Raven wegen Deutschland

Torsun erzählt autobiographische Episoden aus der wunderbaren antideutschen Partywelt

Lachend kniete ich vor der Toilette irgendeines Clubs in irgendeiner deutschen Stadt und überführte in regelmäßigen Abständen meinen Mageninhalt in die Schüssel vor mir. Artur stellte währenddessen auf dem Spülkasten die nächsten Lines auf. Wenn etwas – durch welche Öffnung auch immer – den Körper verlässt, entsteht schließlich Platz für Neues, das man – durch welche Öffnung auch immer – wieder hinein tun kann, dachte ich mir, was mich noch mehr zum Lachen brachte. Diese Kombination aus Lach- und Kotzgeräuschen brachte wiederum Artur zum Lachen. Er ließ sich davon allerdings nicht aus der Ruhe bringen, schüttelte lediglich den Kopf und zog mit Hilfe einer Bankkarte zwei akkurate Lines Speed, die wir, nachdem ich meinen Magen entleert und den Kotzegeschmack mit etwas Bier hinuntergespült hatte, mittels eines zusammengerollten Geldscheins in unseren Nasenlöchern verschwinden ließen.
Wir hoben unsere Beck’s-Flaschen und stießen auf die gerade beendete Show an, die exemplarisch dafür stand, was sich seit der Veröffentlichung des neuen Albums verändert hatte. Ursprünglich war für diesen Gig eine Location gebucht worden, die 350 bis 400 Leute fasste. Da aber bereits im Vorverkauf über 500 Karten weggegangen waren, wurde das Konzert in eine größere Halle verlegt, die dann mit über 700 Leuten fast vollständig ausverkauft war.
»Hast du die ganzen Kids gesehen? Unfassbar, wie die alle ausgerastet sind! Ich hätte bei ›Raven gegen Deutschland‹ und ›Lustprinzip‹ eigentlich keine einzige Zeile singen müssen«, sagte ich mit der Gewissheit, dass er das alles selbstverständlich gesehen hatte.
Wir verließen die Toilettenkabine. Artur drehte den Wasserhahn auf, ließ etwas Wasser auf die Spitze seines rechten Zeigefingers laufen, hielt sie an das Nasenloch, in das er die Line befördert hatte, und zog es hoch. Dann schaute er mich strahlend an und erwiderte: »Selbst wenn wir die ganze Scheiße nächstes oder übernächstes Jahr an die Wand fahren sollten – das hier kann uns keiner mehr nehmen.« Ich schwieg, spürte die speedbedingte Energieausschüttung und nickte dann zustimmend. Ja, es war eine extrem gute Zeit.

Im Cassiopeia
Das Cassiopeia lag nur wenige Minuten Fußweg von unserer Wohnung entfernt und war ein bunt bemalter Gebäudekomplex mit einem großen Innenhof, in dem sich neben einer Bar auch ein Turm befand, der im Sommer von Freeclimbern genutzt wurde. Im überdachten Eingangsbereich zum Hof war eine kleine Kasse aufgebaut, vor der die Securitys standen. Als wir dort ankamen, begann die vorher eingeworfene Pille langsam ihre Wirkung zu entfalten, heißt: Meine Stimmung wurde schlagartig besser, um nicht zu sagen, fast überschwänglich gut. Ein Hoch auf die Chemie!
Shulgin und Jean Luce gingen umgehend hinein – sie standen auf der Gästeliste –, um bei Marie, die ihre Schicht an der Garderobe schon begonnen hatte, weitere Plätze für Kulla und mich klarzumachen, was auch keinerlei Probleme machte, und schwupp waren wir alle vier an den Türstehern vorbei, bogen links ab und betraten den Teil des Gebäudes, in dem die Party stattfand. Es war ziemlich dunkel, extrem stickig, und der Sound von typischem Berliner Minimal Techno prasselte wie ein angenehmer Sommerregen auf uns ein. Herrlich! Wie hatte ich es nur so lange ohne den Nebel, die bunten, die Dunkelheit durchschneidenden Lichtstrahlen, die tanzenden, schwitzenden Menschen, die hämmernde Bassdrum und die stimmungsaufhellenden Substanzen aushalten können? Scheiß auf die Depression! Scheiß auf die Ex! Scheiß auf die … Nein, nicht auf die Band und auch nicht auf die Platte! Vielleicht brauchte ich ja nur eine Nacht voller Ausgelassenheit und Tanz, um mich endlich wieder aufraffen zu können. Vielleicht würde sich nach dieser Freitagnacht meine Blockade lösen und ich könnte mich wieder auf’s Musizieren konzentrieren. Vielleicht brauchte ich genau diesen Input.
Ich ging zu Marie, um mich bei unserer mir bis dato unbekannten Sponsorin zu bedanken. Sie hatte lange blonde Haare und ein strahlendes Lächeln, trug eine tarnfarbene Schirmmütze und schwarze, großmaschige Netzstrumpfhosen unter einem blauen, sehr kurzen Jeansrock. Ich war sofort hin und weg, begrüßte sie mit einem freundlichen »Hallo«, kramte aus meiner Hosentasche die zweite Ecstasy-Tablette, zerbrach diese in der Mitte und hielt ihr eine Hälfte vor die Nase. Die andere Hälfte steckte ich mir in den Mund. Marie lachte, grüßte zurück und ließ sich, was mein Geschenk betraf, nicht zweimal bitten.
»Ich bin übrigens Torsun«, begann ich die Konversation, »tausend Dank, dass du mich auch auf die Gästeliste gesetzt hast, ich war nämlich schon ’ne ganze Weile nicht mehr aus.«
»Kein Problem. Schön, dass ihr gekommen seid«, erwiderte sie. »Soll ich deine Jacke nehmen?«
»Hättest du was dagegen, wenn ich uns zwei Bier besorge, meine Jacke selbst aufhänge und dir dann etwas Gesellschaft leiste?«
»Für mich keinen Alkohol, aber Gesellschaft leisten gerne«, war ihre Antwort, woraufhin sie mich in ihre Garderobenkabine einlud, nachdem ich an der Theke eine Cola und zwei eiskalte Beck’s geordert hatte. Wir begannen uns umgehend angeregt zu unterhalten.
»Arbeitest du hier öfter?«
»Ja, schon ab und zu, und du?«
»Ich sollte eigentlich an einer Platte arbeiten, aber irgendwie fehlt mir gerade ein wenig die Inspiration.«
»Du spielst doch bei Egotronic … Ist die Musik dein Job?«
»Nicht wirklich. Mein Geld bekomm ich vom A-Amt und nebenher arbeite ich ab und zu ein wenig schwarz als Maler und Lackierer. Musik ist aber einfach alles, was ich machen will. Aber sag’ mal, ist es nicht nervig, die ganze Nacht in ’ner Club-Garderobe zu sitzen und Jacken in Empfang zu nehmen und wieder abzugeben?«
»Geht schon. Man lernt ’ne Menge Leute kennen und mit den richtigen Drogen ist es eigentlich ganz erträglich. Apropos Drogen, hast du Lust auf Speed?«
Marie baute auf einer von außerhalb der Kabine nicht sichtbaren Ablage die vermutlich längste Bahn Speed, die ich jemals gesehen hatte, und reichte mir einen zu einem Röhrchen gerollten Geldschein, während ich darüber sinnierte, wie angenehm dieses Gespräch trotz meiner zu diesem Zeitpunkt doch eigentlich vorherrschenden Soziophobie bisher verlaufen war.
Ich steckte mir das eine Ende in die Nase, beugte mich über die Linie aus weißem Pulver und zog, was das Zeug hielt, bis die Hälfte davon in meinem Nasenflügel verschwunden war. Es brannte wie Zunder. Ich gab Marie das Zugrohr zurück und sie tat es mir gleich. Ich spürte den bitteren Geschmack in Mund und Hals. Das Speed zeigte umgehend seine Wirkung, und fast zeitgleich knallte zusätzlich die halbe Pille so heftig, dass ich mich weder an den darauf folgenden Dialog erinnern, noch mit bestimmter Sicherheit sagen kann, ob 15 Minuten vergingen oder eine halbe Stunde, bis ich mich von diesem wohligen Ecstasy-Schauer in Kombination mit der immensen, dem Amphetamin geschuldeten Energieausschüttung regelrecht dazu genötigt fühlte, Marie zu fragen: »Darf ich dich küssen?«
Ihre Antwort war ein kurzes und bündiges: »Klar!«
Erinnerst du dich an den ersten Kuss deines Lebens? Wenn die Pille eine wirklich – und mit wirklich meine ich wirklich, wirklich – gute ist, fühlt sich der erste Kuss, den du mit einer neuen Bekanntschaft teilst, diesem nicht unähnlich an, vor allem, wenn du vorher schon längere Zeit nicht mehr geküsst worden bist. Mir kam es in diesem Moment vor, als hätte ich schon viele Jahre niemanden mehr geküsst, als wäre ich quasi schon ganz ausgetrocknet vom ewigen Nicht-geküsst-Werden, was allerdings durchaus auch an der Wirkung des in mir wütenden Drogengemischs liegen konnte, aber wen störte das schon? So ergab sich aus Turn und Tun eine komplett runde Angelegenheit, eine perfekte Kombination. Bei der Schönheit dieses Moments war es schlicht und ergreifend egal, ob er einer chemischen Überhöhung geschuldet war. Ich fühlte mich seit Langem mal wieder richtig glücklich. Ein Hoch auf Marie! Ein Hoch auf die Chemie!

Und es endet doch in der Bar
Tilman, Marie, einer ihrer Mitbewohner – Ronny, der mir gegenüber auch langsam aufzutauen schien – und ich ließen uns mit einer Menge Bier, Wasser und einer Stereoanlage auf dem Dach von Maries Haus nieder, nachdem wir schon Strom und ein paar Decken hinaufgebracht hatten. Von dort oben hatte man einen herrlichen Ausblick auf die Spree und die Hochhäuser der Allianz-Versicherung, deren Scheiben im Sonnenlicht funkelten. Aus den Decken bauten wir eine Art Tanzfläche, denn wir wollten barfuß tanzen, und dafür wäre der nackte Dachbelag viel zu heiß gewesen. Nach und nach trudelten weitere Freunde ein, denen wir tele­fonisch Bescheid gesagt hatten, und so entstand an einem Sonntagmittag im Juni auf einem Hausdach in der Stralauer Allee wohl eine der schönsten Afterhours, auf denen ich bis dato gewesen war. Selbst eine DJane, die mittags in der Bar 25 aufgelegt hatte, kam – wie auch immer sie davon erfahren hatte – vorbei und war von unserer trauten Runde auf dem Dach äußerst angetan.
Wir tanzten, tranken, zogen Speed, rauchten Kokaretten, schmissen Pillen und unterhielten uns über Gott und die Welt, wobei realistisch betrachtet in diesen Zuständen unter »Gott und die Welt« schnelle Themenwechsel durch ver­lorengegangene Fäden oder nicht richtiges Zuhören zu verstehen sind, was aber mitnichten das Gefühl schmälerte, in tiefgreifende Konversation verstrickt zu sein.
Beispiel gefällig?
Kein Problem!
Person 1: »Boah, der Track ist echt geil. Zur Zeit gibt’s eh ’ne Menge richtig geiler Tracks. Könnte ich mich noch bewegen, würd’ ich jetzt tanzen.«
Person 2: »Kenn’ ich nur zu gut. Ich kann mich nämlich noch gut erinnern, als ich letztes Jahr auf einer Afterhour in der WG meiner ehemaligen Mitbewohner war und Pillen suchte. Mein einer ehemaliger Mitbewohner drückte mir zwei in die Hand und meinte: ›Pass auf, die mit dem Taubenaufdruck ist extrem heftig. Die mit dem Kirschendruck ist hingegen eher mild, aber solide.‹ Ich Trottel nehm natürlich beide auf einmal. Danach kam ich zufällig ins Gespräch mit einer Frau, in die ich schon längere Zeit verknallt gewesen bin, mich aber nie getraut hab’, sie anzusprechen. Wir verstehen uns ganz gut, als plötzlich beide Teile auf einmal einschlagen. Danach erinner’ ich mich an nichts mehr, bis ich irgendwann mitten auf der Tanzfläche wieder zu mir kam. Die Frau hab’ ich dann zwar nochmal gesehen, aber sie hat über ein halbes Jahr kein Wort mehr mit mir geredet. Keine Ahnung, was ich ihr erzählt haben muss. Selbst nachdem sie wieder mit mir gesprochen hat, hab’ ich mich nicht getraut zu fragen, mit was für einem Unfug ich sie zugetextet hab. Freunde meinten später, ich hätte nur noch wirre, unzusammenhängende Sätze und Geräusche von mir gegeben, weshalb sie mich wohl für verrückt hielt.«
Person 1: »Haha, krass. Sag, ist das nicht ›Gazebo‹ von Fairmont, der gerade läuft? Sooo geil!«
Person 2: »Jau, das ist er. Super Track! Erinnert mich daran, als ich mit ’ner Freundin mal auf ’ne Party fahren wollte. Wir hatten jeder ’ne Pille gefuttert, wussten aber nicht, dass die mit LSD lasiert waren. Ich hab’ beim Fahren überhaupt nix mehr gerafft und mich deshalb an die Lichter des Autos vor uns gehängt. Wir kamen irgendwo raus, keine Ahnung. Auf jeden Fall brauchten wir für die Strecke, die normalerweise ’ne halbe Stunde gedauert hätte, weit über zwei Stunden.«
Person 1: »Boah, übel. Mit der richtigen Musik muss das aber auch richtig scheppern.«
Person 2: »Auf jeden Fall. Damals ’94 im Frankfurter Omen. Kennste noch? Da war mal Razzia. Alle schmissen ihre Pillen weg. Die Bullen haben die dann aufgekehrt, 15 000 Stück. Ich dachte mir nur: Wer soll denn die ganzen Pillen fressen?«
Person 1: »Ich glaube meine Beine gehen wieder. Ich geh noch ’ne Runde zappeln. War auf jeden Fall nett, mal mit dir geplaudert zu haben, bist echt ein feiner Kerl.«
Person 2: »Ja, hau rein. War echt cool mit dir. Vielleicht treffen wir uns ja später noch mal.«
Person 1 geht tanzen, während sich Person 2 ’ne Kippe ansteckt und sich dem nächsten potentiellen Gesprächspartner oder auch Opfer zuwendet.
Person 2: »Hi, alles klar?«
Person 3: »Ja klar. Geile Musik, was?«
Person 2: »Auf jeden Fall. Erinnert mich daran, als ich letztes Jahr auf einer Afterhour in der WG meiner ehemaligen Mitbewohner war und Pillen suchte …«
Irgendwann – die Abenddämmerung hatte mittlerweile Einzug gehalten – fiel mir auf, dass Marie schon eine ganze Weile nicht mehr zu sehen war. Ich schnappte mein Telefon und wählte ihre Nummer.
»Hallo?«
»Hi Marie, wo bist du denn?«
»Ach scheiße, ich hab’ versprochen noch ­jemandem Pep vorbeizubringen, und jetzt fahr ich grad rum, um das zu klären. Das nervt voll!«
»Wie, du fährst wirklich noch Auto?«
»Klar, du weißt doch, ich trinke keinen Alkohol.«
»Stimmt ja. Soll ich dich begleiten oder willste das alleine regeln?«
»Hättest du echt Lust mitzukommen? Dann hol’ ich dich ab.«
»Klar, ich komm’ vom Dach und warte unten vor der Tür.«
»Prima, dann bis gleich.«
Kaum dass ich das Haus verlassen hatte, fuhr Marie auch schon vor, hielt direkt vor mir an und öffnete die Beifahrertür.
»Schön, dass du mitkommst.«
»Klaro! Wir haben den Abend zusammen begonnen, also können wir auch alles Stressige zusammen durchziehen. Wo müssen wir denn hin?«
»Zu 1,25-Marvin.«
»Ah, okay«, sagte ich in ruhigem Ton, während ich daran dachte, dass das doch einer von denen gewesen war, die mich im Cassiopeia so massiv ausgegrenzt hatten. Da musste ich jetzt wohl durch.
Wir erreichten Marvins Bude, und nachdem Marie einen Parkplatz gefunden hatte, stiegen wir beide aus und klingelten. Marvin ließ uns hinein, und ich merkte sofort, dass er mir schon wieder misstrauische Blicke zuwarf, aber was sollte er machen, denn schließlich war Marie aus geschäftlichen Gründen hier und hatte mich nun mal im Schlepptau. Ein Rausschmiss meiner Person hätte einem reibungslosen Ablauf seines Anliegens mit Sicherheit entgegengewirkt, weshalb er sich zum Thema Torsun vorerst in Schweigen hüllte. Außerdem schien es ihm wohl so, als ob mich Marie wirklich mögen würde und wir quasi zusammenseien, denn nachdem wir ein Weilchen zusammengesessen hatten und Marie der Toilette einen Besuch abstattete, beugte er sich zu mir und sagte mit fester und ernsthaft etwas besorgt klingender Stimme folgenden Satz, der eigentlich nur in wirklich beschissenen Filmen Verwendung finden dürfte und den ich noch nie leiden konnte, sondern schon immer extrem abstoßend fand: »Wenn ich irgendwann mitbekomme, dass du ihr weh tust, werd’ ich dich finden und dir weh tun!«
»Das hab’ ich nicht vor«, erwiderte ich leicht verunsichert, zumal ich derweil selbst nicht wusste, was ich Marie betreffend überhaupt vorhatte, und weder er noch ich ahnen konnten, dass genau andersherum ein Schuh daraus werden und sie nach dem gemeinsamen Wochenende eher mir weh tun sollte. In der Zwischenzeit war Marie wieder zurückgekehrt und hatte neben mir Platz genommen. Weder Marvin noch ich verloren ein weiteres Wort über die stattgefundene Unterredung. Vielmehr schien jetzt ein Knoten geplatzt zu sein, denn plötzlich wurde er mir gegenüber wesentlich freundlicher und bot mir sowohl etwas zu trinken als auch eine Nase Speed an, was ich beides freudig zur Kenntnis und dankend annahm.
Nachdem wir noch einige Zeit zusammengesessen und alles Geschäftliche abgewickelt hatten, beschlossen Marie und ich, langsam aufzubrechen und auf das Dach zurückzukehren. Wir verabschiedeten uns bei 1,25-Marvin, der nicht mit wollte, und machten uns auf den Weg zurück zur Afterhour, die noch in vollem Gange war, nahmen uns, dort angekommen, jeweils einen Drink und suchten nach netten Gesprächspartnern.
Als in den frühen Montagmorgenstunden nach und nach alle Gäste ihre Heimreise antraten und nur noch Tilman, Marie und ich übrig blieben, beschlossen auch wir, das Dach zu verlassen. Allerdings war bei uns dreien weder an Schlaf noch an ein Beenden der Feierlichkeiten zu denken, zumal jeder von uns kurz zuvor noch eine »Weiße Herzen«-Pille geschluckt hatte, von denen Marie im Verlauf des Wochenendes mehrfach geschwärmt und die sie dann noch irgendwo aufgetrieben hatte.
Komplett verspult beschlossen wir, es noch einmal mit der Bar 25 zu versuchen, da am frühen Montagmorgen gegen vier Uhr selbst in Berlin nicht mehr allzu viel Auswahl blieb. Til­man war erst dagegen, da er meinte, dort an der Tür immer abgewiesen zu werden, aber wir redeten so lange auf ihn ein, bis er schlussendlich doch einwilligte.
Bevor wir uns auf den Weg machten, wollte Marie allerdings noch duschen. Da es ihr jedoch schwer fiel, selbstständig zu stehen, erklärte ich mich bereit, ihr dabei zu helfen, und wir gingen gemeinsam ins Badezimmer, wo sie sich auszog und unter die Brause stellte, während ich vor der Wanne stand und sie dabei festhielt. Alle waren danach der festen Überzeugung, wir hätten uns im Bad den fleischlichen Gelüsten hingegeben, was aber – obwohl ich ihr sogar beim Einseifen half – definitiv nicht der Wahrheit entsprach, zumal wir in unserem Zustand garantiert nicht dazu in der Lage gewesen wären. Außerdem hatten wir ja etwas anderes vor, und das stand in unserer Prioritätenliste nun mal an erster Stelle. Nachdem Marie also mit meiner Hilfe geduscht hatte, zogen wir los, frohen Mutes, dass es diesmal mit dem Reinkommen klappen würde.

Konzentrationsmangel
Nachdem ich von meiner Besuchsreise aus Südhessen zurückgekehrt war, traf ich mich täglich mit Tili, wie ich Tilman mittlerweile nannte. Wir verstanden uns prächtig. Marie sah ich erst mal nicht wieder. Aber ich musste während der ganzen Reise an sie denken und hatte ihr sofort dienstags nach unserem Wochenende eine SMS mit folgendem Wortlaut geschickt:
»Hey du. Fand unser Wochenende extrem schön und musste gerade an dich denken. Würde mich freun, wenn wir das mal wiederholen können. Mit liebem Gruß, Torsun«.
Ich weiß nicht, warum ich mich immer wieder dazu hinreißen lasse, Menschen, die ich gerade erst kennengelernt habe und zu mögen scheine, sofort selbiges per SMS mitteilen zu müssen. Am besten noch ganz »emotional«, »ehrlich« und so schnell wie möglich, obwohl dieses Verhalten doch erfahrungsgemäß meist gegen alle ungeschriebenen Gesetze und Taktiken des zwischenmenschlichen Miteinanders mit der Zielsetzung Liebelei, Beziehung oder Ähnlichem verstößt. Ich vermute, es hat etwas damit zu tun, dass ich nicht nur extrem ungeduldig, sondern auch sehr impulsiv sein kann und regelmäßig den unwiderstehlichen Drang verspüre, mich mitteilen und erklären zu müssen. Erst neulich war es wieder passiert, dass ich im äußerst trunkenen Zustand eine Frau kennenlernte, die mir sehr gut gefiel. Da ich stark angetrunken normalerweise relativ entspannt bin, gelang es mir sogar, einen Telefonnummern-Tausch in die Wege zu leiten und eine Verabredung für den folgenden Freitag zu klären, an dem sie in einem Club an der Theke arbeiten musste und mich deshalb zum gemeinsamen Trinken einlud. So weit, so gut.
Der Freitag kam, und ich machte mich leicht angesäuselt und mit etwas Kokain in der Nase auf den Weg in den Laden. Dort leistete ich mir kurze Zeit später schon den ersten groben Fauxpas, nachdem es so vielversprechend begonnen hatte. Trinkerei und Koks-Konsum gerieten ein wenig außer Kontrolle, was mich zuerst zu dem mit etwas Mühe noch als charmant zu bezeichnenden Spruch »Über die Theke zu kommunizieren, ist viel zu anstrengend. Du wirst also wohl oder übel mal mit mir ausgehen müssen« verleitete. Diesem Spruch begegnete sie mit einem Lächeln und der Antwort: »Lass uns das später in Ruhe bei einem Schnaps besprechen.« Anstatt mich nun etwas zurückzuhalten, trank und kokste ich fleißig weiter, bis es mir endgültig entglitt und ich nur noch »Ich muss weg!« stammelte, mich umgehend auf den Weg in eine andere Location machte und sie relativ verdutzt zurückließ.
Nach diesem wirklich unrühmlichen Auftritt gelang es mir, nach einigem Hin und Her, trotzdem ein weiteres Treffen zum gemeinsamen Kaffeetrinken zu verabreden. Diesmal wollte ich alles richtig machen und hatte ein kleines Geschenk sowie einen schönen Tagesplan im Gepäck. Leider brachte sie im Gegenzug nicht allzu viel Zeit mit, weshalb mein ausgeklügelter Plan ins Wasser fiel, ich ins Schlingern geriet und, soweit ich mich erinnern kann, eine Menge dummes Zeug von mir gab. Trotz alledem versprach sie mir, den Tagesplan ein anderes Mal zu verwirklichen, bevor sich unsere Wege trennten. Darauf folgte mein großer Auftritt. Sie war noch keine fünf Minuten weg, als ich mein Handy schnappte und folgende Zeilen in die Tastatur hämmerte:
»Merkwürdig. Eigentlich bin ich nicht so krampfig. Ich war allerdings sehr nervös. Evt können wir den … besuch ja trotzdem nochmal nachholen.«
Was soll ich sagen? Ich hab’ bis heute nie wieder etwas von ihr gehört.
Wie sich herausstellen sollte, war die SMS an Marie auch eher eine semi-gute Idee gewesen, denn sie vermittelte ihr anscheinend das Gefühl, dass ich mich in sie verknallt hatte, was bei genauerer Betrachtung und Reflexion vermutlich sogar der Wahrheit entsprach, und es schien mir, als fühlte sie sich dadurch unter Druck gesetzt, weshalb sie eher abweisend reagierte. Ob es wirklich so bei ihr ankam, kann ich nur mutmaßen, denn obwohl wir im Verlauf des Sommers gute Freunde werden sollten, haben wir nie wirklich darüber gesprochen. Allerdings erinnere ich mich noch ganz genau an einen Satz, den sie zu mir sagte, als der Sommer schon fast vorbei war und ich mittlerweile in einer neuen Beziehung steckte: »Wir wären bestimmt auch ein schönes Raver-Pärchen geworden.«
Jedenfalls trafen wir uns zwar am folgenden Wochenende sofort wieder und tauschten ein paar Zärtlichkeiten aus, aber es wirkte alles wesentlich verkrampfter als zuvor, und als sich samstagnachmittags unsere Wege trennten, war uns beiden klar, dass das, was bei unserem Kennenlernen passiert war, nicht zu wiederholen war.
Ich versuchte danach noch mehrfach, sie telefonisch zu erreichen und ein Treffen zu organisieren, aber sie sagte mir immer, sie habe keine Zeit, da sie das anstehende Fusion-Festival vorbereiten müsse, und gab mir auch sonst zu verstehen, dass ihr Interesse an mir keine weiteren libidinösen Ausschweifungen beinhalten würde. Nicht dass es im sexuellen Sinne großartige Ausschweifungen zwischen uns gegeben hätte, nein. Um ehrlich zu sein, verbrachten wir die kurze Zeit, die wir gemeinsam im Bett lagen, mit Schlaf und mitnichten mit Beischlaf, denn nach den drei durchfeierten Nächten waren unsere Körper zu keinerlei sportlicher Aktivität mehr in der Lage, und Sport ist sowieso etwas, dem ich eher mit Ablehnung begegne, auch wenn ausdauerndes Raven sowie langatmiger Sex durchaus Ähnlichkeiten mit Leistungssport aufweisen können: Man bewegt sich viel, schwitzt und kann währenddessen in der Regel nichts essen, aber viel trinken, und am Ende fühlt man sich ausgelaugt und fertig und nicht selten zufrieden und glücklich. Genau diese Symptome hab’ ich mal in einem Interview einen Teilnehmer eines Iron-Man-Triathlons ins Mikrofon keuchen hören. Aber das nur am Rande. Hätten wir uns nach unserem Extrem-Rave noch den fleischlichen Gelüsten hingegeben, wäre das vermutlich so gewesen, als hätte man sich direkt nach einem Triathlon wieder ins Wasser gestürzt, um den nächsten zu starten, und das schafft garantiert nicht mal der ausdauerndste Athlet der Welt. So beließen wir es bei Kuscheln und Einschlafen, was für mich in diesem Moment allerdings mindestens genauso schön war.
Obwohl also kein weiteres Date mit Marie anstand, ging es mir in diesen Tagen um einiges besser. Das lag in erster Linie daran, dass mich Tili aus meiner selbstgeschaffenen sozialen Isolation rettete, indem er mir signalisierte, gerne mit mir rumzuhängen. Wir entdeckten eine gemeinsame Liebe, die immerhin den ganzen Sommer über anhalten sollte – Ketamin! –, und redeten über alles, was uns beschäftigte. Unter anderem auch über Marie.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber irgendwie hab’ ich das Gefühl, dass ich mich am vorletzten Wochenende ein ›kleines bissi‹ in Marie verliebt hab’. Ganz sicher bin ich mir nicht. Dafür waren zu viele Drogen im Spiel, aber sie geistert mir ständig im Kopf rum und ich find’s extrem schade und auch irgendwie scheiße, dass sie mir jetzt auszuweichen scheint«, gestand ich ihm.
»Kann ich gut verstehn«, erwiderte er. »Du wirst lachen, aber ich war eigentlich auch in sie verliebt und wir hingen schon ’ne ganze Weile miteinander rum.«
»Ist das dein Ernst?« fragte ich erstaunt. »Und trotzdem warst du im Gegensatz zu ihren anderen Freunden mir gegenüber so freundlich bei unserem Treffen, obwohl Marie und ich ja ständig am Knutschen waren?«
»Ja, Torsun … der Punkt ist: Du warst einfach zu nett, um auf dich sauer zu sein.«
Ich war sprachlos und mir wurde klar, dass sich hier gerade eine besondere Freundschaft entwickelte.

Tanzen ist die wärmste Jacke
Samstagmorgen. Ich stand frühzeitig auf, um mit dem Connex-Zug in Richtung Fusion aufzubrechen. Für ein normales Ticket der Deutschen Bahn hätte mein Geld nicht mehr gereicht, denn wie mir sicher jeder, der schon mal mit diesem Unternehmen gereist ist, bestätigen kann, sind seine Preise total überteuert und mit einem Geldbeutel auf Hartz-IV-Niveau absolut inkompatibel. Ich fuhr also mit dem wesentlich günstigeren Connex, und als ich an einem kleinen Bahnhof in der Nähe des Fusion-Geländes ankam, musste ich feststellen, dass meine in Berlin getroffene Kleiderwahl leichte Inkompatibilität mit den vor Ort herrschenden Wetterverhältnissen aufwies. Es war stark bewölkt, trübe, relativ kühl und extrem windig. Ich würde mir wohl oder übel irgendwo eine Jacke leihen müssen. Sollte ich keine auftreiben können, müssten eben Rauschmittel in Kombination mit Tanz für ausreichend Körperwärme sorgen. Das hatte schließlich in der näheren Vergangenheit schon etliche Male ganz hervorragend funktioniert. Und wie hieß es so schön auf einem Aufkleber, den ich auf mehreren Berliner Open-Air-Raves in die Hand gedrückt bekommen hatte: »Tanzen ist die wärmste Jacke!«
Ich beschloss, dies vorerst zu meinem Motto zu machen und die Wolken und den Wind zu ignorieren. Der nächste Rückschlag ließ jedoch nicht lange auf sich warten, denn wie ich in Erfahrung brachte, lag das Festival noch etwa zehn Kilometer entfernt und meine Geldreserven waren bis auf den letzten Cent aufgebraucht. Es blieb mir nichts anderes übrig, als umstehende Leute, die ich für potentielle Tanztouristen hielt, zu fragen, ob sie so freundlich wären, mich mitzunehmen, um einen mehrstündigen Fußmarsch zu vermeiden.
Glücklicherweise fand ich ein nettes Dreiergrüppchen, das gerade ein Taxi bestieg und sich bereit erklärte, mich unentgeltlich mitfahren zu lassen. Ich bedankte mich herzlich und stieg ein.
Die Fahrt ging durch Landstriche, die aus­sahen, als wäre extra für sie der Ausdruck »am Arsch der Welt« erfunden worden. Wir passierten Wiesen, auf denen nicht mal Kühe grasten, und kleine verwilderte Waldstücke, die vermutlich seit Jahren kein menschliches Wesen betreten hatte. Von zivilisatorischen Errungenschaften wie Häusern keine Spur, bis sich plötzlich mitten in dieser unwirtlichen Pampa die Silhouette von grasbewachsenen Hangars abzuzeichnen begann. Sie waren umrahmt von grünen Wiesen und grauen Betonwegen. Das Fusion-Gelände! Geschafft.
Als ich die erste große Stage mit Namen »Turmbühne« erreichte, kam mir mit einem breiten Grinsen Marie entgegen. Sie trug eine extrem kurze, schwarze Shorts mit einer großmaschigen, ebenfalls schwarzen Netzstrumpfhose darunter und ein dunkelgrünes Träger-Top. Es schien, als habe sie ebenfalls den Entschluss gefasst, mit Rauschmitteln und Tanz der immer noch vorherrschenden, wolkenbedingten Kühle zu trotzen. Ihre langen blonden Harre hatte sie unter einer schwarzen Schirmmütze verborgen und sie sah wirklich außerordentlich sexy aus. Wir umarmten uns zur Begrüßung, bevor sie mir umgehend eine dieser »Weiße Herzen«-Pillen in den Mund steckte und eine weitere in die Hand drückte. Außerdem schenkte sie mir eine Trillerpfeife zum Umhängen, die mich umgehend zu folgendem Monolog inspirierte, wobei ich die Pfeife in fast heroischer Pose gen Himmel hielt:
»Anfang der Neunziger gehörte sie zur Grundausstattung eines jeden Ravers: die Trillerpfeife. Sie galt als freaky und schick und auch wenn ihr Sound bisweilen nervte, schien es doch, als würde sie niemals aus der Mode kommen, solange Musik mit dicker Bassdrum die Clubs dieser Welt beschallt. Dass dies eine absolute Fehleinschätzung war, kann ein jeder Wochenende für Wochenende beim Raven einer Überprüfung unterziehen. Die Trillerpfeife ist – man muss es so drastisch formulieren – zu einem Utensil für Demonstrationen von abgetakelten Gewerkschaftern verkommen. Und ich sage dies nicht ohne eine leichte Wehmut.«
Trotz der phantastischen Stimmung an der Turmbühne hieß es für mich irgendwann: Auf zur Tube-Box! Da ich auf dem Weg dorthin meinen Verpflichtungen als Verkäufer nachkam, erreichte ich diese mit einiger Verspätung. Plemo hatte schon angefangen und die Stimmung im Hangar war überaus prächtig. Ich nahm eine weitere Pille, von der ersten hatte ich bis dato merkwürdigerweise noch kaum etwas gespürt, drängelte mich durchs Getümmel nach vorne und tanzte und schrie. Plemo live ist immer ein Erlebnis und ich war ausgelassen und komplett durchgeschwitzt, als ich meinen Namen durch die Boxen vernahm. Plemo bat mich auf die Bühne und die Menge johlte, zumal die meisten Anwesenden auch Egotronic kannten. Ich stieg zu ihm hinauf, nahm ein Mikro, stammelte ein kurzes »Hallo« und schon ging es los.
Einziges Problem: Genau in diesem Moment schlugen beide Pillen mit voller Wucht ein! Un­fähig, mich auch nur ansatzweise koordiniert zu bewegen und einigermaßen klar zu sehen, bemühte ich mich, die Nummer irgendwie zu Ende zu bringen und dabei wenigstens einen kleinen Rest Würde zu bewahren, heißt: das einsetzende Fratzengulasch und Körperzucken soweit zu kontrollieren, wie es eben ging.
Ob mir das gelang, müssen andere entscheiden. Ich jedenfalls sah alles nur noch verschwommen und die zu singenden Worte schienen sich wie Kaugummi in meinem Mund festzusetzen. Vom Sound der Monitorboxen nahm ich fast nur noch Bass und Bassdrum wahr und konnte unmöglich heraushören, wie meine Einsätze zu platzieren waren. Hinzu kamen kreislaufbedingte, extreme Schweißausbrüche und Schwindelgefühl, so dass ich mich nur mit Mühe überhaupt auf den Beinen halten konnte. Der Hangar, in dem die Show stattfand, erschien mir plötzlich unerträglich klein und eng. Ich musste unbedingt raus.
Draußen angekommen setzte ich mich erstmal einen Moment hin, um tief durchzuatmen. Das half ungemein und es gelang mir nach und nach, den einer Überdosierung geschuldeten Ecstasy-Schleier zumindest so weit zu lüften, dass ich wieder in der Lage war, die Konturen meiner Umwelt zu erkennen. Ich fühlte mich wie in Watte gepackt, die so dicht war, dass eine Kontaktaufnahme zur Außenwelt unmöglich erschien. Mein Mund war so trocken und pelzig, als hätte ich mit Sand gegurgelt. Ich brauchte dringend Flüssigkeit und zwar am besten in rauhen Mengen, aber weiterziehen, um mir welche zu besorgen, konnte ich unter diesen Umständen auf keinen Fall. Zumindest nicht ohne Hilfe.
Nachdem ich eine Weile fast regungslos da­gesessen hatte, kam zufällig Marie vorbei, erkannte meine Lage, und fragte geistesgegenwärtig: »Brauchst du irgendwas?«
»Bier!« war das einzige Wort, das ich durch meine von Trockenheit geplagten Lippen pressen konnte, und nachdem sie mir eins besorgt und ich gierig getrunken hatte, sagte sie nur: »Komm, ich nehm’ dich mit«, zog mich hoch, hakte sich bei mir ein und geleitete mich zu ihren Freunden, die auf einem Hügel in der Nähe saßen.
Als sie uns kommen sahen und bemerkten, wie schwer es mir fiel, mich auf den Beinen zu halten, packte einer von ihnen ein Päckchen und eine Scheckkarte aus, legte mir erstmal eine ziemlich große Line und reichte mir dann einen gerollten Geldschein zum Ziehen.
Das Kokain wirkte schnell und half mir, den Wattebausch zu lüften und den eigenen Blick etwas gerade zu rücken, denn gutes Koks ist durchaus in der Lage, einer ecstasybedingten Reizüberflutung wirkungsvoll gegenzusteuern. Ich wurde umgehend wieder redselig, bedankte mich bei Marie und ihrem Freund für ihr Eingreifen und wollte ihnen gerade von meinem kurzen, desaströsen Bühnenausflug berichten, als mir mein Handy plötzlich durch sanftes Vibrieren eine SMS ankündigte. Ich starrte auf das Display und traute meinen Augen kaum. Es war eine Nachricht meiner Ex-Freundin Ilse, die mir mitteilte, dass sie auf der Fusion sei, und fragte, ob ich auch anwesend wäre. Ich wartete einen Moment, nahm noch etwas Speed für einen klareren Kopf, bevor ich mein Handy erneut aktivierte und ihre Nummer wählte. Zu meinem Erstaunen war unser Gespräch angenehm entspannt, was nach unserem Trennungsstreit nicht gerade selbstverständlich war, und wir verabredeten ein Treffen rechts neben der Hauptbühne, beim Auftritt von Stereo Total. So blieb mir noch etwa eine Stunde Zeit, mich zu sammeln und mit genügend Amphetamin wieder komplett fit zu bekommen. Und fit wollte ich unbedingt sein, bei unserem ersten Treffen nach mehreren Monaten.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Torsun und Kulla: Raven wegen Deutschland. Ein Doku-Roman. Ventil-Verlag, Mainz 2011. 280 Seiten, 12, 90 Euro. Das Buch erscheint dieser Tage.