Warum der brasilianische Fußballstar Adriano wirklich gefeuert wurde

Aufstieg, Abstieg, Ausstieg

Der brasilianische Fußballstar Adriano wurde von Flamengo, dem Club aus Rio de Janeiro, gefeuert, weil er die Lösung privater Probleme zur Priorität erklärt hatte.

Sichtlich zerknirscht trat Flamengos Sportdirektor Crizam César de Oliveira Filho, genannt Zinho, am Dienstag vergangener Woche vor die Presse: »Wenn Adriano wieder Fußball spielen will, muss er sich radikal ändern«, erklärte er. Bei Flamengo traut ihm das aber augenscheinlich niemand mehr zu. Der noch bis Dezember gültige Vertrag mit dem Stürmer solle aufgelöst werden, ließ der Club verlauten. Zuvor hatte Adriano ein Treffen mit Zinho platzen lassen. Tags zuvor hatte er mit der Ankündigung für Irritationen gesorgt, er werde in diesem Jahr nicht mehr auf den Fußballplatz zurückkehren, er müsse zunächst einige Probleme lösen. Die Beendigung des Fußballjahres bezog sich aus Adrianos Sicht wohlgemerkt nicht nur auf offizielle Begegnungen, sondern vor allem auf das Training. Damit brachte er das Fass zum Überlaufen. Es war ja auch nicht so, dass er vorher regelmäßig an den Übungseinheiten der Mannschaft teilgenommen hätte.
Nachdem das Vertragsende verkündet war, sprach Zinho vom »Menschen« Adriano: »Der Mensch hat Entscheidungsmöglichkeiten im Leben. Er (Adriano, A. K.) trifft die falschen Entscheidungen. Ich habe mit ihm darüber gesprochen. Als Person habe ich vor, ihm weiter zu helfen. Aber als Profi, als Sportdirektor von Flamengo, konnte ich das nicht mehr.«
Adrianos Biographie liest sich am Anfang als klassische Aufstiegsgeschichte. Geboren in Vila Cruzeiro, einer der größten Favelas Rio de Janeiros, debütierte der 18jährige Adriano Leite Ribeiro im Jahr 2000 bei Flamengos; noch im selben Jahr wurde er in die brasilianische Nationalmannschaft berufen. Die großen europäischen Proficlubs wurden auf den technisch versierten, bulligen, kopfballstarken Spieler aufmerksam. Zur Saison 2001/02 sicherte sich Inter Mailand die Rechte an Adriano, verlieh ihn aber zunächst an die Fiorentina und nach Parma. Dort erzielte er 26 Tore in 44 Spielen und wechselte 2004 endgültig zu Inter.
In den Darstellungen von Adrianos Leben wird das Jahr 2004 immer als Wendepunkt seiner Karriere beschrieben. Der überraschende Tod seines Vaters im August traf den Stürmer hart. Ironischerweise wurde 2004 eines der besten Jahre seiner Karriere. Sein Tor entschied die Copa América in Peru, die er zudem als Torschützenkönig beendete. Und auch in den folgenden Jahren ging es weiter bergauf. Seine Tore halfen Inter, zwei Meisterschaften (2006, 2007), zweimal den Pokal (2005, 2006) sowie drei Supercopas (2006, 2007, 2008) zu gewinnen. Die Presse feierte ihn als »L’ Imperatore«. Mit fünf Toren in fünf Spielen schoss er Brasilien zum Gewinn des Confed-Cup 2005 in Deutschland und reiste mit der Seleção als großer Favorit zur WM ein Jahr später.
Damit stieg aber auch der Druck. Brasilien schied im Viertelfinale aus, Adrianos Karriere geriet ins Schlingern. Gerüchte über Depressionen tauchten auf, er flüchtete sich in Alkohol und Partys. Gegenüber der Zeitschrift R7 gibt er Jahre später zu: »Ich war nur glücklich, wenn ich jeden Abend getrunken habe. Ich habe alles gesoffen, was mir hingestellt wurde: Wein, Whiskey, Wodka, Bier … viel Bier.« Die italienische Tageszeitung Corriere della Sera meinte zu wissen, Adriano gebe jedes Wochenende 40 000 Euro fürs Feiern aus. Ihm wurden Affären mit Porno-Sternchen nachgesagt. Da war wohl auch eine ganze Menge Neid im Spiel. Adrianos Leistung ließ nach, er bekam immer mehr Probleme mit dem damaligen Inter-Coach Roberto Mancini. »Ich konnte mich nicht verstellen. Am Morgen bin ich besoffen zum Training erschienen. Ich bin da aufgetaucht, auch wenn ich komplett betrunken war. Sie haben mich dann zum Ausnüchtern geschickt und der Presse erzählt, ich hätte muskuläre Probleme.«
Nachdem ihn Brasiliens Nationalcoach Carlos Dunga 2009 bei zwei WM-Qualifikationsspielen auf der Bank gelassen hatte, ertränkte er seinen Frust in Bier. Er ließ seinen Rückflug nach Europa sausen und blieb mehrere Tage unauffindbar. Die lokale Presse wähnte ihn entweder tot oder entführt oder beides. Die Polizei erklärte schließlich, Adriano habe Kontakt mit Drogenbossen der Favela Vila Cruzeiro gehabt. So sehr Öffentlichkeit und Medien den Aufstieg des Favela-Jungen aus ärmlichen Verhältnissen in die glitzernde Fußballwelt feierten, eine Rückkehr dorthin nahmen sie ihm übel – wenn sie nicht karitativen Zwecken galt. Adriano hat eben nie vergessen, woher er kommt. Seine Freunde aus Kindertagen haben mittlerweile im Drogenhandel Karriere gemacht hatten, das ist der andere Weg eines Jungen aus der Favela, um zu Geld zu kommen.
Im April 2009 verließ der Kicker Inter Mailand dann endgültig. Er sei deprimiert und fühle sich in Italien nicht mehr glücklich; er brauche Abstand vom Fußball und werde für unbestimmte Zeit die Fußballschuhe an den Nagel hängen, teilte Adriano mit und kündigte seinen Vertrag, um kurz darauf bei seinem Heimatverein Flamengo anzuheuern und diesen als Torschützenkönig der brasilianischen Liga (19 Tore) zur Meisterschaft zu schießen.
Doch dann ging der Ärger wieder los. Im Mai 2010 lud die Polizei Adriano vor. Er soll Kontoauszüge erklären, die ihn mit Fabiano Atanasio, einem Drogenboss der Vila Cruzeiro, in Verbindung bringen. Gegen Atanasio lief zu dem Zeitpunkt ein Verfahren, weil seine Gang im Oktober 2009 einen Polizeihubschrauber vom Himmel geschossen und dabei drei Polizisten getötet hatte. Gegen Adriano wurde zudem wegen zweier Fotos ermittelt. Auf dem einen formt er mit den Händen die Initialen »CV«, was für »Comando Vermelho« (Rotes Kommando), Atanasios Bande, steht; auf dem anderen posiert der Spieler mit schweren Feuerwaffen.
Um den Ermittlungen der Justiz zu entgehen, wechselte Adriano im Sommer 2010 nach Italien zum AS Rom. »Ich habe sieben Jahre in Italien gespielt und muss zurückkehren, um einige Dinge auszuradieren, die ich gemacht habe. Ich schulde ihnen die Rückkehr«, sagte er damals. Trotz seines Drei-Jahres-Vertrags blieb es ein kurzes Gastspiel bei der Roma. Nach neun Monaten, in denen er ganze fünf Spiele absolvierte, ohne ein Tor zu erzielen, und zum schlechtesten Spieler der Serie A gewählt wurde, wurde der Vertrag nach Trunkenheit am Steuer während eines Heimaturlaubes Anfang 2011 aufgelöst.
Nachdem Flamengo ihn nicht hatte haben wollen, wechselte Adriano im März 2011 zu Corinthians São Paulo, verletzte sich aber noch vor seinem Debüt schwer an der linken Achillessehne und produzierte so wieder nur Schlagzeilen außerhalb des Platzes. Im Dezember 2011 beschuldigte ihn eine junge Frau, sie angeschossen zu haben. An der Geschichte war nichts dran, aber Adrianos Ruf war mittlerweile so schlecht, dass einige Medien ihm sogar das zutrauten. Corinthians hatte vorsorglich besondere Klauseln in den Vertag eingebaut, um im Falle von Verspätungen, Abwesenheit vom Training sowie Ausschweifungen außerhalb des Platzes das Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden zu können. Als Adriano im März 2012 eine Gewichtskontrolle verweigerte, war Schluss. In sieben Partien hatte er zwei Tore erzielt.
Und wieder nahm Flamengo ihn auf. »Flamengo begrüßt seinen verlorenen Sohn, der mit Ruhm ging, mit Scham wiederkam und nun zurückkehrt, um seinen letzten Biss zu beweisen«, dichtete die Presse bei der Rückkehr zu Flamengo über die Vereinskarriere, die Sportdirektor Zinho nun für beendet erklärte.
Ans Karriereende denkt Adriano deshalb aber noch nicht. »Ich möchte klarstellen, dass ich nicht aufhören werde. (…) Ich bin ruhig und mir bewusst, was ich mache. Mit Sicherheit werde ich 2013 besser sein.« Eines muss man ihm lassen. Trotz aller Rückschläge hat er sich seinen Optimismus bewahrt. Auch wenn er derzeit der Einzige ist, der noch an sich glaubt.