Über das Buch »Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert«

»Laduuuuuma!« statt »Toooooor!«

Der Südafrika-Korrespondent Bartholomäus Grill beschreibt in seinem Buch Fußball und Wirklichkeit im WM-Gastgeberland.

Zu den wichtigsten Büchern, die Bartholomäus Grill kürzlich gelesen hat, gehört »Architects of poverty« (»Architekten der Armut«). Verfasst hat es der Südafrikaner Moeletsi Mbeki, ein in seinem Land recht prominenter Autor. Er ist der Bruder des früheren Präsidenten Thabo Mbeki, den er oft scharf kritisierte, hat früher für die BBC gearbeitet, war Medienberater der Regierungspartei ANC und führt derzeit die südafrikanische Filiale der TV-Produktionsfirma Endemol. In einem Kapitel, das Grill besonders beeindruckt, beschreibt Mbeki, dass nach dem Ende des Apartheid-Regimes die alten südafrikanischen Eliten keineswegs ihre Macht eingebüßt hätten. Vielmehr sei es ihnen gelungen, »Führer des schwarzen Widerstands« aus dem Umfeld des ANC »zu kooptieren und sie im wahrsten Sinne des Wortes zu kaufen, um letztlich den ANC von radikalen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, etwa der Verstaatlichung wichtiger Industriezweige, abzuhalten.« Bereits lange vor dem Ende der Apartheid habe das weiße Establishment überlegt, wie es in dem neuen System seine Stellung bewahren könne.
Grill, der in Johannesburg lebende Afrika-Korrespondent der deutschen Wochenzeitung Die Zeit, redet viel über das Buch des Kollegen Mbeki, obwohl er selbst gerade eines veröffentlicht hat: »Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert«. Im Gespräch widmete er sich »Architects of poverty« so ausführlich, weil er befürchtet, dass in dem Bild, das sich die Weltöffentlichkeit in den kommenden Wochen von Südafrika, dem Austragungsland der Fußball-WM, machen wird, solche Aspekte kaum vorkommen werden.
Bei der Südafrika-Berichterstattung der vergangenen Monate sind Grill noch andere Dinge negativ aufgefallen – vor allem die eurozentrische Herablassung. »Dieses Land hat eine bessere Infrastruktur als zum Beispiel Rumänien«, sagt Grill. Viele Kritiker haben zudem die Frage aufgeworfen, inwiefern es überhaupt angemessen sei, dass ein Land, das derart von sozialen Problemen geprägt ist, den Bau von Stadien finanziert, die nach der WM nur selten ihren Zweck erfüllen dürften. Zumal die Zuschauerzahlen in der 1. Liga, der Premier Soccer League, in der Regel nur vierstellig sind. Diesen Einwand kann Grill nur bedingt nachvollziehen. Letztlich habe jedes Land objektiv dringendere Bedürfnisse, als eine internationale Sportgroßveranstaltung auszurichten, sagt er. Das gelte auch für so ein reiches Land wie Deutschland.
In seinem Buch arbeitet Grill immer wieder heraus, wie eng Fußball und Politik miteinander verwoben sind. In diesem Zusammenhang rekapituliert er auch »eine der schönsten Geschichten, die die Fußball-Historie erzählt«. Es geht dabei um die Bedeutung des Liga-Spielbetriebs auf der Kerkerinsel Robben Island, auf der Nelson Mandela 28 Jahre inhaftiert war. 21 Mannschaften kämpften in der 1970 gegründeten Gefängnis-Liga, die in drei Spielklassen unterteilt war, um Punkte. Der höchst umstrittene Staatspräsident Jacob Zuma erwies sich hier einst als »kompromissloser Außenverteidiger und Abwehrchef« (Grill), auch der spätere Sportminister Steve Tshwete kickte mit. »Fußball spendete den Gefangenen Hoffnung, er stärkte Körper und Geist, er einte sie im Kampf gegen die inhumanen Haftbedingungen. Er öffnete das Tor zur inneren Freiheit«, schreibt Grill.
In »Laduuuuuma!« – mit diesem Ausruf bejubelt man in Südafrika ein Tor (»Laduma«) – beschreibt Grill auch die Bedeutung des Fußballs in anderen afrikanischen Staaten. Im Mittelpunkt der traurigsten Geschichte, dem Gegenpol zum Kapitel über Robben Island, steht ein Zweitligateam aus Ruanda, das sich im Zuge des Völkermords 1994 selbst zerstörte. In der Mannschaft von Bugesera Sports – heute heißt der Klub Nyamata FC, weil nichts mehr an die finsteren Zeiten erinnern soll – standen damals fünf Hutu, fünf Tutsi und ein »Mischling«. Grill greift in diesem Kapitel auf die Erinnerungen des Spielers Evergiste Habihirwe zurück: »Als das große Morden begann, floh Habihirwe, ein Tutsi, zu seinem besten Freund Ndayisaba, einem Hutu. Ndayisaba war der linke Verteidiger von Bugesera Sport. ›Als ich auf seinen Hof kam, hatte er die Machete noch in der Hand, mit der er bereits zwei Kinder in Stücke gehauen hatte.‹ Von Todesfurcht gepackt, versteckte sich Habihirwe in den Hirsefeldern. ›Ich hörte, wie meine Mitspieler aus der Mannschaft um mein Haus herum Jagd auf mich machten.‹« Die Episode zeigt, wie wenig sportliche Verbundenheit wert ist, wenn Ideologie ins Spiel kommt. Ihn habe die Geschichte dieser Mannschaft »ziemlich niedergeschmettert«, sagt Grill.
Bei afrikanischen Fußball-Anhängern diagnostiziert der Autor grundsätzlich einen »Inferioritätskomplex«. »Wenn im Fernsehen ein Spitzenspiel der Champions League übertragen wird, bleiben die Stadien, in denen gerade einheimische Partien laufen, leer.« Die Fans sähen die in Europa spielenden Stars als »Role Models«, sagt er. »Blättert man am Montag die Zeitungen in anglophonen Ländern wie Kenia, Nigeria, Ghana oder Simbabwe durch, findet man nur selten ausführliche Berichte über die Spiele am Wochenende. Wenn man Glück hat, wird die Tabelle abgedruckt. Dafür sind die Seiten mit großen Geschichten über den britischen Fußball gefüllt.«
Das WM-Gastgeberland indes hat derzeit keinen Weltklassespieler. Aber immerhin ist die Soccer Premier League im innerafrikanischen Vergleich die finanziell attraktivste Spielklasse – neben der ersten ägyptischen Liga. In Südafrika fließt das Geld dank einiger mafiös auftretender Clubbosse: »Die spielstärksten und sportpolitisch einflussreichsten Vereine befinden sich in den Händen von Milliardären, die wie Autokraten herrschen und nicht nur unfehlbar, sondern auch nicht zu sprechen sind.« Grills Interviewanfragen bei den Bossen der Mamelodi Sundowns, Orlando Pirates und Kaizer Chiefs bleiben stets ohne Erfolg. Als er versucht, einen Termin mit Patrice Motsepe, dem Präsidenten der Mamelodi Sundowns, zu bekommen, lässt Grill gegenüber dem Pressesprecher die Bemerkung fallen, dass er einmal Nelson Mandela interviewt habe. »Na und?« kontert der Vereins­angestellte. Dabei deutet er an, dass man eine finanzielle Gegenleistung für das Interview erwarte – und das, obwohl Vereinsfürst Motsepe, der über ein Bergbau-Imperium herrscht, nicht allzu dringend auf solche Zuwendungen angewiesen ist. Es könne in Afrika aber auch vorkommen, dass sich Berichterstatter bei Verbänden nach Extra-Honoraren für eine besonders wohlwollende Darstellung eines Nationalteams erkundigten, sagt Grill.
Neben den vielfältigen Formen der Korruption benennt der Zeit-Korrespondent ein weiteres Kernproblem des afrikanischen Fußballs. Während man in den reichen Ländern dazu neigt, den »Straßenfußball« und sonstige archaische Spielformen zu romantisieren, ist Grill solche Folklore fremd. Afrikanische Kicker könnten »nicht hart und genau schießen, weil sie immer nur barfuß gespielt haben«, bemängelt Burkhard Pape, ein leutseliger Trainer aus Deutschland, der in mehreren Ländern des Kontinents arbeitete. Klingt das nicht ein bisschen klischeehaft? »Nein«, sagt Grill, »wer jemals barfuß gegen einen nassen Lederball getreten hat, weiß, dass es einen großen Unterschied macht, ob man barfuß oder mit einem geschnürten Schuh spielt.«

Bartholomäus Grill: »Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert.« Hoffmann und Campe, Hamburg 2009, 256 Seiten, 20 Euro