Über sexualisierte Gewalt in Südafrika

Für eine andere Männlichkeit

In Südafrika ist Gewalt gegen Frauen allgegenwärtig. Dass Geschlechtergerechtigkeit und weitreichende Frauenrechte in der Verfassung festgeschrieben sind, ändert wenig an der alltäglichen Gewalt, die das Leben vieler südafrikanischen Frauen bestimmt. Gewerkschaften, Frauen- und LGBT-Organisationen engagieren sich für die Betroffenen. Aber es gibt auch Männer, die einen anderen Umgang mit Frauen, Sexu­alität und Männlichkeit lernen wollen.

»Was in der Sexarbeit geschieht, spiegelt wieder, was in der Gesellschaft geschieht««, sagt Vivian im kleinen Besprechungsraum im Community Center in Salt River in Kapstadt. Sie arbeitet für die Organisation Sex Worker Education and Advocacy Taskforce (Sweat) und macht klar: »Dies ist eine normale Arbeit, weshalb wir bestimmte Arbeits- und Gesundheitsrechte brauchen.« Die Organisation setzt sich für die Entkriminalisierung der Prostitution ein, die in Südafrika verboten ist und zu 89 Prozent von schwarzen Frauen ausgeübt wird, hauptsächlich in Bordellen, die überwiegend weißen Männern gehören.
»Der Körper der Sexarbeiterin ist der Schauplatz feministischer Kämpfe und gleichzeitig der gewaltsamen Verhältnisse in der Post-Apartheid-Gesellschaft«, sagt Vivian. Sweat ermöglicht die Selbstorganisation. Die Sexarbeiterinnen treffen sich in diesen Räumen, das Fahrgeld bekommen sie erstattet, sie tauschen sich über Themen wie Safer Sex, Gesundheitsfürsorge und Gewaltprävention aus. Vivian lacht viel, während sie schildert, wie schwierig es ist, Sexarbeiterinnen zu organisieren: »Ja, ein wenig sarkastisch werden wir hier alle nach einer Weile«, das sei aber auch notwendig, da die harte Arbeit sonst nicht zu leisten sei.

Als Sexarbeiterin kann man in Südafrika im Schnitt viermal mehr verdienen als mit anderer Lohnarbeit. Auch wenn das Risiko, Opfer sexu­alisierter Gewalt zu werden, sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken und einen großen Teil der Einnahmen wieder abgeben zu müssen, sehr hoch ist. Außerdem ist es für Frauen schwieriger als für Männer, eine legale Arbeit zu finden. Gleichzeitig sind es immer wieder auch schwarze Männer oder Coloureds, die am Straßenrand stehen und darauf warten, abgeholt zu werden, um auf Baustellen zu arbeiten. Die Chancen, eine Arbeit zu bekommen, sind für Weiße viermal höher als für Schwarze, und auch die Einkommen zeigen deutlich die Kontinuitäten der Apartheid: Ein weißer Mann verdient 16 Mal mehr als eine schwarze Frau.
Das Einkommen von Myrtle ist deutlich höher als das Durchschnittseinkommen schwarzer Frauen in Südafrika, das bei 1 200 Rand (ca. 120 Euro) monatlich liegt. Sie verdient sieben Rand in der Stunde als Hausangestellte. Myrtle ist Mitglied der South African Domestic Servers Allied Workers Union (Sadsawu), einer Gewerkschaft für Hausangestellte, die dem Dachverband Congress of South African Trade Unions (Cosatu) angehört. Die Sadsawu fordert einen Mindestlohn von 15 Rand (1,50 Euro) in der Stunde.
Auf dem Weg in den malerischen Küstenort Houd Bay, wo in einem Café mit Blick auf das Meer ein Kaffee 15 Rand kostet, erzählt Myrtle, dass der Mindestlohn derzeit bei sieben Rand liegt. Dieser kann aber schlecht durchgesetzt werden, da die Arbeiterinnen kaum gewerkschaftlich organisiert sind. Sexarbeiterinnen und Hausangestellte sind ein Beispiel für die hierarchisch organisierte Arbeitswelt im heutigen Südafrika, in der sowohl rassistische als auch sexistische Gesellschaftsstrukturen beständig reproduziert werden. Die niedrigsten Arbeiten werden von schwarzen Frauen geleistet, teilweise von schwarzen Migrantinnen. Myrtle präzisiert deshalb: »Wir fordern die Rechte auch für Migrantinnen.«
Im hauptsächlich von Coloureds und Rastafaris bewohnten Teil von Houd Bay, einem informal settlement, das vor der Räumung steht, haben sich weitere Mitglieder der Sadsawu versammelt. Die Bewohnerinnen und Bewohner wehren sich gegen die drohende Räumung und verurteilen die Polizeigewalt der vergangenen Wochen. »Wenn einer von uns verletzt wird, dann werden wir alle verletzt«, skandieren die rund 300 Protestierenden. Hier soll eine weitere Gated Community mit wunderschönem Blick auf die Bucht entstehen, ein Viertel für die weiße Mittelschicht.
Dieses Umfeld kennt Myrtle aus ihrer Lohn- und Gewerkschaftsarbeit sehr gut. »An meinem freien Tag gehe ich von Haus zu Haus, um die Angestellten über ihre Rechte und die Gewerkschaft aufzuklären«, erzählt sie. »Die Regierung hat gute Arbeit geleistet, denn es gibt Arbeitsrechte, mit der Durchsetzung dieser Rechte gibt es aber Probleme.« Die Forderungen der Demonstrantinnen und Demonstranten richten sich an die Regierungspartei ANC, die mit Rednern auf der Kundgebung vertreten ist. Der ANC, der überall, außer in der Region Western Cape regiert, ist politisch eng mit dem Cosatu verbunden.
Afrikanische Sexarbeiterinnen und Hausangestellte sind innerhalb des intimen Abhängigkeitsgefüges, in dem sie sich beruflich befinden, häufiger von Vergewaltigungen und sexualisierter Gewalt bedroht als andere Frauen. Seit der Kolonialzeit wurde in Südafrika die uneingeschränkte Verfügbarkeit über die Arbeitskraft und die Körper afrikanischer Frauen gewaltsam durchgesetzt. Nach dem Ende des Apartheid-Regimes scheint sich wenig an dieser Denkart geändert zu haben.

In der juristischen Praxis werden Klagen von Hausangestellten häufig abgelehnt, denn für den gewalttätigen Hausherren ist es nicht schwer, Zeuginnen und Zeugen zu finden, die ihm seine Unschuld bescheinigen. Meist kommen sie aus der eigenen Familie. Viele Konflikte werden auch gleich außergerichtlich beigelegt, weil die Klagende von der Familie unter Druck gesetzt wird. Myrtle berichtet von Kindern von Hausangestellten in den Townships. Die Existenz dieser Kinder beweist, dass das Arbeitsverhältnis häufig auch ein körperliches, sexualisiertes ist.
In den vergangenen 18 Jahren kümmerte sie sich um den Sohn ihrer Arbeitgeberfamilie. Ausführlich erzählt sie von gemeinsamen Arztbesuchen und Geburtstagen, von ihrem Wohnort, der gleichzeitig ihr Arbeitsplatz ist. Unter diesen klaustrophobischen Bedingungen arbeitet schätzungsweise eine Million Frauen in Südafrika, isoliert arbeitet jede in ihrer jeweiligen Arbeitgeberfamilie, die das Verhältnis häufig romantisiert: die schwarze Nanny als »Perle des Haushalts« und als zuverlässige Erzieherin für den Nachwuchs. Ignoriert wird häufig, dass diese Frauen kein eigenes Leben mehr haben, eine Trennung zwischen privatem und beruflichem Leben ist ihnen nahezu unmöglich.
Die Reden auf dem Podium in Houd Bay werden fortgesetzt. Weitere Frauen, die Mitglieder der Sadsawu sind, berichten etwas abseits der Kundgebung, dass dem Zugriff auf ihre Körper kaum etwas entgegenzusetzen sei. Fälle von Arbeitgebern, die Frauen auf HIV/Aids testen lassen, ohne sie darüber zu informieren, seien häufig, der Arzt teile dem Arbeitgeber das Ergebnis mit und im schlimmsten Fall werde der Frau gekündigt. Eine Genossin von Myrtle erzählt von der Steinigung einer an Aids erkrankten Frau in einem Township. Angst vor weiterer Gewalt gegen Frauen, die sexuelle Übergriffe öffentlich machen, ist verbreitet.
»Ein großes Problem ist auch die mangelnde Bildung, viele Hausangestellte können weder lesen noch schreiben«, erzählt Myrtle weiter. Die Fortbildung mit dem Titel »Domestic skills development«, die vom Arbeitsministerium angeboten wurde, habe nur das Ziel gehabt, Frauen zu »besseren Sklavinnen« zu machen. »Während der Apartheid waren wir Sklavinnen, heute sind wir Sklavinnen, die Rechte haben.«
Die sexuelle Orientierung der Frauen, die wir bis jetzt getroffen haben, blieb ungenannt, die Anforderungen, die an sie gestellt werden, sind jedoch die üblichen: Heterosexualität, eine spezifisch weibliche Mütterlichkeit und ein Körper, der von Männern begeht wird.

Was bedeuten diese Anforderungen für Menschen, die sich nicht dieser Heteronorm unterwerfen? An einem heißen und strahlend blauen Tag fahren wir nach Gugutethu, einem der vier Townships in der Region um Kapstadt, in dem etwa 330 000 Menschen leben. Vorbei an einem bewachten Viertel namens Pinelands über videoüberwachte Straßen gelangt man auf die Schnellstraße N2 Richtung Flughafen. Die N2 trennt seit dem Bestehen der Apartheid die Townships der coloured Communities von den Townships der schwarzen Communities. Menschen, die von einem Teil der Armensiedlung zum anderen gelangen wollen, benutzen hierfür den Standstreifen der Schnellstraße, aber auch für den Transport von Vieh oder Feuerholz werden die Highways genutzt. Die Abfahrt Gugulethu führt auf die Hauptstraße NY1. Hier wartet Ndumie von Lulek’i Siswe, einem Lesben-Projekt in den Townships.
»Ich zwinge niemanden dazu, mich zu unterstützen. Und ich habe es satt, Leuten zu helfen, ihre Organisationen zu führen, die dann an Ansehen gewinnen, während ich diejenige bin, die die dreckige Arbeit macht.« Ndumie arbeitete bereits für größere Nichtregierungsorganisationen, von denen sie sich in ihrer Arbeit mit den Betroffenen zu wenig unterstützt fühlte.
Dass Ndumie sich als Einzelkämpferin sieht, wird verständlich, als sie von ihrem jahrzehntelangen Kampf als LGBT-Aktivistin erzählt. Ihre Partnerin, eine der Namensgeberinnen der Organisation, starb an einer durch sexualisierte Gewalt übertragenen Krankheit, nachdem sie intensiv für Lulek’i Siswe gerarbeitet hatte. Ndumies Arbeit begann jedoch bereits in der Schulzeit: »Meine Eltern haben es mir abgewöhnt, politisch zu sein, aber meine Sexualität konnten sie mir nicht austreiben.«
Die Situation von Lesben in südafrikanischen Townships und in informal settlements ist geprägt von einem Phänomen, das hier »korrigierende Vergewaltigung« (corrective rape) genannt wird. Diese Hassverbrechen werden von Gangs, aber auch von Einzelpersonen, oftmals von den Familienmitgliedern der lesbischen Frauen verübt und sollen dazu dienen, die »sexuell abweichenden« Frauen zu »normalisieren«.
»Ich habe viele lesbische Frauen gesehen, die ermordet oder vergewaltigt wurden, dagegen engagiert sich kaum jemand«, erzählt Ndumie, aufrecht auf ihrem Bett in der zehn Quadratmeter großen Holzhütte sitzend. Die Mittagssonne lässt die Temperatur in der kleinen Behausung, die als Büro, Ess- und Schlafzimmer, aber häufig auch als Gästezimmer für betroffene Frauen dient, stark steigen. »Im Jahr 2003 habe ich ein Mädchen getroffen, das ein Jahr zuvor von fünf Männern vergewaltigt worden war. Wir begleiteten sie, als sie einen HIV-Test machen wollte. Sie war posi­tiv.« HIV/Aids-Erkrankungen unter jungen Frauen in Südafrika sind wegen der vielen Vergewaltigungen sehr verbreitet.
»Geschlechtsspezifische Gewalt, Hassverbrechen und Homophobie eskalieren alltäglich«, bestätigt auch Marlow vom LGBT-Projekt Triangle, den wir in einem Büro in Observatory, Kapstadt, treffen, das mit einer offenen Bibliothek, einer Spielecke und einem Wickeltisch familienfreundlich gestaltet ist. Hier sind die Mauern dicker, es ist nicht ganz so heiß wie in Gugutethu und die Arbeit wirkt nicht so anstrengend wie bei Ndumie. Marlow erklärt, wie sich die Dynamik der Macht der heterosexuellen Männer auf lesbische Frauen auswirkt, vor allem in den ländlichen Regionen und in den armen Gegenden. »Dort sehen wir sehr klar die Verknüpfung zwischen Race, Gender, sexueller Orientierung, Klasse und den Rechten, die jemandem zuerkannt werden. Wenn du eine Frau bist, wenn du schwarz bist und lesbisch, dann wirst du stärker diskriminiert.« Viele Kämpfe, vor allem feministische, seien während des Kampfs gegen die Apartheid zurückgestellt worden und dann später in der Phase der Regierungsbildung des ANC vom Staat absorbiert worden. »Wir hatten einen sehr fortschrittlichen Prozess der Verfassungsbildung, an dem viele politische Kräfte beteiligt waren, aber die einfachen Bürger hat niemand mitgenommen«, sagt Marlow.
Seit 1994 sind die rechtliche Gleichstellung und der Schutz von Frauen tatsächlich immer weiter verbessert worden. Die südafrikanische Gesetzeslage ist im internationalen Vergleich außerordentlich fortschrittlich. So besteht zum Beispiel das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, aber es finden sich kaum Menschen, die einen solchen Abbruch offiziell durchführen, da eine große Angst vor Stigmatisierung besteht und der Einfluss von traditionell-patriarchalischen und re­ligiös-moralischen Vorstellungen sehr stark ist. Es gibt Gesetze, die Frauen vor häuslicher Gewalt schützen, sowie Regelungen für Unterhaltsverpflichtungen. Auf dem Papier wird auch die Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt garantiert, also das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Das Antidiskriminierungsgesetz schützt vor einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung. Seit 2002 können homosexuelle Paare Kinder adoptieren, seit 2006 dürfen gleichgeschlechtliche Paare heiraten.
Doch die Realität in Südafrika sieht anders aus. Im Rahmen einer Studie des südafrikanischen Medical Research Council gaben im Jahr 2009 mehr als 25 Prozent der befragten südafrikanischen Männer an, mindestens einmal schon eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt zu haben. In Südafrika werden jährlich 52 000 Vergewaltigungen gemeldet, doch wird geschätzt, dass es sich um nur zehn Prozent der tatsächlich verübten Vergewaltigungen handelt. Hinzu kommt eine HIV-Infektionsrate in der Bevölkerung von über 20 Prozent.
Mit der Überwindung maskuliner Gewaltmuster, auf die Hassverbrechen, homophobe Übergriffe, Vergewaltigungen und häusliche Gewalt zurückzuführen sind, beschäftigten sich in den vergangenen Jahren nicht nur Frauen- und LGBT-Gruppen, sondern auch Männer. In diesem Zusammenhang sind Projekte entstanden, die versuchen, die vorherrschenden Vorstellungen von Männlichkeit in einer patriarchalen Gesellschaft in Frage zu stellen.

»One Man Can« heißt etwa eine Kampagne der NGO Sonke Gender Justice Network. Sonke ist eine große Organisation, die unter anderem von der Flüchtlingskommission der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) finanziert wird. Sie setzt den einzelnen Mann in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Denn, so wird uns auf Nachfrage erklärt, auch Männer seien Opfer des Patriarchats.
Da die Frauen sich bereits Rechte erstritten hätten, müsste nun emanzipative Männerarbeit in den Vordergrund rücken. Angeboten werden Workshops zu Themen wie Vergewaltigung in der Ehe oder über die Frage, wie Männer ein besseres Verhältnis zu ihren Töchtern aufbauen können.
Durch diese Kampagne, die seit einigen Jahren auch über die Grenzen Südafrikas hinaus läuft, will die NGO Männer für sexualisierte Gewalt und Geschlechtergerechtigkeit sensibilisieren. Dabei werden die Durchsetzung der Rechte von Frauen und der Verzicht auf Gewalt als Ausdruck von Männlichkeit zunächst im privaten Umfeld thematisiert: »Sei ein guter Mann, arbeite mit da­ran, eine bessere, fairere und gerechtere Welt zu schaffen«, lautet die etwas moralisierende Botschaft der Kampagne.
Soziale Unterschiede, Rassismus und eigene Gewalterfahrungen der Männer sowie die dahinter liegenden Herrschaftsverhältnisse werden ­allerdings nicht problematisiert. Statt auf einer Sensibilisierung für sämtliche Formen der Unterdrückung, der Entwicklung möglicher Widerstandsformen und tatsächlichem Empowerment liegt hier der Fokus auf der moralischen Verbesserung des einzelnen Mannes.
Um die einzelnen Frauen, die allesamt Ausbeutung und Gewalt erlebt haben, kümmern sich Ndumie, Myrtle und Vivian und die unterfinanzierten Organisationen, denen sie angehören. Ob Kampagnen wie »One Man Can« ihnen helfen werden, Verbündete für ihren Kampf zu finden, bleibt offen.