Afrikanisches Kino in Berlin

Iron Ladies, Crying Men

»Afrikamera 2010« in Berlin: Afrikanische Filmemacher wollen nicht länger als Entwicklungshelfer wahrgenommen werden.

Es ist nun gut 50 Jahre her, dass im Zuge der antikolonialen Emanzipationsbewegungen die ersten afrikanischen Filmemacher die Bühne des Weltkinos betraten. Doch bis heute kommt es nicht allzu häufig vor, dass für sie auf einem international bedeutenden Filmfestival der rote Teppich ausgerollt wird. Und auch in einer Stadt wie Berlin, die eigentlich für ihr umfangreiches Kinoprogramm bekannt ist, müssen afrikanische Filme in einer ganz normalen Kinowoche mit der Lupe gesucht werden. Um dieser mangelnden Präsenz des afrikanischen Filmschaffens in Berlin entgegenzutreten, fand Ende November im Filmkunsthaus Arsenal das Festival »Afrikamera 2010« statt. Gezeigt wurde eine kleine, aber feine Auswahl von aktuellen Filmen aus Äthiopien, Algerien, Liberia, dem Kongo, Madagaskar, dem Tschad und Südafrika. Auf dem Programm standen dabei nicht nur abendfüllende Spiel- und Dokumentarfilme, sondern auch Kurz- und Animationsfilme.
Da in nur sehr wenigen afrikanischen Ländern (wie beispielsweise in Nigeria) eine eigene Filmindustrie und nur vereinzelt (wie etwa in Südafrika) eine staatliche Filmförderung existiert, sind afrikanische Filmemacher in erster Linie auf nicht-afrikanische, zumeist europäische Filmförderungsinstitutionen angewiesen. Somit stecken sie in einer moralischen Zwickmühle, da sie von den gleichen westlichen Regierungen und ihren Behörden abhängen, welche Afrika mithilfe von Krediten der Weltbank und des Währungsfonds in einem Zustand der strukturellen Abhängigkeit gefangen halten. Oder wie es der südafrikanische Regisseur Zola Maseko ausdrückt: »Für uns Filmemacher ist das etwa so, als würde ein misshandeltes Kind seine Eltern um Geld zum Besuch einer Konferenz über Kindesmisshandlung bitten.«
Da die Auseinandersetzungen zwischen Afrika und dem Westen auch im Film sehr kompliziert sind und es jede Menge fehlgeleitete Hoffnungen, Erwartungen und Projektionen gibt, kann es unter Umständen so weit kommen, dass sich ein afrikanischer Filmemacher von potentiellen Geldgebern sagen lassen muss, dass seine Filme »nicht afrikanisch genug« seien. Doch gerade weil die Bilder von Afrika, welche wir tagtäglich vorgesetzt bekommen, zuweilen sehr wenig mit der Realität in den einzelnen Ländern zu tun haben, sind hier die Beiträge der afrikanischen Filmemacher so wichtig. Sie setzen dem ethnographischen Blick des Westens ein von Empathie geleitetes Beobachten und Zuhören entgegen, das die Wahrnehmung von komplexen politischen Realitäten ermöglicht.
So zeigt der algerische Regisseur Malek Bensmaïl in seinem poetischen Dokumentarfilm »La Chine est encore loin« (»China is Still Far Away«, Algerien/Frankreich 2008) das alltägliche Leben im Dorf Ghassira, das als Wiege des algerischen Unabhängigkeitskampfes gilt. Dabei geht es ihm jedoch nicht um die vermeintliche Rekonstruktion von Erinnerungen an vergangene politische Kämpfe. Er verlegt sein genaues Zuhören und Hinsehen in die Gegenwart, in welcher jede noch so kleine Bemerkung und jede noch so kleine Geste etwas Relevantes erzählt. Dabei schafft er einen kinematographischen Raum, in dem die Menschen im Kino nicht zu Voyeuren werden, sondern sich mit den Protagonisten und deren ganz realen Problemen und Hoffnungen verbunden fühlen.
Auch Mahamet Saleh-Haroun zeigt mit seinem Film »Un Homme Qui Crie« (»A Screaming Man«, Tschad/Frankreich/Belgien 2010), wie sich die komplexen und vielschichtigen Probleme in einem Land wie dem Tschad, das durch jahrelange gewalttätige Auseinandersetzungen und ökonomische Unsicherheit gekennzeichnet ist, auf das Leben seiner Bewohner auswirken. Wie bereits in seinem Film »Darrat« begreift Saleh-Haroun die politische Krise des Tschad als ein Problem von Männlichkeit. Der Film kann als Anklage eines Männlichkeitsbilds verstanden werden, das in der Grausamkeit des Krieges seine idealtypische Erfüllung sieht. Erst durch die Aufgabe eines Bildes von Männlichkeit, wie dies am Ende des Films »Un Homme Qui Crie« symbolisch vorgeführt wird, kann es eine lebenswerte Zukunft geben.
Auch im Dokumentarfilm »Iron Ladies of ­Liberia« (Daniel Junge, Siatta Scott-Johnson, Liberia/USA 2008) ist die Kritik an einer bestimmten Form von Männlichkeit deutlich zu vernehmen, obwohl das Politische in diesem Film auf einer ganz anderen Ebene verhandelt wird. Dieser Film begleitet die erste frei gewählte Staatschefin Afrikas, Ellen Johnson Sirleaf, während ihrer ersten Monate als Präsidentin Liberias. Die Präsidentin wird dabei als eine Frau porträtiert, die zusammen mit ihren politischen Weggefährtinnen alles besser machen will als ihre männlichen Vorgänger. Der Film hat dabei nicht den Anspruch, objektiv über die Politik von Johnson Sirleaf zu berichten, es ist auch kein Informationsfilm zur Lage prekärer Staaten oder darüber, wie deren Probleme bestmöglich gelöst werden könnten. Die Präsidentin Liberias fungiert mehr als ein Beispiel für so viele aus der gegenwärtigen Generation afrikanischer Politiker, die ihre Gesellschaften nach Jahrzehnten gewaltsamer Auseinandersetzungen wieder zu einem lebenswerten Stück Erde machen wollen. »Iron Ladies of Liberia« ist insofern ein Lehrfilm für all diejenigen, welche immer noch glauben, die Probleme eines Staats wie Liberia seien vor allem durch die Etablierung von »guter Regierungsführung« und ein weiteres Öffnen der Märkte zu lösen. Dabei könnte der Film zu der Einsicht verhelfen, dass Afrikaner keine Bevormundung durch vermeintliche Regierungsberater oder internationale Hilfsorganisationen brauchen, sondern zuallererst einmal die Möglichkeit, ihre Geschicke selbst in die Hände nehmen zu können.
Dass wir von einem solchen Zustand leider noch sehr weit entfernt sind, zeigt sich nicht zuletzt an der Finanzierungssituation für afrikanische Filme, was auch auf einer Diskussion angesprochen wurde, die unter dem Motto »Afrikanisches Kino – Motor für Entwicklung und Plattform für freie Meinungsäußerung« am zweiten Festivaltag stattfand. Da Afrika aus europäischer Sicht wohl noch immer durch das Raster des Problemfalls wahrgenommen wird, verwundert es kaum, dass diese Diskussion unter anderem von der GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) organisiert wurde. Es scheint so, als sei aus europäischer Sicht alles, was mit Afrika zu tun hat, eine Angelegenheit der Entwicklungshilfe.
In seiner Begrüßungsnote an das Berliner Publikum hatte der Regisseur des Eröffnungsfilms des Festivals, Mahamat Saleh-Haroun aus dem Tschad, geschrieben, dass es eine außerordentlich wichtige politische Initiative sei, in einer Stadt wie Berlin aktuelle Filme aus Afrika zu zeigen. Dem ist vor allem deshalb zuzustimmen, weil viele Filme des Festivals noch einmal sehr deutlich gemacht haben, dass sie als Filme ernst genommen werden sollten und nicht als Beitrag zu einer vermeintlichen Entwicklungshilfe. Denn erst wenn diese Logik durchbrochen wird, kann es zu einer wirklichen Unabhängigkeit Afrikas kommen.