem nicht nur den Ausrufer des Punk, sondern den Wegbereiter des HipHop sehen. Was wiederum daran liegt, dass McLaren einfach nur neugierig genug war, sich auf Blockpartys in New York herumzutreiben, und den neuen urbanen Sound interessant genug fand, um gemeinsam mit Afrika Bambaataa 1981 die Nummer »Buffalo Gals« aufzunehmen, die einer der ersten Hits des HipHop wurde.
Vieles, was McLaren sonst noch so anstellte, ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Der Skandal, den er damals mit seiner zweiten großen Designerband Bow Wow Wow auslöste, mit einer damals minderjährigen Sängerin, die sich freizügig auf Plattencovern räkelte, wirkt heute eher putzig. Und wer schon mal im Ber­liner Club Berghain gewesen ist, kann sich kaum mehr vorstellen, dass die Lack-und-Leder-Fetischmode, die McLaren zusammen mit seiner Freundin Vivienne Westwood in Londoner Bou­tiquen mit Namen wie »Let it rock« oder »Sex« verkaufte, einst irritierte und provozierte. Punk und seine von McLaren popularisierte Ästhetik ist längst gesellschaftlich konform, und Vivienne Westwood gilt nicht zuletzt wegen ihres Titels »Mother of Punk« als international an­erkannte Fashion-Ikone und Designerin. Was Malcolm McLaren geleistet hat, kann man kaum genug würdigen, sein Wirken ist immer noch so präsent, dass man es kaum mehr wahrnimmt, und Dieter Bohlen sollte man ihm nicht mit ins Grab nachtragen.
Vorige Woche ist Malcolm McLaren, der Erfinder von sich selbst, im Alter von 64 Jahren nach einer Krebserkrankung in der Schweiz verstorben.