Der Streit um zweisprachige Ortsschilder in Kärnten

Unter Freunden

Im vergangenen Sommer beendete das österreichische Parlament einen Jahrzehnte dauernden Streit in Kärnten. Künftig wird es dort Ortsschilder in deutscher und slowenischer Sprache geben.

Es war eine merkwürdige Szene, die am 6. Juli im österreichischen Parlament zu beobachten war: Von der Besuchertribüne aus grüßte Kärntens Landeshauptmann Gerhard Dörfler die Abgeordneten, als hätte er das Heil nach Wien gebracht. Die Parlamentarier applaudierten. Kurz zuvor hatten sie einstimmig eine Novelle des Volksgruppengesetzes beschlossen und in der Verfassung festgelegt. Der Gesetzesänderung zufolge sollen in Kärnten künftig 164 zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden. Die beiden Initiatoren der Novelle, Landeshauptmann Dörfler von der Freiheitlichen Partei in Kärnten und der sozialdemokratische Staatssekretär Josef Ostermayer, haben ihre Mission erfüllt. Der jahrzehntelange Konflikt um zweisprachige Ortstafeln in Südkärnten scheint befriedet, eine internationale Blamage Österreichs abgewendet.

Kärnten war und ist ein gemischtsprachiges Land. Während der Habsburger Monarchie legte der Kärntner Landtag 1850 gesetzlich fest, dass für sämtliche Ortschaften in Südkärnten zweisprachige Schilder anzubringen seien. 1910 galten für 820 Ortschaften Kärntens Namen in zwei Sprachen. Auch Schulen, Polizeiposten, Bahnhöfe und andere öffentliche Gebäude trugen zweisprachige Aufschriften. Vor etwas mehr als 100 Jahren sprachen über 25 Prozent der Bevölkerung Slowenisch.
Der totalitäre Deutschnationalismus setzte sich in Kärnten nach dem Plebiszit von 1920 über die staatliche Zugehörigkeit des Südkärntner Gebietes durch. Damals votierte die Mehrheit der Kärntner Slowenen nicht national, also für die jugoslawische Monarchie, sondern aus politischen und ökonomischen Gründen für die österreichische Republik. Die deutschkärntner Propaganda hatte die Achtung der sprachlichen und kulturellen Eigenheiten versprochen, und ein Teil des slowenischen Kleinbürgertums erhoffte sich vom »Deutschwerden« den sozialen Aufstieg.
Während der NS-Herrschaft wurde die Germanisierung brutal vorangetrieben. Es kam zur Vertreibung von Intellektuellen, zum Verbot der slowenischen Sprache, zur Angliederung slowenischer Gebiete und zu Massendeportationen slowenischer Familien.
Doch es bildete sich Widerstand. Kärntner Slowenen desertierten aus der Wehrmacht und gingen in die Wälder. Zugleich organisierte im ehemaligen Slowenien die Befreiungsfront der slowenischen Nation (OF) unter der Führung der Kommunistischen Partei Sloweniens den bewaffneten Aufstand gegen die deutsch-italienische Besatzung. Die OF kämpfte gegen die NS-Herrschaft, für die soziale Revolution und die natio­nale Einigung aller slowenisch besiedelten Gebiete im Rahmen eines neuen Jugoslawien.
Auch in Südkärnten wurde der Widerstand der Partisanen – der einzige bewaffnete Aufstand innerhalb des Deutschen Reiches – von der OF organisiert. Der starke Wunsch nach einem Anschluss an Jugoslawien war die logische Konsequenz aus den Erfahrungen der vorangegangenen Jahr­zehnte.
Die Kärntner Partisanen gehörten zu den Siegern des Krieges, sie verloren aber den Frieden. Die drei großen alliierten Mächte wollten in Österreich ein antideutsches Nationalbewusstsein aufbauen – die Deutschnationalen wurden »austrifiziert«, den Österreichern alle Sünden erlassen und fast alle Wünsche erfüllt. Gebiete abzutreten, kam nicht in Frage. In Südkärnten unterband die britische Besatzung jede pro-jugoslawische Agitation.
Dennoch hatte der Partisanenkampf in Südkärnten gesellschaftliche Veränderungen zur Folge. Erstmals gab es kämpferische, linke slowenische Organisationen. Im gesamten zweisprachigen Gebiet führte die sozialdemokratische Landesregierung nach Kriegsende ein zweisprachiges Pflichtschulwesen für alle Schüler ein, egal ob deren Muttersprache Deutsch oder Slowenisch war.
Weitere Minderheitenrechte wurden 1955 im Artikel 7 des Staatsvertrages von Wien verfassungsrechtlich festgeschrieben. Österreich wurde mit der Auflage in die Souveränität entlassen, Slowenisch in den Südkärntner Bezirken als gleichberechtigte Sprache anzuerkennen, bilinguale Ortstafeln aufzustellen und Slowenisch als Amtssprache zuzulassen. Doch statt diesem Artikel Folge zu leisten, wurde die Souveränität dazu genutzt, ihn auszuhöhlen. Schon 1957 wurde das zweisprachige Schulsystem demontiert.

Der Journalist Claus Gatterer notierte: »Die erste Bürgerinitiative, die ich in einem pluralistischen, bürgerlich-demokratischen Staatswesen erlebt habe, war der Kärntner Aufstand gegen die zweisprachige Schule. Die Initiatoren waren Nazis, der Inhalt after-nazistisch. Trotzdem hatte das Unternehmen Erfolg.«
Das Unternehmen hatte in Kärnten Erfolg, nicht obwohl, sondern weil es von Nazis organisiert worden war. Das wusste Gatterer. Sein »trotzdem« bezog sich auf die Bundespolitik, die den neuen »Kärntner Konsens« von rechtsextremen Heimatverbänden und Landesparteien folgsam exekutierte. Dies hatte eine fatale Wirkung, wie sich 1972 zeigte, als die SPÖ darangehen wollte, 205 zweisprachige Ortstafeln in Kärnten aufzustellen: Ein organisierter deutschnationaler Mob riss die Tafeln wieder ab. Der damalige sozialdemokratische Bundeskanzler Bruno Kreisky wurde in Klagenfurt antisemitisch beschimpft und sprach schockiert von einer neonazistischen Bewegung. Doch statt ihr zu Leibe zu rücken, gab Kreisky nach. Die kleinen, linken slowenischen Organisationen, die um den Artikel 7 kämpften, blieben weitgehend allein. Die slowenische Sprache wurde weiter zurückgedrängt. 1976 beschloss der Nationalrat ein Volksgruppengesetz, das nur mehr in 92 Orten zweisprachige Ortstafeln vorsah. Es verstieß klar gegen den Artikel 7 und wurde im Jahr 2001 schließlich vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben.
Mit Jörg Haider kam 1989 in Kärnten ein Politiker an die Macht, der den »Kärntner Konsens« auch den Richtern am österreichischen Obersten Gerichtshof vorschreiben wollte. Haider posaunte: »Kärnten wird einsprachig.« Er nutzte das Thema für Machtspiele mit der Bundesregierung und lehnte jede weitere zweisprachige Bezeichnung ab. Der Oberste Gerichtshof hatte dem Parlament schließlich eine Frist bis Herbst 2011 gesetzt. Josef Ostermeyers Mission bestand nicht etwa darin, endlich zu einer zeitgemäßen Umsetzung des Artikels 7 zu kommen, sondern eine vor dem Verfassungsgerichtshof nicht mehr anfechtbare Gesetzesnovelle vorzubereiten, der die Freiheitlichen zustimmten.

Vertreter der Kärntner Slowenen durften an einigen Gesprächsrunden teilnehmen, an den finalen Verhandlungen jedoch nicht. Der Gesetzesentwurf enthielt Verschlechterungen, auch gegenüber der geltenden Rechtslage, die der Obmann des Rates der Kärntner Slowenen, der Diplomat und Jurist Valentin Inzko, kritisierte. Die meisten Minderheitenvertreter machten dennoch gute Miene – weshalb ihnen die slowenischen Jugendorganisationen die Legitimation absprachen.
Für das Diktat gegen die Minderheit belohnte Dörfler seinen neuen Freund Ostermeyer mit dem höchsten Kärntner Landesorden. Begründet wurde dies damit, Ostermeyer habe Kärnten verstanden, sprich: den »Kärntner Konsens« vollzogen. Ebenso entzückt war Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). Er empfahl das System des Gut-Freund-Werdens hinter verschlossenen Türen auf Kosten von Grundrechten als Vorbild für Österreich. Jörg Haider ist tot, sein Schlachtruf »Am Kärntner Wesen soll die Republik genesen« lebt.