Ein Buch über Sport und Faschismus

Die Nazis und der Sport

Im Verlag Die Werkstatt erscheint Ende Mai ein wichtiger Beitrag zur Sportgeschichte im Faschismus. In über 40 Biographien erzählt der Band die Einzelgeschichten der Sportler und Funktionäre während der Zeit des Nationalsozialismus. Dabei legt er auch ein Defizit der Sportgeschichtsschreibung über den Stalinismus offen.

Karl Ritter von Halt war ein mustergültiger NS-Sportfunktionär. Von Halt war der letzte Reichssportführer, ab 1944 stand er dem Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) vor. Er gehörte zum »Freundeskreis Himmler« und hat sich im NSRL stetig hochgearbeitet. Anfang Mai 1945 wurde er verhaftet und war bis 1950 in Gefangenschaft. Bereits 1951 wurde er Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) Westdeutschlands und blieb es bis 1961. Bis zu seinem Tod 1964 war er dann Ehrenpräsident.
Biographien wie jene von Halts hat der Sammelband »Sportler im ›Jahrhundert der Lager‹« zusammengestellt. Auf eine wissenschaftliche Tagung im November vergangenen Jahres in Berlin zurückgehend, hat das Ende Mai erscheinende Werk den Sport im NS als Schwerpunkt. Biographien von Sportlern und Funktionären im Stalinismus, während der Säuberungen oder im Gulag sind eher die Ausnahme. In den fünf Kapiteln »Karrieren«, »Flucht«, »Widerstand«, »Opfer« und »Überleben« sind 47 Beiträge von Sportwissenschaftlern, Journalisten und Historikern versammelt. Der Titel des Bandes ist dabei leicht irreführend: Zum einen geht es nicht nur um Sportlerbiographien, die in den Lagern endeten, zum anderen machen gerade die Funktionärsbiographien einen bedeutenden Anteil aus.
Zwar werden auch die bekannteren Fälle wie die Morde an dem Fußball-Nationalspieler Julius Hirsch in Auschwitz und dem Sinto-Boxer Johann Trollmann 1944 in Wittenberge noch einmal behandelt, ebenso die Stilisierung Max Schmelings zum Vorzeigearier. Die große Leistung des Buchs aber ist es, dass man durch die Unterschiedlichkeit der Biographien einer Gesamtdarstellung der deutschen Sportgeschichte zwischen 1933 und 1945 nahekommt. Dabei bestätigt der von den Sportprofessoren Diethelm Blecking und Lorenz Peiffer herausgegebene Band vor allem in den kleinen Randgeschichten die These des britischen Historikers Michael Burleigh: »Es gab keine ›normale‹ deutsche Geschichte, die irgendwie neben dem Holocaust hergelaufen wäre.«
Wie schnell und zielstrebig viele deutsche Turn- und Sportverbände die nationalsozialistische Staatsdoktrin umsetzten, wird etwa am Beispiel der Breslauer Turnerin Meta Fuß-Opet deutlich, die im April 1933 aus ihrem Heimatverein ausgeschlossen wurde. Die Briefe Fuß-Opets im Israelitischen Familienblatt dokumentieren die private Seite, der Beitrag im Band zeigt, welche Vorreiterrolle die Turnverbände bei der Arisierung im Sport spielten. Dabei übten die meisten Sportverbände im Jahr 1933 vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem NS-Regime. Bis zum deutschen Turnfest im Juli 1933, so ordnete der Turnverband etwa an, sollten alle jüdischen Turnerinnen aus den Vereinen ausgeschlossen worden sein.
Das Kapitel »Karrieren«, das mit Karl Ritter von Halt beginnt, bietet einen umfassenden Überblick über das Verbandswesen. So wird anhand der Biographien die Bildung des Deutschen Reichsbunds für Leibesübungen (DRL) 1934 und das kontinuierliche Aufgehen aller Fachverbände im DRL beschrieben (der dann 1938 zum NSRL wird). Dafür steht die Geschichte des DFB-Präsidenten und späteren SS-Standartenführers Felix Linnemann. Er war an der Gründung des DRL maßgeblich beteiligt und später Reichfachamtsleiter für Fußball, Rugby und Kricket im NSRL. Der Fußballsport war für Linnemann »in enger Berührung mit der nationalsozialistischen Weltanschauung«. Linnemann förderte die Entfernung von Juden und Marxisten aus den Sportvereinen genauso wie die Verfolgung der Arbeitersportvereine.
Der Arbeitersport ist ein weiteres wichtiges Sujet des Bandes. Eindrucksvoll wird an der Biographie Karl Bührens die Geschichte der Ächtung des Arbeitersports erzählt. Bühren wurde sowohl Opfer des NS als auch des Stalinismus. Ab 1921 war der Sozialdemokrat im Vorstand der Arbeiterturn- und Sportbewegung (ATSB) und suchte im Namen des Verbands nach »sozialistischen Wettkampfformen«. Bühren ging 1933, von der Gestapo wegen des Verteilens illegaler Flugblätter verfolgt, ins tschechische Exil.
Zunächst arbeitete er eng mit der Sozialistischen Arbeitersport Internationale (SASI) zusammen, ging dann zur antifaschistischen »Kampfgemeinschaft für deutschen Arbeitersport«. Nachdem er 1935 nach Moskau gegangen war, wurde er nach zwei erfolglosen Ausweisungsversuchen ab 1937 Opfer der ersten stalinistischen Säuberungswelle. Unklar bleibt, warum. »Gerade weil die stalinistischen Verfolgungen keinem rationalen Muster folgten, konnte letztlich niemand, egal ob kommunistischer Sportfunktionär, sozialdemokratischer Sportlehrer oder klassenbewusster Sportler, vor den Henkern Stalins sicher sein«, konstatiert der Autor Eike Stiller.
Spätestens hier zeigt sich, dass Blecking und Peiffer wertvolle neue Beiträge liefern – die auch die richtigen Fragen aufwerfen. Zum Arbeitersport etwa liegen nur einzelne Publikationen vor. Auch welche Rolle der Sport etwa in den Gulags gespielt haben mag, wurde bisher kaum erforscht. Man weiß, dass der Sport in den KZ noch präsent war, gerade in Form von Boxkämpfen, die – etwa am Beispiel Johann Trollmanns, wo ein Kampf letztlich auch zu dessen Tod führt – auch genannt werden. Werke und Beiträge zur Sportgeschichte im Stalinismus aber bleiben rar.
Den NS betreffend aber schafft es das Buch, auf etliche interessante Randaspekte hinzuweisen, die nicht so bekannt sind wie Leni Riefenstahls Filme und die Olympischen Spiele 1936 oder die Kämpfe von Max Schmeling gegen Joe Louis. Zum Beispiel streift man das opportunistische Verhalten der großen Sportillustrierten des Landes, wenn man erwähnt, dass im »Kicker-Bilderwerk« von 1939, in dem rund 400 Nationalspielern porträtiert wurden, die jüdischen Spieler Gottfried Fuchs und Julius Hirsch fehlen. Aussagekräftiger ist aber hier, dass das Fehlen der beiden in der Neuausgabe von 1988 nicht korrigiert wurde.
An einigen Stellen greift man ein bisschen hoch oder schlicht im Titel daneben, etwa wenn im Kapitel »Widerstand« unter der Überschrift »Berliner Polizeisportlerinnen trotzen der NS-Rassenpolitik« ein Einzelfall geschildert wird. Ehrenwert, wie sich dort ein zahlenmäßig unterlegenes Frauenhandballteam mit Spielerinnen des gegnerischen jüdischen Teams verstärkte, aber hier von aktivem Widerstand zu sprechen, ist – auch mangels Belegen – einfach ein bisschen übertrieben. Das aber sind Kleinigkeiten. Sie schmälern den Gesamteindruck kaum. Davon abgesehen erzählt der Band von rettenden Zufällen ebenso wie von Sportlerprivilegien, die den Tod im Lager verhinderten. Er erzählt aber eben genauso viel über die Strukturen des organisierten Sports und die Verantwortlichen der Verbände, die sich opportunistisch verhielten und für die Verfolgung der Sportlerinnen und Sportler mitverantwortlich waren.
Was den deutschen Fußball und den DFB betrifft, gewinnt man bei der Lektüre des Bandes den Eindruck, dass etliche Fälle erst etwa in den vergangenen 15 Jahren – oder will man sagen: erst nach Gerhard Mayer-Vorfelder – ins Bewusstsein traten. Die ersten Jahre der Präsidentschaft von Theo Zwanziger waren die wertvollsten seit der Neugründung 1950 – auch das ist eine Einsicht, die dieses Buch vermittelt.
Ein Stadion in Garmisch-Partenkirchen etwa war noch bis 2006 nach dem Vorsitzenden des Organisationskomitees der Olympischen Spiele 1936 benannt. Erst im Juli 2006 – hatte jemand während der Fußball-WM einen hellen Moment? – wurde daraus wieder das Stadion am Gröben. Bis dahin aber hieß es noch: Karl-Ritter-von-Halt-Stadion.

Diethelm Blecking, Lorenz Peiffer: Sportler im »Jahrhundert der Lager«. Profiteure, Widerständler und Opfer. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2012, 352 Seiten, 28 Euro