Ausstellung zum 100.Geburtstag von Louise Bourgeois in Hamburg

Spiderwoman

Die Hamburger Kunsthalle zeigt aus Anlass des 100. Geburtstags von Louise Bourgeois das Spätwerk der US-amerikanischen Künstlerin.

Große Werkschauen sind nicht selten hoffnungslos überfrachtet. Man verliert sich in solchen Ausstellungen schnell in den Werkphasen des Künstlers, von denen der Vollständigkeit halber jede vertreten sein muss. Die Hamburger Ausstellung zum 100. Geburtstag der im vergangenen Jahr verstorbenen Künstlerin Louise Bourgeois hingegen beeindruckt durch ihre Schlichtheit. Gezeigt werden Arbeiten, die die US-amerikanische Künstlerin in den vergangenen 15 Jahren angefertigt hat. Ein überschaubarer und sinnvoller Zeitraum, um das Werk einer Frau zu präsen­tieren, die mehr als 80 Jahre künstlerisch gearbeitet hat.
Die Hamburger Kunsthalle zeigt Werkgruppen und ausgewählte Arbeiten aus unterschiedlichen Genres: Installationen aus Alltagsgegenständen, Figuren aus Bronze und Tapisserie, Stoffcollagen, Malereien und Zeichnungen. Die Ausstellung wird damit der Vielseitigkeit der Künstlerin gerecht. Die Anordnung der Objekte im Raum schafft eine großzügige Atmosphäre, die Schau wirkt sehr lebendig.
Louise Bourgeois wurde 1911 in Paris geboren. Ihre Eltern betrieben eine Restaurationswerkstatt für alte Wandteppiche. Zu Beginn der dreißiger Jahre studierte sie zunächst an der École des Beaux-Arts, später, nach dem Tod der Mutter 1932, in den Ateliers von Montmartre und Montparnasse unter anderem bei Fernand Léger und Paul Colin. 1938 richtete sie in den Räumen der elterlichen Werksatt eine Galerie ein und handelte mit Bildern von Eugène Delacroix und Henri Matisse. Sie heiratete den Kunsthistoriker Robert Goldwater, der sich mit dem Verhältnis von Primitivismus und moderner Kunst beschäftigt, und ging mit ihm nach New York.
Zu Beginn der fünfziger Jahre wurden einige ihrer Arbeiten im Museum of Modern Art gezeigt. Bourgeois fertigte in diesen Jahren kleinformatige Holzfiguren, die an den »Lunar Asparagus« von Max Ernst erinnern. Anhand der Figurengruppe »Personnages« spielt sie die Konstellationen in ihrer Familie durch. Ihre Mutter ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot, mit dem Vater hatte sie gebrochen. Nun war sie in New York, weit weg von Paris. Die künstlerische Tätigkeit galt ihr als Trauerarbeit.
Nach dem Tod des Vaters 1951 folgte eine längere Ausstellungspause. Louise Bourgeois litt unter Depressionen. Die Kunstwelt interessierte sich damals ohnehin eher für formalistisch arbeitende Künstler. Bourgeois war hingegen geschult an den Avantgarden des alten Europa wie dem Surrealismus. Die Techniken, derer sie sich bediente, Collage und Assemblage, und ihre Themen, die das Unbewusste, den Traum, Sexualität und immer wieder die eigene Biographie berührten, galten als zu narrativ.
Erst Mitte der siebziger Jahre vollzog sich schließlich ein Wandel, weg vom Formalismus der Minimal- und Konzeptkunst hin zum Literarischen. Louise Bourgeois wurde so zu einer Lieblingskünstlerin der Postmoderne.
1976 inszenierte sie die Performance »Confrontation – A Banquet, a Fashionshow of Body Parts«, und ließ Männer mit Bärten in Kostümen, die sie zu weiblichen Säugetieren machten, mit mehreren Zitzen am Oberkörper aufmarschieren. Dazu erzählte eine Sängerin zum Geigenspiel die traurige Geschichte der Künstlerin, die den Verlust ihrer Eltern nicht überwinden konnte: »She abandoned me!«
In den achtziger Jahren kämpfte Louise Bourgeois für die Gleichberechtigung der Frau im Kunstbetrieb. 1982 schließlich wurde der damals fast 70jährigen, doch wenig bekannten Künstlerin als erster Frau in der Geschichte des Hauses eine Retrospektive im Museum of Modern Art gewidmet. Als 1992 eine Dependance des Guggenheim-Museums in SoHo eröffnete, engagierte sich eine im Kunstbetrieb aktive feministische Gruppe mit dem Namen »Gorilla Girls« für eine stärkere Präsenz von Künstlerinnen bei der Eröffnungsausstellung. Die mit Affenmasken maskierten Frauen hatten Erfolg: Das Museum eröffnete mit der Ausstellung »From Brancusi to Bourgeois«.
Die Hamburger Jubiläumsschau ist nach Bourgeois’ »Passage Dangereux« von 1997 benannt, der größten ihrer »Cells«, die sie seit 1986 als in sich geschlossene Einheiten konstruierte; Zellen, angefüllt mit Skulpturen, allerlei persönlichem und alltäglichen Material. Die titelgebende Installation wird in der Ausstellung an prominenter Stelle gezeigt. Sie besteht aus einem acht Meter langen und vier Meter breiten geschlossenen Käfig, in dem die Stationen eines Lebens anhand von Objekten nachgebildet werden. Mit einer Kinderschaukel am Anfang und einem elektrischen Stuhl am Ende des Käfigs. »Ich bin die Gefangene meiner Erinnerungen, und das Ziel ist, sie loszuwerden«, erklärte die Künstlerin vor einigen Jahren. »Um wirklich einen Exorzismus vorzunehmen, der mich von der Vergangenheit befreit, muss ich sie wieder rekonstruieren, muss über sie nachdenken oder eine Skulptur von ihr machen, um sie loszuwerden. Dann kann ich sie vergessen. Ich habe der Vergangenheit meine Schuld bezahlt und bin befreit«, so Bourgeois weiter. Der Käfig ist voller persönlicher Gegenstände: Holzstühle, ähnlich der Stühle-Sammlung ihres Vaters, eine Beinprothese, die die Künstlerin von ihrer verstorbenen Nachbarin geerbt hat, ein winziges Likör­fläsch­chen in der Form eines Pferdes, einem Geschenk von Le Corbusier.
Gezeigt werden in der Ausstellung zahlreiche umgearbeitete Webteppiche. Bourgeois hatte sie nach dem Tod ihres Vaters aus der elterlichen Restaurationswerkstatt in die Vereinigten Staaten geholt und sie in ihren Bildern, Skulpturen und Installationen verarbeitet.
In einer ihrer Cells steht ein Sessel. Das Polster hat dasselbe Muster wie die darauf sitzende Stoffpuppe. Aus ihrem Körper kriechen stählerne Spinnenbeine, mit ihrem Mund spinnt sie Fäden, die ein Netz im Raum bilden. Der Stoffgestalt wirken ihre Beine äußerlich, doch sie gehören zu ihr, sie kann nichts gegen sie ausricheten.
Der Figur der Spinne kommt bei Bourgeois eine große Bedeutung zu. Berühmt geworden ist ihre »Maman« von 1999, eine neun Meter hohe Außenskulptur, deren korbartiger Rumpf angefüllt ist mit Eiern aus Marmor. Diese monumentale Skulptur wird als Bronzeguss unter anderem in Bilbao, St. Petersburg, Tokio und Seoul permanent gezeigt. Eine Version steht nun auf dem Platz zwischen dem alten und neuen Teil der Hamburger Kunsthalle. Die Spinnen in Bourgeois’ Werk sind höchst ambivalente Gestalten: Ihre Inszenierung ist gruselig, gleichzeitig versucht die Künstlerin, sie positiv zu bewerten. Sie seien Weberinnen, wie ihre Mutter: »The Spider is my Mother!«
Mitte der neunziger Jahre ließ sie von ihrem Assistenten sämtliche Kleider und Textilien aus ihrem Haus in Chelsea holen, in dem sie seit 1962 gewohnt hatte, ordnete sie und verarbeitete sie zu Skulpturen, aber auch zu Büchern, darunter die in der Ausstellung gezeigte Buchskulptur »Ode à l’oublie« (Ode an das Vergessen) von 2004. Es handelt sich um ein gebundenes Buch mit Seiten aus Baumwolle, auf die sie Stoffreste ihrer zerschnittenen Kleider genäht hat. Auch hier findet sich häufig das Motiv der Spinnweben. Das Material, das Bourgeois verwendet hat, stammt aus acht Jahrzehnten. Ihre Lebensgeschichte, nicht zuletzt auch die Erfahrungen ihres Körpers, sind darin aufgehoben.

Louise Bourgeois: Passage dangereux. Hamburger Kunsthalle. Bis 17. Juni 2012