Symbolischer Protest ist sinnlos

Reine Symbolik

Die Diskussion darüber, wann antikapitalistischer Protest »verkürzt« ist und wann es bei ihm »ums Ganze« geht, wird dadurch ad absurdum geführt, dass er in der Regel nur symbolisch und damit letztlich wenig radikal ist.

Das Vorhaben der »Georg-Büchner-Initiative«, ein Finanzzentrum in Frankfurt einen Arbeitstag lang zu blockieren, liegt knapp zwei Jahre zurück. Inzwischen wurden neue Versuche unternommen, die guten Absichten in wirksame Taten umzusetzen. Das »M31«-Bündnis hatte für den 31. März zu einer Demonstration in Frankfurt aufgerufen, die zur Baustelle der Europäischen Zentralbank (EZB) führen sollte. Die rund 5 000 Teilnehmer­innen und Teilnehmer erreichten die Bank nicht (siehe Seite 9). Anfangs gingen einige Scheiben zu Bruch, später spaltete die Polizei die Demons­tration und bildete einen Kessel. Nach zwei Stunden unfreiwilligen Wartens entschied sich die Demonstrationsleitung, das Ziel EZB aufzugeben und das Ganze in der Innenstadt enden zu lassen. Für Pfingsten 2012 plant das »NoTroika«-Bündnis nun eine ganz ähnliche Aktion: »Wir werden am 18. Mai den Geschäftsbetrieb der Banken in Frankfurt blockieren«, heißt es im Aufruf.
Bereits im März 2009 fanden Großdemonstrationen mit über 40 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern unter dem Motto »Wir bezahlen nicht für eure Krise« statt. Die politischen Positionen der Teilnehmer reichten von einer sympathischen Verweigerungshaltung bis zur grundsätzlichen Systemkritik. Danach jedoch herrschte bleierne Stille. Ein Jahr später erst fanden unter demselben Motto zwei weitere Großdemonstrationen statt. Wieder waren insgesamt 40 000 Menschen auf der Straße. Bei nüchterner Analyse ist dies kein Erfolg, sondern Ausdruck politischen Stillstandes. Das Verarmungsprogramm war in vollem Gange, während man trotzig und wirklichkeitsfremd durch die Straßen lief und behauptete, man bezahle nicht für die Krise. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob man der Symbolik einen zivilgesellschaftlichen oder revolutionären Akzent verleiht. Man zahlt in Wirklichkeit eben doch.

Diese Erfahrungen waren in den Aktionsaufruf eingeflossen, den die »Georg-Büchner-Initiative« Mitte 2010 veröffentlichte. Unterstützt durch verschiedene politische Gruppen und mit einem Konzept flexibler Blockadepunkte wollten wir die Blockade einer Finanzzentrale durchsetzen: »Wir müssen die Richtung ändern, wir müssen die Symbolik hinter uns lassen.« Das Echo war zwar nicht atemberaubend, aber ausreichend, die Idee weiterzuverfolgen. Doch es gab auch eine deutliche Zurückhaltung seitens anarchistischer und antifaschistischer Gruppen, die dem »Ums Ganze«-Bündnis nahestehen. Sie hatten Bedenken oder grundsätzliche Einwände, Banken ins Zentrum einer Aktion zu stellen. Man bediene damit populistisch Stimmungen, lenke von den eigent­lichen Krisenursachen ab und laufe Gefahr, antisemitische Klischees zu reproduzieren. Obwohl wir als Initiatoren sehr ausführlich auf diese Bedenken und Vorwürfe eingingen, änderte dies an der Ablehnung nichts.
Dennoch kam die Idee nicht richtig vom Fleck. Nachdem wir einsehen mussten, dass wir die für unser Konzept veranschlagte Teilnehmerzahl von 5 000 plus X nicht würden erreichen können, sagten wir die Blockade ab. »Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.« Ein geduldiges Schlusswort. Hat sich seitdem etwas geändert? Auch das »Ums Ganze«-Bündnis hatte für den 31. März zu einer Aktion aufgerufen, deren Ziel eine Bank, genauer die Baustelle der Europäische Zentralbank in Frankfurt war. Abgesehen davon, dass die meisten Menschen sich daran gewöhnt haben, Parolen wie »Stilllegung der EZB« nicht ernst zu nehmen, wundert man sich schon! Schließlich war die Kritik aus den Reihen des »Ums Ganze«-Bündnisses an der »Georg-Büchner-Initiative« damals besonders heftig gewesen, und die Vorwürfe waren alles andere als läppisch. Soll diese Kritik heute nicht mehr gelten? Was ist an dem Demonstrationsziel Europäische Zentralbank heute anders? Wenn wir unsere theore­tischen Annahmen nicht nur an anderen, sondern auch an der eigenen Praxis mäßen, dann würden wir realisieren, wie schwer es (für alle) ist, zwischen einer »verkürzten Kapitalismuskritik« und dem Kampf »ums Ganze« die Füße auf den Boden zu bekommen!
Wenn wir also vorankommen wollen, und das gilt nicht nur für »M31«, sondern auch für die bevorstehende Banken-Blockade des »NoTroika«-Bündnisses im Mai, dann sind wir auch bei der Frage: Was stört den Kapitalismus wirklich? Wie könnte eine Praxis aussehen, die sein reibungsloses Funktionieren behindert? Wo könnte eine radikale Linke langfristig wirkungsvoll eingreifen? Wo wäre sie zu was fähig?

Die Herzkammer des Kapitalismus ist nicht seine nationalstaatliche Verfasstheit, sondern der Profit, der tagtäglich aus jeder Form von Lohnarbeit herausgepresst wird. Wer Antikapitalismus nicht nur als Ideologiekritik begreift, wird dort eingreifen und die Frage beantworten müssen: Warum ist die radikale Linke dort seit Jahrzehnten weder organisiert noch einflussreich? Wie kann man diese Untätigkeit überwinden? Es gehört zum guten Ton, all den anderen (zu Recht) Duckmäusertum, Lauheit und Sozialpartnerschaft vorzuwerfen. Doch was ist der Unterschied zwischen denen, die es nicht anders wollen (oder gar verdienen), und denen, die nichts anderes tun?
Bei aller Liebe zu brillanter Kapitalismuskritik: Sie bewährt sich nicht im Diskurs, sondern in einer Praxis, die dem Kapitalismus etwas abtrotzen kann. Der materielle Schaden, den eine antikapitalistische Demonstration selbst mit maximalen Forderungen und Parolen anrichtet, ist in aller Regel gleich null. Als hingegen zum Beispiel die Vorfeldlotsen mit ihrem Streik im Februar 2012 am Frankfurter Flughafen für neun Tage den Flughafenbetrieb massiv störten, entstand ein Schaden von mehreren Millionen Euro. Ein Schaden, der dazu führte, dass der Flughafenbetreiber nun zu etwas bereit ist, was er vor dem Streik als völlig illusorisch zurückgewiesen hatte.
Es gibt aber auch außerhalb von Lohnarbeitsverhältnissen Möglichkeiten, in die Verwertungskette einzugreifen. Genau dort, wo das Produkt die Fabriktore, den Schreibtisch verlässt, wo der Mehrwert im verkauf realisiert werden muss. Dabei spielt es keine Rolle, ob man eine Bank blockiert, einen Konzern oder eine Wissensfabrik bestreikt. Wenn also im Mai Banken blockiert werden, dann geht es nicht um eine symbolische Handlung, sondern um die materielle Wirkung einer Blockade, die im besten Fall die Verwertungskette für eine gewisse Zeit unterbricht oder stört. Aber die Frage stellt sich natürlich auch hier, was eine zeitlich begrenzte Kampagne langfristig verändern kann.

In diesem Sinne wäre die Frage »Was ist verkürzte Kapitalismuskritik und was ist der Kampf ums Ganze?« tatsächlich obsolet. Was damit gemeint ist, spiegelt sich auch in den in dieser Disko-Reihe erschienenen Debattenbeiträgen von Felix Baum (11/12) und Laura Winter (12/12) wieder. Felix Baum schreibt: »Aber schon in der Wahl der EZB als Kundgebungsort in Frankfurt kommt die verdrängte Ratlosigkeit zum Vorschein, denn warum gerade dort, weiß niemand so recht. Sie sei ›eines der zentralen politischen Instrumente, mit denen die starken Länder der Eurozone, vor allem Deutschland und Frankreich, versuchen, die kapitalistische Krise auf dem Rücken der Lohnabhängigen hier und vor allem in Südeuropa zu lösen‹, sagen die Organisatoren und fordern eine ›Stilllegung der EZB-Baustelle‹, so als könne man gegen das Kapitalverhältnis wie gegen die Startbahn West demonstrieren und als sei Krisenbewältigung anders als gegen die Lohnabhängigen überhaupt denkbar.« Während Felix Baum nur etwas gelten lässt, was das Kapitalverhältnis aufhebt, während er also unterhalb einer Revolution gar nichts gelten lässt, antwortet Laura Winter vom »M31«-Bündnis überraschend bescheiden, dass »bei den Protesten gegen die Startbahn der Erfolg ja nicht darin (lag), dass ein bestimmter Armeestützpunkt verhindert wurde, sondern darin, die Aufrüstungspolitik im Kalten Krieg in der breiten Öffentlichkeit in Frage zu stellen«.
Abgesehen davon, dass sich der Widerstand vor allem auf den zivilen Teil des Frankfurter Flughafens konzentrierte, geht ihre Erwiderung am Kern des Startbahnwiderstandes vorbei: Es ging eben nicht nur darum, die zivile/militärische Bedeutung des Frankfurter Flughafens in die Öffentlichkeit zu bringen, sondern den Bau der Startbahn West zu verhindern! So etwas setzt eben mehr als eine einmalige Kampagne und die rich­tige Parole voraus, nämlich eine kontinuierliche Präsenz und Konfrontation. Der Erfolg dieses Widerstandes lag darin, dass es über Jahre gelang, sich diesem Projekt in den Weg zu stellen und vieles zu tun, damit aus einer Baustelle keine Startbahn wird. Und nicht minder erfolgreich war der Widerstand dabei, in Hessen an den Rand der »Unregierbarkeit« zu bringen, was ziemlich viel ist und doch viel weniger als das, was Felix Baum mit seinem Vergleich suggeriert. Dass es dennoch nicht gelang, die Startbahn West zu verhindern, zeigt doch nur an, was noch alles dazukommen müsste, um erfolgreich zu sein.