Home Story

In der Redaktion wird die Leine angezogen: Arbeitsprozesse sollen evaluiert und Aufgaben verbindlicher zugeteilt werden. Auch die Zuständigkeit für die Home Story soll wieder rotieren. Zumindest gerade kann man sich nicht mehr davor drücken. Und dann trifft einen auch noch ausgerechnet die Neujahrsausgabe. Sollten die neujährlichen Worte der Redaktion nicht von der feierlichen Art sein, eine erbauliche Ansprache etwa? Ein Blick in die erste Ausgabe des vergangenen Jahres verschafft Beruhigung: nichts besonderes, nur ein einziges Wehgeschrei über das Alter, das lichter werdende Haar, die mickrige Rente.
Der Bruder des Gejammers ist der Pessimismus. Davon gab es in der letzten Neujahrsausgabe reichlich. Glaubt man unseren Autoren, die eine Jahresprognose wagten, so hätte das Jahr 2011 ein recht einförmiges sein sollen. Dass sich wieder niemand auf der Welt rühren werde, wurde etwa bemängelt, und immer wieder der schnöde Alltag, der zu schaffen mache. Denkste! Nur zwei Wochen später titelte man zur Revolution in Tunesien. Es sollte nicht der einzige historische Umbruch bleiben, der es auf die Titelseite schaffte und die Redaktionsarbeit hektischer werden ließ. Weitere Paukenschläge taten das übrige, von Fukushima bis zum Nazi-Terror, und dazwischen immer wieder Krise und Proteste.
Auf unserer weihnachtlichen Betriebsfeier konnte man all dies noch einmal an sich vorbeiziehen lassen. Der Kollege aus dem Layout hatte eigens eine Diashow mit den Titelbildern des vergangenen Jahres eingerichtet. Im Laufe des Abends musste diese allerdings weichen, denn derselbe Kollege fühlte sich berufen, an ihre Stelle ein Karaoke-Programm zu setzen. Doch nicht individuell wurden die Lieder vorgetragen, so dass man sich über den einen Kollegen hätte belustigen und sich von einem anderen hätte verzücken lassen können. Nein, kollektiv musste es geschehen.
Nun stellen Sie sich vor, wie sich eine durcheinanderträllernde Meute beschwipster Journalisten hinter dem Rücken des Layouters versammelt, alle ihren Blick auf dessen Monitor gerichtet. Aufmerksamen Lesern dürfte dies bekannt vorkommen. Richtig, es handelt sich um fast die gleiche Szenerie wie bei der wöchentliche Auswahl des Titelbilds. Dabei allerdings kann man mit einer kreativen Geistesleistung den Respekt der Kollegen gewinnen. Bei diesem Karaoke-Ereignis konnte man jedoch nur im Ansehen sinken. Nicht etwa aufgrund mangelnden Könnens. Erschreckend war es vielmehr, wenn Kollegen leidenschaftlich und textsicher ein Lied nachahmten, dessen Blödsinnigkeit gerade in leuchtenden Buchstaben der Welt bewiesen wurde. Zum Glück bringen es solche Abende mit sich, dass man nicht mehr alles ganz klar zuordnen kann. Vergessen kann auch heilsam sein.