Ein Treffen mit dem isländischen Autor Einar Már Gudmundsson

Vorrübergehend total am Ende

Der weltberühmte isländische Autor Einar Már Gudmundsson hat einen Roman über eine persönliche Krise geschrieben, wird aber auch nicht müde, von Islands Untergang zu künden.

Das Auto von Einar Már Gudmundsson, ein Jeep, wie ihn fast jeder fährt in Island, steht vor der Garage. Anders ginge es gar nicht, denn in der Garage wäre kein Platz für ein Auto. Sie ist vielmehr Gudmundssons Arbeitsszimmer und Bibliothek. Überall stapeln sich die Bücher, isländische, englische und diverse Ausgaben seiner in viele Sprachen übersetzten Werke. Der Besucher wüsste in diesem Chaos gar nicht, wo er sich hinsetzen sollte, wenn der Autor nicht ein paar Buchstapel beiseite räumen würde.
Gudmundsson ist Vielleser, von Hause aus ist er Komparatist und immer wieder lässt er durchblicken, wie wichtig ihm neben der skandinavischen Literatur etwa die lateinamerikanische sei und wie bedeutsam er beispielsweise Günter Grass findet, dessen »Butt« ganz oben auf einem der vielen Büchertürme liegt.
Auch im »Weißen Buch«, einer auf Deutsch unter dem expliziteren Titel »Wie man ein Land in den Abgrund führt« erschienene Kampfschrift über die Krise Islands im Jahr 2008, ­zitiert er linke Schriftsteller von Bertolt Brecht bis Milan Kundera, um seine Polemik gegen den Finanzkapitalismus poetisch zu unterfüttern.
Das Buch, dessen Original-Cover der bekennende Beatles-Fan optisch dem »Weißen Album« nachempfunden hat, ist zwar schon voriges Jahr in Deutschland erschienen, aber wer zur Frankfurter Buchmesse nochmals nachlesen möchte, wie nach Meinung Gudmundssons das Ehrengastland durch Habgier und Korruption zugrunde gerichtet wurde, ist mit der ­Essaysammlung gut beraten.
Gudmundsson hat während dieser schweren Zeit für Island in seine Rolle als streitbarer, linker Intellektueller gefunden. War er vorher schon bekannt, so wurde er nun populär. In Zeitungsartikeln hat er gegen die Regierung gewettert und den Kapitalismus an sich verdammt. Er hat sich angelegt mit denen da oben und dabei kein Blatt vor den Mund genommen. Als Populist verurteilten die einen den Schrifsteller, als Stim me des Volkes feierten ihn die anderen. Und ununterbrochen und voller Zorn legt er in »Wie man ein Land in den Abgrund führt« nochmals so richtig los. Seine Krisenanalyse funktioniert ungefähr so: Es war einmal ein glückliches Land, Island, das lebte vom Fischfang, die Stimmung war gut, die Bäder waren beheizt und alle waren zufrieden. Dann kam die amerikanische Gier, der neoliberale Kapitalismus, und fraß das schöne Island mit Haut und Haar. Oskar Lafontaine oder Günter Grass hätten ihre Version von »Wie man ein Land in den Abgrund führt« wohl ähnlich verfasst.
Gudmundsson ist eigentlich ein liebenswerter Herr, der Bob Dylan verehrt und auf englischen Folk der frühen Siebziger steht, auf Fairport Convention und Sandy Denny. Er nimmt nebenbei Jazz & Lyrik-CDs auf, wie das in Deutschland jeder aufrechte sozialistische Autor in den Sechzigern gemacht hat, und ist auf der CD der Band seines Sohnes zu hören, die ein wenig versucht, Islands Oasis zu werden.
Aber Gudmundsson ist nun mal auch ein Schriftsteller der Krise. Das war er schon vor dem Crash, als der Krisenroman in Island regelrecht zu einem Genre wurde. Sein berühmtestes Buch ist der Roman »Engel des Universums« über Psychiatrie und Schizophrenie, in dem der Autor zugleich die Geschichte seines eigenen Bruders verarbeitet. Und kurz vor der Finanzkrise in Island hat er den Roman »Vorübergehend nicht erreichbar« fertiggestellt, der nun auf Deutsch erscheint und eine persönliche Katastrophe schildert. Das Buch ist ein Alkohlikerroman, berührend und intim, in dem der Autor seinen Kampf gegen die Sucht thematisiert hat.
Wenn man zwei Jahre, nachdem Gudmundsson sein »Weißes Buch« verfasst hat, durch Island fährt, findet man allerdings nur schwer das ruinierte Land, das der Schrifsteller mit seinem ganzen Furor beschrieben hat. Ganz in der Nähe von Gudmundssons Häuschen in der Suburbia von Reykjavík sieht man einen Baumarkt, der in den Zeiten des Booms errichtet und nach dem Crash nicht eröffnet wurde. Wie ein Mahnmal der Krise sieht er nicht wirklich aus, gähnend leer, aber auch nicht wirklich störend. Man sieht ebenso ein paar halbfertige Häuser in der Nähe, deren Finanzierung irgendwann nicht mehr gesichert war. Der Baumarkt und die halbfertigen Häuser verdeutlichen: Da war mal was. Aber sonst? Die apokalyptischen Szenarien, die der Autor heraufbeschworen, die Auflösung einer ganzen Gesellschaft, die er prognostiziert hat, man sieht einfach nichts davon auf Island.
Das Land hat sich wohl doch besser vom Finanzkollaps erholt, als sich Gudmundsson das vorstellen konnte. Es hat eine neue Regierung gewählt, man bäckt wieder kleinere Brötchen, alles geht weiter, fast als ob nichts gewesen wäre. In Zeiten, in denen weltweit nur noch von Krisen die Rede ist, hat man fast das Gefühl, als ob Island vergleichsweise gut dastünde. Das Land hat das große Gewitter bereits hinter sich, sämtliche Blasen sind bereits geplatzt, während noch nicht klar ist, ob die Europäische Union ihre Krise unbeschadet überstehen wird und wie die USA mit ihrer Rezession zurechtkommen werden.

Einar Már Gudmundsson: Wie man ein Land in den Abgrund führt. Hanser, München 2010, 207 Seiten, 16,90 Euro

Einar Már Gudmundsson: Vorrübergehend nicht erreichbar. Hanser, München 2011, 333 Seiten, 19,90 Euro