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Wenn man die Jungle World liest, denkt man: Super! Kritk am neoliberalen Arbeitsethos, am Selbstoptimierungswahn und dem ganzen Diszplinierungsterror wie Clean Desk Policy und Teambuilding-Seminaren zur Bekämpfung des schlimmen Sucker-Effekts! Dafür jede Woche Lobeshymnen auf Hedonismus, Anarchie, Kreativchaos, Spontanität, Querschlägertum und Antiautoritäre. Wahrscheinlich sind es die genialen Anarchisten, die in diesem zwanglosen Redaktionsdschungel die Movers und Shakers sind und dafür die Königskrone aufgesetzt bekommen.
Also hätte er doch ein würdiger Aspirant für die Krone sein müssen: der Bachelor im dunkelblauen Vintage-Pulli mit dem subkulturellen Kapital in der abgewetzten Umhängetasche.
Beim Rumstehen im Berghain ist er genauso lässig wie beim Match auf dem Tennisplatz. Legendär entspannt sein Aufschlag auf der ansonsten eher stressigen Redaktionskonferenz. Erstmal Kaffee und Kuchen, dann Diskussionen. Oder sind wir hier vielleicht beim Focus?
Fanpost. Waschkörbeweise. Unveröffentlicht, ein Auszug: »Jede Woche, immer wieder neu, die Kopfzeile im Dschungel-Feuilleton, die vier Kästchen, die auch meistens was miteinander zu tun haben. Da habe ich schon manch guten Link gefunden. Dafür danke.« Vergelt’s Gott, merci, chérie. Dass man in diesem Laden nicht nur Sahra Wagenknecht, sondern auch Kate Moss und Julie Burchill kennt, geht auf’s selbe Konto. Punk, Baby, genau. So was im Dschungel durchzusetzen, kann aber härter sein, als Känguruhoden und faule Enteneier zu essen.
Gerade die schwere Aufgabe erledigt unser Kanditat mit verbaler Leichtigkeit. Nachrufe auf Popdiven und Legenden des Jazz werden verfasst, Trends antizipiert, Kritiken über Kino, US-Serien und trauriges deutsches Fernsehen aus der Hüfte geschossen. Etwas vom Glanz von The Wire und vom Trash des Vice fällt auf die Jungle World ab in Texten mit Titeln wie »Inkorrektes Hosen-Zelt aus Stoff und Sorgen« (über den Seinfeld-Spin off »Curb your Enthusiasm«), »Der letzte Engtanz« (zum Tod von Patrick Swayze) und »Ja, spinnt ihr denn jetzt alle?« (über die Konkurrenz zwischen Machos und Metrosexuellen).
Ein bisschen enttäuschend ist es nun schon, dass der letzte Redaktionsanarchist hinter den Kulissen der Selbstoptimierungskritik kein Krönchen bekommen hat. Nicht mal ein Thrönchen. Dabei heißt es doch immer, Anarchie sei prima für Betrieb und Klima.