20 Jahre nach dem Pogrom in Hoyerswerda

»Den Vietnamesen erschlagen müssen«

Vor 20 Jahren ereignete sich im sächsischen Hoyerswerda das erste Pogrom der deutschen Nachkriegszeit. Der dumpfe Rassismus besteht fort – vor allem in den wirtschaftlich aufgegebenen Regionen in Ostdeutschland.

Hoyerswerda ist ein Städtchen mit 37 000 Einwohnern in der sächsischen Lausitz, das oft vom Liedermacher Gerhard Gundermann besungen wurde und heute dessen Andenken pflegt. Ein großes Einkaufszentrum, das Lausitz-Center, gibt es hier. Es verfügt stets über viele freie Parkplätze. In der Lausitzhalle finden gelegentlich Gastspiele statt. Ein Altersdurchschnitt von über 50 Jahren zieht staunende Demographen und Anthropologen an. Ansonsten geht es beschaulich zu. Vor der Wiedervereinigung hatte Hoyerswerda 71 000 Einwohner, galt als kinderreichste Stadt der DDR und war Zentrum des Lausitzer Tagebaus – die »Blume im Revier« (Gundermann).

Vor 20 Jahren, vom 17. bis zum 22. September 1991, kam es in Hoyerswerda zum ersten Pogrom der deutschen Nachkriegszeit. Meist junge Männer griffen vietnamesische Straßenhändler, ein Wohnheim für mosambikanische Vertragsarbeiter, eine Flüchtlingsunterkunft und Wohnungen ausländischer Menschen an. Es war der Auftakt zu einer ganzen Welle von Angriffen auf Asylbewerber- und Vertragsarbeiterheime, die ein knappes Jahr später in Rostock-Lichtenhagen in einer Art Volksfest kulminierte, mit Würstchen­buden und allem, was dazugehört. Das Pogrom in Rostock war auch der Höhepunkt des Ineinandergreifens von Massenmeinung und Regierungswillen. In der Folge wurden am deutschen Asylrecht Änderungen vorgenommen, die einer Abschaffung gleichkamen, DDR-Vertragsarbeiter wurden abgeschoben und weite Teile Ostdeutschlands somit staatlicherseits in »national befreite Zonen« verwandelt. Es etablierte sich eine von rechtsextremen Themen und Symbolen dominierte Jugendkultur, die in rasender Geschwindigkeit auch auf Westdeutschland übergriff. In Mölln, Lübeck und Solingen wurden Menschen in ihren Häusern verbrannt, es gab kaum eine ostdeutsche Gemeinde, in der es nicht zu Gewaltakten bis hin zum Mord auf offener Straße kam. In Berlin fanden Straßenschlachten zwischen Nazis und Linken statt, die an die Spätphase der Weimarer Republik erinnerten. Ein Jahr nach der Unterzeichnung des Einheitsvertrags war ein deutsches Horror­szenario entstanden, das von der internationalen Presse und Politik mit Schaudern betrachtet wurde und dessen Folgen das Land bis heute prägen, wie sich unter anderem zeigte, als bei der Fußball-WM 2006 »die Welt zu Gast bei Freunden« sein sollte, aber ausländische Fans vor No-go-Areas gewarnt werden mussten.
Und doch wird kaum über das Pogrom von Hoyerswerda und die folgenden Ereignisse gesprochen. In der deutschen Nachwendeliteratur tauchen selbst Skinheads nur selten auf. Dass die meist jugendlichen Mord­buben seinerzeit nur die Sturmtruppen einer völkischen Massenbewegung und eines nationalen Ini­tiationsrituals waren, gerät über der Verklärung der »friedlichen Revolution« und der Wiedervereinigung zunehmend in Vergessenheit. Nazis hatten zwar schon vor 1989 in beiden deutschen Staaten Brandanschläge verübt. Doch an den Pogromen der frühen Neunziger war neu, dass sie bei der Mehrheit Anklang fanden. Mit dem Beitritt der DDR, der Abwicklung ihrer Wirtschaft und der sich ausbreitenden Massenarbeitslosigkeit entstand ein Volksempfinden, das in der Parole »Deutsche zuerst!« seinen Ausdruck fand un d Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft neben der Staatszugehörigkeit auch das Lebensrecht absprach.

Wie weit dieses völkische Denken verbreitet war, zeigt das Beispiel des 1998 verstorbenen Liedermachers Gundermann, der auch außerhalb von Hoyerswerda und gerade in einer sich als links-alternativ verstehenden Künstlerszene beliebt war und ist. Noch 1996 äußerte er sich in dem In­terviewbuch »Rockpoet und Baggerfahrer« so: »Mein Hund, der bei mir zur Familie gehört, der auf meinem Kissen schläft, ist für den Vietnamesen lediglich eine wandelnde Delikatesse auf vier Beinen. Mein Hund, mein Bruder, mein Kind soll erschlagen und gegessen (werden)! Wenn das passiert, werde ich den Vietnamesen erschlagen müssen, obwohl er mein Kumpel ist. So liegen die Dinge. Also jetzt mal krass ausgedrückt.« Und den ahnungs­losen Kommentatoren aus dem Westen solle man »die Zungen rausschneiden«, wie er es während eines Konzerts 1991 »mal krass« ausdrückte.
Aussagen wie diese werden als Ausrutscher betrachtet, zu grob vielleicht, aber verständlich aus der Zeit heraus. Kommt eben vor, wenn’s gesellschaftlich im Gebälk kracht. So ähnlich wurde damals auch der weitverbreitete, milde Blick auf die Täter begründet, der sich auch in Freisprüchen oder Bewährungsstrafen von einer bestenfalls schwer verunsicherten Justiz ausdrückte, deren Urteile sich in den Jahren 1991 und 1992 auf Zeugenaussagen und Ermittlungen von Po­lizisten stützte, die nicht nur in Hoyerswerda und Rostock den Verbrechen tatenlos zugesehen hatten.
Dies lag jedoch nicht an mangelnder Ausrüstung oder einer politischen Verunsicherung der ehemaligen Volkspolizisten, wie es gern dargestellt wurde. Auch westdeutsche Spezialeinheiten reisten nur als Zuschauer an, wie der im brennenden Sonnenblumenhaus von Rostock eingeschlossene Journalist Jochen Schmidt in seinem 2002 erschienenen Buch »Politische Brandstiftung« beschreibt. Zur Frage, wieso die Polizei nicht eingriff, zitiert er einen Beamten: »Vielleicht sollte es einfach die große Katastrophe geben.« Dass das Wörtchen »vielleicht« in diesem Satz getrost gestrichen werden kann, bewies der mecklenburgische Ministerpräsident Bernd Seite (CDU). Er verlas sofort nach dem Pogrom folgende Erklärung: »Die Vorfälle der vergangenen Tage machen deutlich, dass eine Ergänzung des Asylrechts dringend erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird.« Das hatte Helmut Kohl bereits seit seinem Amtsantritt 1982 gefordert, wenige Monate nach dem Pogrom in Rostock wurde die Änderung des Asylrechts mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit verabschiedet.
So erklärt sich rückblickend, warum umgehend nach Vollzug der staatlichen Einheit Asylbewerber in die ostdeutsche Provinz geschickt und warum sie nach den Pogromen noch zu einer schrecklichen Odyssee durch eben diese Gegenden gezwungen wurden. Und es wird klar, warum bis heute kein politisches und öffentliches Inter­esse daran besteht, sich mit diesen Vorfällen der jüngsten deutschen Vergangenheit zu beschäftigen: Die Stichwortgeber der Brandstifter kamen auch aus dem Westen und saßen nicht zuletzt im Bundestag und im Kanzleramt. Auch das Interesse der sonst so braven Bürger, die johlend am Straßenrand standen, als Steine und Brandsätze flogen, über das Geschehen zu schweigen, ist leicht durchschaubar.
Dass sich aber auch Journalisten, Schriftsteller und Künstler nicht darum bemühen, die Vorfälle jener Jahre aufzuarbeiten, ist fatal. So konnte sich der dumpfe Rassismus, der sich gegen alles richtet, was anders ist, verfestigen – insbesondere in wirtschaftlich aufgegebenen Regionen. Dies lässt sich entlang der deutsch-polnischen Grenze beobachten, wo fast jeder Pole deutsch, aber kaum ein Deutscher polnisch spricht. Die polnischen Gemeinden blühen auf, während etwa Klaus-Dieter Hübner, der FDP-Bürgermeister von Guben, kürzlich die Wiedereinführung von Grenzkontrollen forderte. Im Juli legte der langjährige Ausländerbeauftragte von Schwedt, Ibramo Alberto, (»der letzte Schwarze« in der Stadt, wie die Märkische Allgemeine schrieb) sein Amt nieder und zog in den Westen, weil er die rassistischen Anfeindungen gegen seine Familie nicht mehr aushielt. Die NPD mag bei Wahlen mal mehr, mal weniger Stimmen erhalten, die »Freien Kameradschaften« mögen mal mehr, mal weniger Mitglieder haben – Rassismus und der Hass auf alles vermeintlich Fremde gedeihen auch außerhalb rechtsextremer Organisationen. Das wurde im Pogrom von Hoyerswerda offensichtlich.