Marilyn Manson als Maler

Teen Angst in Pastell

Die Wiener Kunsthalle präsentiert den Rocksänger Marilyn Manson als Maler: verwaschener Aqurarell-Horror, der die Fans aus der Konzerthalle ins Museum locken soll.
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Den bildenden Künstler in sich hat Marilyn Manson nicht erst heute entdeckt. Gemalt hat er schon wesentlich früher, etwa während der Aufnahmen zu »Mechanical Animals«, jenem Album, das ihn und seine Bandkollegen Ende der Neunziger endgültig an die Spitze der US-Charts beförderte. Doch seit dem selbsternannten »Antichrist Superstar« und Elternschreck die Teen-Fans abhanden gekommen sind und sich die Konzerthallen nicht mehr so recht füllen wollen, legt der ehemalige Musikjournalist, der mit bürgerlichem Namen Brian Hugh Warner heißt, immer öfter hochkulturelle Ambitionen an den Tag: raus aus der Konzerthalle, rein ins Museum. Los Angeles, Paris, Berlin, Köln hat er schon hinter sich. Obwohl Marilyn Manson Musik und Malerei strikt voneinander trennen will, bleibt der »Shock Rocker« auch im Ausstellungskontext seinem bekannten Image treu und inszeniert sich als Albtraum des mittelständischen Suburban America – geboren aus dem Angstschweiß entrechteter männlicher Teenager-Existenzen.
Passend dazu trägt die jüngste Ausstellung Marilyn Mansons im Project Space, der Dependance der Kunsthalle Wien am Karlsplatz, den vollmundigen Titel »Genealogies of Pain«. Parallel zu den rund 20 Aquarell-Arbeiten können hier vier frühe Kurzfilme von Filmregisseur David Lynch gesichtet werden: »Six Men Getting Sick« (1967), »The Alphabet« (1968), »The Grandmother« (1970) und »The Amputee« (1973). Das ist natürlich kein Zufall, schließlich bezeichnet Marilyn Manson Lynchs »Blue Velvet« als wichtige Inspiration und konnte in »Lost Highway« gar einen kleinen Gastauftritt absolvieren. Beide teilen offenkundig das Interesse an menschlicher Deformation, Verletzlichkeit, Schmerz. »Dialog« nennt sich folglich diese Zusammenführung von Pop- und Regisseur-Stardom – und gefällt nicht nur den mehrheitlich jugendlichen Ausstellungsgängern, sondern zieht auch B-Prominenz wie die TV-Richterin Barbara Salesch an, die Besitzerin eines Manson-Gemäldes ist und dieses für die Ausstellung bereitgestellt hat.
Wien sei der beste Ort, um seine Bilder auszustellen, sagt Manson in einem Fernsehinterview, beruft sich kritisch auf Sigmund Freud und gibt sich als Egon-Schiele-Fan zu erkennen. Seine Vorliebe für den deutschen Expressionismus und Dali’schen Surrealismus formulierte er schon bei vorangegangenen Ausstellungen.
Den wohl kalkulierten Widerspruch von Ekligem (ein ewiger Loop aus Verstümmelung, Angst, Verfall) und Zartem (Aquarell-Technik in pastelligen Tönen) deuten die Kuratoren Gerald Matt und Cathérine Hug als Gegensatz von »Gefühl und Härte«, »Aggression und sensiblem Empfinden in unaufgelöster Ambivalenz«. Das ist ungefähr so originell wie die gebetsmühlenartig artikulierte »Schockiertheit« und der angebliche »Tabubruch«, den hiesige Mainstream-Medien auch noch nach zwei Jahrzehnten Marilyn Manson zu entdecken meinen.
Ein besonders wichtiges Bild der Ausstellung hat den Titel »Elizabeth Short as Snow White, ›You’re sure you will be comfortable?‹«. Zu sehen ist ein Frauenkörper, in der Mitte durchtrennt, klaffende Öffnungen am Leib, mit gespreizten Beinen und »echten« Schamhaaren, der Mund wie beim Joker zu einem grotesken Grinsen verzerrt. Das weichgezeichnete Grauen hat eine ­reale Vorlage: Elizabeth Short, die 1947 auf brutalste Weise in Los Angeles ermordet wurde, ging in die US-Kriminalgeschichte ein. Auch hinter »JonBenet Ramsey as Sleeping Beauty II« steht ein echtes Verbrechen, nämlich der Mord an der sechsjährigen Kinder-Schönheitskönigin JonBenét Ramsey, die 1996 tot im Keller ihrer Eltern gefunden wurde.
Manson, der sich hierfür von Pressefotos und Polizeiberichten anregen ließ, behauptet einmal mehr, damit die »dunkle Seite« des amerikanischen Traums ans (Galerie-)Licht zu holen. Erklärt wird mit dieser eher banalen Ästhetisierung des Leidens freilich nichts. Die ineinander fließenden Konturen und ausgeblichenen Farblachen sind angesichts der Drastik des dargestellten Elends wohl auch nicht besonders raffiniert. Indes verschleiert das Etikett »Grusel meets Beauty«, dass »schöne« Frauen- und Mädchenmorde durchaus Tradition besitzen und längst Teil der Popkultur geworden sind. Die »Schwarze Dahlie«, wie die aus Hass zerstückelte Elizabeth Short von der Sensationspresse euphemistisch getauft wurde, hat eine Reihe von literarischen und filmischen Bearbeitungen ausgelöst. »Dead white women always stirred things up«, meinte einmal James Ellroy nicht ganz zu Unrecht.
Transgressiv ist das ganze ebensowenig wie Marilyn Mansons Gender-Performance, die sich aus dem immergleichen Fundus von Burlesque, Vaudeville, Freak Show und ähnlichen theatralischen Darstellungsformen bedient, sich jedoch seit den Neunzigern kaum weiterent­wickelt hat. Bis heute zehrt Brian Warner von seiner einstigen Inszenierung als quasi post­humanes an­drogynes Wesen – oder, wie die australische Kulturwissenschaftlerin Anna Hickey-Moody es formulierte, als »gothic eunuch«. »Shock Rock« wie dieser mag in seinen besten Momenten die Grenzen von Gender-Performanz neu ausloten, kann aber die gegenderten Rollen nicht mit neuer Bedeutung füllen. Das dürfte auch für die Aquarell-Blätter gelten.

Marilyn Manson und David Lynch: Genealogies of Pai. Kunsthalle Wien, Project Space am Karlsplatz. Bis 25. Juli