Pfälzer protestieren nicht gern
Anderswo müssen die Teilnehmer von Nazitreffen meist unter großer Geheimhaltung zu den Veranstaltungsorten geschleust werden. Die NPD Südwestpfalz muss keinen solchen Aufwand betreiben. Als im Landkreis Pirmasens Anfang September ihr Sommerfest unter dem Motto »Pfalztreffen« stattfand, hängten die Veranstalter einfach gut sichtbare Wegweiser mit der Aufschrift »NPD« auf. Das Erscheinen von Antifaschisten oder anderen ungebetenen Gästen war nämlich nicht zu erwarten, obwohl der Parteivorsitzende Udo Voigt anwesend war. So konnten die Teilnehmer, vor allem ältere Herren und Familien mit Kindern, ungestört feiern. Sogar eine Hüpfburg für die Kleinen stand bereit.
In Ortschaften der rheinland-pfälzischen Provinz wie zum Beispiel Pirmasens oder Alzey musste die extreme Rechte in den vergangenen Jahren nicht mit ernsthaftem Widerstand rechnen. Deshalb wählte die NPD bereits 2005 Pirmasens aus, um ihr Landeszentrum einzurichten und von dort aus den Wahlkampf für die Landtagswahl im März 2006 zu koordinieren. Da in der Stadt, in der schon die Republikaner in der Vergangenheit ihre größten Erfolge in Rheinland-Pfalz erzielen konnten, kein Einspruch geäußert wurde, bildete sich ein Bündnis von Antifa-Gruppen aus Koblenz, Landau, Mainz und Saarbrücken, um für den nötigen Protest zu sorgen. Zwar erreichten die Gruppen, dass fast 400 Personen an einer Demonstration gegen die NPD-Zentrale teilnahmen, doch war der Großteil der Protestierenden angereist.
»Pirmasenser Bürger hatten das für die Stadt seltene Ereignis weitgehend ignoriert oder waren aus Vorsicht zuhause geblieben«, schrieb die Pirmasenser Zeitung über die Kundgebung. Dieses Verhalten ist charakteristisch für die Bevölkerung, deshalb fühlen sich die NPD-Mitglieder in Pirmasens und Umgebung auch recht wohl. Die Behörden zeigen sich ebenfalls träge, was auch anlässlich des »Pfalztreffens« wieder zu beobachten war. Die zuständige Polizeidienststelle wusste nach eigenen Angaben zwar von der Veranstaltung, aber nicht, wo diese stattfinden sollte. Ortsansässigen ist der Besitzer des Grundstücks, auf dem das Sommerfest stattfand, dagegen als NPD-Mitglied bekannt.
Vielleicht ermutigen auch diese Umstände gewaltbereite Nazis zu Taten. In der südlichen Pfalz rund um Pirmasens kommt es immer wieder zu Angriffen. Der bisher schwerste Fall ereignete sich im Juli 2005: Ein alternativer Jugendlicher wurde nach einem Konzertbesuch von mehreren einschlägig bekannten Nazis brutal zusammengeschlagen und an den Haaren über den Boden geschleift. Die lebensgefährlichen Verletzungen führten zu einer Querschnittslähmung.
Auch in einer anderen Stadt des rheinland-pfälzischen Hinterlands sind die Nazis rührig. In Alzey ist die NPD – genau wie in Pirmasens – seit 2009 im Stadtrat vertreten. In den vergangenen Jahren marschierte immer wieder die mit der NPD verbundene »Initiative Südwest« in der Stadt auf, mehrfach beispielsweise zum »Tag der deutschen Einheit«. Die Einwohner und Behörden nahmen das Auftreten der Nazis in Alzey hin.
Auch dort kam der Protest von außerhalb: 2005 und 2006 demonstrierten Antifa-Gruppen aus Mainz und Bingen gegen den Naziaufmarsch, was jedoch von den Alzeyer Bürgern schlicht ignoriert wurde. Auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes aus Kaiserslautern blieb dem Protest in Alzey fern, ihrer Ansicht nach sollte dieser nicht von außen in die Stadt gebracht werden, sondern an Ort und Stelle entstehen. Darauf wurde jedoch vergeblich gewartet.
»Damals stellte sich die Stadt Alzey einfach tot«, sagt der AK Antifa Mainz. Die Stadtverwaltung beschloss jedes Jahr aufs Neue, nichts gegen die Aufmärsche zu unternehmen. Journalisten wurden aufgefordert, nicht über die Nazis zu berichten, weil diese dadurch nur »aufgewertet« würden. Die Allgemeine Zeitung Alzey hielt sich an die Vorgabe, berichtete dafür aber nach den Aufmärschen nicht sonderlich neutral über die Gegendemonstrationen der Antifa: »Da sind die ausländerfeindlichen Rechten nicht besser als die autonomen Linken, die sich unter den Augen der Polizei mit Bier und Haschischkonsum selbst anheizten.« Die Alzeyer Bevölkerung kam hingegen recht gut weg: Sie habe »dem braunen Spuk die kalte Schulter« gezeigt. Das stimmt nicht ganz: Ein Alzeyer bekundete 2005 seine Sympathie für die Nazis, indem er eine schwarz-weiß-rote Fahne an seinem Fenster aufhängte.
Wegen dieser Stimmungsmache und der ernüchternden Erfahrung, dass nur sehr wenige Alzeyer an den Gegendemonstrationen teilnahmen, sparten sich die Antifa-Gruppen in den folgenden Jahren die Mühe. So konnten die Nazis in der Folge unbehelligt jährlich mehrere Kundgebungen oder Aufmärsche abhalten. Es kam auch zu tätlichen Angriffen. Zuletzt überfielen Nazis im März eine Abiturfeier. Im selben und im folgenden Monat demonstrierte die »Initiative Südwest« gegen den Islamunterricht. Als die Gruppe für den 11. September einen Aufmarsch »gegen Ausländerkriminalität, staatliche Repression und Polizeiwillkür« ankündigte, bildete sich zum ersten Mal in Alzey selbst ein Bündnis, das zu Gegenaktivitäten aufrief und feststellte: »Es langt! So darf es in Alzey nicht weiter gehen.«
Die örtlichen Nazis zeigten sich jedoch unbeeindruckt: Nachdem die Zeit und der Ort einer Zusammenkunft für protestwillige Bürger in der Lokalzeitung veröffentlicht worden waren, mussten dieses und die folgenden Treffen unter Polizeischutz stattfinden. Etwa 30 Nazis versuchten getreu ihrem Motto »Keine Veranstaltung über uns ohne uns« die Anwesenden einzuschüchtern.
Am 11. September hielten sich die Proteste der Alzeyer aber doch wieder in Grenzen, die Nazis konnten ungehindert marschieren: Die Zahl der Gegendemonstranten war nicht größer als in den Jahren, in denen der Protest von auswärtigen Gruppen organisiert worden war. Etwas Gutes hat das Geschehen nach Ansicht der Antifa Worms aber gebracht: »Das einzig Positive an diesem Tag ist die Berichterstattung in der Allgemeinen Zeitung Alzey, die erstmals schwarz auf weiß abdruckt: ›Hier existiert eine große Nazi-Szene.‹ Mit dieser Schlagzeile widerlegt die Presse die jahrelang geäußerten Dementis seitens der öffentlichen Stellen.«