Die Ausstellung »React Feminism« dokumentiert feministische Performance-Kunst

Die Grandmas von Pussy Riot

Die Ausstellung »React Feminism« versucht eine Bestandsaufnahme feministischer Performance-Kunst der sechziger und siebziger Jahre.
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Die Performance existiert nur in der Gegenwart. Sie kann nicht archiviert, erfasst oder dokumentiert werden oder auf eine Weise weitergegeben werden wie andere Darstellungsformen: Wenn man das versucht, wird es etwas anderes als eine Performance sein. Die Performance entsteht, indem sie verschwindet«, schreibt die US-amerikanische Feministin und Performance-Theore­tikerin Peggy Phelan 1993 in ihrem Buch »Unmarked: The Politics of Performance«.
Auch die Kuratorinnen der Werkschau »React Feminism« sind sich der Probleme der Präsentation und Archivierung von Performance-Kunst bewusst. Seit vergangener Woche präsentieren sie in der Akademie der Künste in Berlin eine Ausstellung mit Filmen, Fotografien, Texten und Interviews, die feministische und queere Werke der Performance-Kunst von über 180 Künstlerinnen vor allem aus Europa und den USA, aber auch aus dem Mittleren Osten und Lateinamerika vorstellt.
Das 2008 gegründete Archiv feministischer Performance-Kunst, aus dem die Ausstellung hervorgegangen ist, möchte verstreute und schwer zugängliche Arbeiten der feministischen Aktionskunst einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen. Gesammelt werden Arbeiten aus den Anfängen der Kunstgattung in den sechziger und siebziger Jahren bis hin zu zeitgenössischen Arbeiten, die sich mit der Geschichte des Genres beschäftigen. Die Kura­torinnen Bettina Knaup und Beatrice Stammer wollen damit »einen transkulturellen und generationenübergreifenden Dialog« initiieren.
Im Jahr 2011 ging das 2008 gegründete Archiv auf Europa-Tour. Es gastierte bereits in Spanien, Kroatien, Polen, Estland und Dänemark, es fanden Performances, Screenings und Vorträge statt, außerdem wurde an Ort und Stelle recherchiert wurden und die Arbeiten lokaler Künstlerinnen dem Archiv hinzugefügt. Mit der Präsentation in Berlin findet die Tournee ihren Abschluss. In den kommenden zwei Monaten werden Forschungsergebnisse ausgewertet und dem Publikum zügänglich gemacht.
Die in den sechziger Jahren entstandene Performance-Kunst war von Beginn an auf die Frage nach gesellschaftlicher Emanzipation und auf eine politische Auseinandersetzung mit dem Kunstbetrieb ausgerichtet. Sie kritisierte die Warenform traditioneller Kunstwerke, die nur als dauerhafte, wertvolle und käufliche in Erscheinung traten, und setzte das Konzept eines offenen künstlerischen Prozesses dagegen, der als physische Handlung in der Interaktion zwischen Künstler und Publikum ablief. Mit der Konzentration auf den Körper bildeten die Künstler soziale und physische Grenzerfahrungen ab, die darauf zielten, Zuschreibungen von Identität sichtbar zu machen und zu unterlaufen. Feministische Künstlerinnen leisteten dazu einen wesentlich Beitrag, indem sie die gesellschaftliche Sicht auf den weiblichen Körper in den Mittelpunkt stellten.
So zeigt der 1968 entstandene legendäre Videofilm von Valie Export die Künstlerin mit einem um die Brust geschnallten Karton mit einer Art Fenster auf einer Straße in München. Es waren hauptsächlich männliche Passanten, die die Aktion »Tapp- und Tastkino« nutzten, um die Brüste der Künstlerin zu berühren. Ein frühes Beispiel der Performance-Kunst ist Yoko Onos »Cut Piece« aus dem Jahr 1964, bei dem sie dem Publikum erlaubte, mit einer Schere beliebig Stücke aus ihrer Kleidung herauszuschneiden. Unter Gelächter und Applaus schreckte das Publikum nicht davor zurück, auch noch die Träger ihres BHs zu zerschneiden. Die Akti­onen zeigen beispielhaft, wie selbstverständlich der weibliche Körper zum Objekt degradiert wird und wie schnell die Grenzen der Privatsphäre eingeebnet werden, wenn sich Gelegenheit dazu bietet. In der Inszenierung weiblicher Verletzlichkeit und Passivität tritt die sexistische Haltung des Publikums unverstellt zutage. Valie Export und Yoko Ono benutzen ihren ei­genen Körper, um zu zeigen, wie rigide die Geschlechterrollen angelegt sind und wie gewaltförmig sie durchgesetzt werden.
Die Performances spiegeln damit die Auseinandersetzungen des Feminismus mit den gesellschaftlichen Verhältnissen der sechziger und siebziger Jahre wider. Freie Berufswahl, Recht auf Schwangerschaftsabbruch, Schutz vor sexuellem Missbrauch in der Ehe und (in der Schweiz) sogar das Wahlrecht waren Frauen vorenthalten, während die Arbeit, die sie in Haushalt und Pflege erbrachten, als selbstverständlich galt und unsichtbar blieb. Im Kampf gegen patriarchale Bevormundung formierte sich eine Frauenbewegung, die nicht nur Gleichberechtigung anstrebte, sondern sich bewusst positiv auf ihre Weiblichkeit bezog, den weiblichen Körper erforschte und sich selbst feierte.
Im Lauf der Zeit entwickelten sich die feministischen Debatten weg von der Auseinandersetzung mit der Frauenrolle und dem weiblichen Körper. Seit Anfang der neunziger Jahre rückten zunehmend die Dekonstruktion von Geschlecht und die Frage nach Begehrensstrukturen im neoliberalen Kapitalismus in den Mittelpunkt. Das Spiel mit Geschlechterrollen, ihre Austauschbarkeit und die Kritik am Geschlechterbiologismus bestimmen die Performance-Kunst der Gegenwart. So zeigt Katrina Daschner in einer Fotocollage aus dem Jahr 2002 Frauen mit Penis-Masken in einem Badezimmer. Ihre Frauen tragen falsche Bärte und Slip­einlagen im Haar, die wie Bandagen wirken. Der Körper steht hier wie schon in der frühen feministischen Performance-Kunst im Zentrum, aber die Kritik gilt jetzt den heteronormativen Verhältnissen.
Aber es gibt auch Kontinuitäten zwischen Künstlerinnen der jüngeren Generation und denen der »zweiten Welle« des Feminismus: Pau­line Boudry und Renate Lorenz setzen sich in ihren Werken kritisch mit der Rolle der weiblichen Reproduktionsarbeit im Kapitalismus auseinander und greifen damit die bereits in den sechziger und siebziger Jahre erhobene Forderung nach Anerkennung und Aufwertung der Haus- und Pflegearbeit auf. Ihr Film »Charming for the Revolution« (2009) kreist um das Thema »Arbeit« und zeigt die Hausfrau als geschlechtsindifferente Figur. Verweise auf Walter Benjamin, Pier Pasolini, Gilles Deleuze und Félix Guattari verbinden Kapitalismuskritik mit queerer Politik.
Aufgenommen ins Archiv wurde auch der berühmte Mitschnitt, der die Band »Pussy Riot« 2012 bei einer Musik-Performance in der russisch-orthodoxen Kathedrale in Moskau zeigt, mit der die Musikerinnen gegen die sexistische und autoritäre Politik Wladimir Putins protestierten. Die weltweite Aufmerksamkeit schuf kurzzeitig eine neue Öffentlichkeit für feministische und gesellschaftskritische Forderungen, es gab aber auch die Tendenz, das Politische daran zu einem Popspektakel zu trivia­lisieren. Hier liegt ein Grundproblem der Darstellbarkeit politischer Inhalte durch Performance-Kunst: War es anfangs noch möglich, das Publikum mit künstlerischen Aktionen zu ­irritieren, müssen in Zeiten von »Dschungelcamp« andere Wege gewählt werden, um Verunsicherung zu schaffen. Ob die Performance-Kunst in Zukunft einen brauchbaren Ansatz entwickelt oder nur als schrilles Spektakel taugt, ist Teil einer Debatte, die die Kuratorinnen von »React Feminism« initiieren möchten.

www.reactfeminism.de