NPD und Pro Deutschland in Hellersdorf

Und morgen ganz Berlin

Die NPD hat die rassistischen Proteste gegen ein Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf für ihren Wahlkampf genutzt. Im ­Internet versuchen Nazis nun, das Vorbild Hellersdorf auch auf andere Stadtteile zu übertragen.

Erst seit dem 19. August wird die ehemalige Max-Reinhardt-Oberschule im Berliner Stadtteil Hellersdorf von mehrheitlich aus Syrien geflüchteten Menschen bewohnt. Diese mussten sich in den vergangenen drei Wochen dennoch schon einige hässliche Szenen ansehen. So statteten Mitglieder der Partei Pro Deutschland der Unterkunft am 21. August im Zuge eines Aktionstags, an dem sie fünf verschiedene Orte in Berlin abklapperten, einen Besuch ab. Auch die NPD nutzte mehrfach die Gelegenheit. Bereits einen Tag nach dem Einzug der Flüchtlinge hielt sie eine Veranstaltung ab, die dank lautstarkem Gegenprotest wenig erfreulich für die Partei verlief. Die etwa 30 Teilnehmer wurden von knapp 500 Gegendemons­tranten an der Verbreitung ihrer Parolen ge­hindert.

Vier Tage später versammelte die NPD ihre Unterstützer am nahegelegenen Alice-Salomon-Platz. Dem Polizeisprecher Stefan Redlich zufolge erschienen bis zu 150 Anhänger und Sympathisanten der Partei. 400 Polizisten versuchten, sie von den etwa 700 Gegendemonstranten abzuschirmen. Allerdings war die Partei dieses Mal mit leistungsfähigerer Technik angereist, so dass die Redebeiträge nicht zu übertönen waren. Die Zuhörer bekamen die typische Propaganda geboten. Maria Fank, Landesvorsitzende des NPD-Frauenverbands »Ring nationaler Frauen«, meinte: »Die wahren Flüchtlinge sind die Hellersdorfer.« Zudem versuchte sie, Angst um »unsere Kinder« zu schüren. Auch ihr Lebensgefährte Sebastian Schmidtke sowie der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Andreas Storr und das Bundesvorstandsmitglied Ronny Zasowk buhlten um Wähler. Bei der letzten Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung 2011 konnte die Partei in Marzahn-Hellersdorf mehr als vier Prozent der Stimmen erzielen. Neben der üblichen Klientel der Partei fanden auch etliche Anwohner und Anwohnerinnen den Weg zur Kundgebung.
Die Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf (BMH) dürfte ihren Teil dazu beigetragen haben, sie zur Teilnahme an der NPD-Veranstaltung zu bewegen. Die Gruppe, die vorrangig auf Facebook und Twitter in Erscheinung tritt, gibt sich bürgerlich und inszeniert sich als Vertretung der Anwohner. Die Betreiber versuchen, anonym zu bleiben. Doch bereits Ende Juni tauchten in der Umgebung des Heims Flugblätter der BMH auf, auf denen Thomas Crull als presserechtlich Verantwortlicher angegeben wurde. Crull kandidierte 2011 erfolglos für die NPD im Bezirk. Auch Andre K. gilt als treibende Kraft der Initiative. Er soll Administrator der gleichnamigen Facebook-Seite sowie der offenen Gruppe »Nein zum Heim« sein und in engem Kontakt mit dem NPD-Abgeordneten der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf und langjährigen JN-Funktionär Matthias Wichmann stehen. Das bisher einzige Interview gab die BMH trotz angeblich vieler Anfragen aus dem In- und Ausland ausgerechnet dem rassistischen Internetportal PI-News.

Dass auch andere hochrangige Funktionäre der Partei schnell zur Stelle sind, wenn die Initiative zum Erscheinen aufruft, versucht diese als Zufall darzustellen. Während einer Bürgersprechstunde zu der Unterkunft im Juli, die ebenfalls auf der Facebook-Seite der BMH beworben worden war, ergriffen mehrere NPD-Funktionäre, unter ihnen der Berliner Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke, das Wort und gaben sich alle Mühe, die ohnehin aufgeregte Stimmung weiter anzuheizen. Die BMH machte auch den Einzug der Flüchtlinge am 19. August auf ihrer Facebook-Seite vorab öffentlich. Dass sie einen Hinweis aus einer der zuständigen Behörden bekam, gilt als sehr wahrscheinlich. Mehrfach äußerten Kommentatoren auf der Seite Pogromphantasien, die entweder gar nicht oder erst nach längerer Zeit gelöscht wurden.
Dass es bisher bei Phantasien geblieben ist, ist unter anderem der Mahnwache vor Ort zu verdanken. In den ersten Tagen war sie dauerhaft besetzt, nun sind dort täglich bis 18 Uhr Menschen anzutreffen. Sie dient als Ansprechstelle für Anwohner und koordiniert auch Spendenaktionen. Denn es gibt auch Hellersdorfer, die nichts gegen die neuen Nachbarn haben. Außerdem knüpft sie Kontakte zu den Flüchtlingen, begleitet sie zum Einkaufen, vermittelt ihnen Anwälte.
Ein Sprecher der Mahnwache berichtet: »Wir haben viel Frust auf uns gezogen, den das Heim dann nicht abbekommen hat. Es wurde 21 Jahre nach Rostock schnell reagiert und viel Wahrnehmung erreicht. Wir haben dem rassistischen Mob gezeigt, dass hier nichts ohne Widerspruch passiert und eine Situation geschaffen, in der sich die Anwohner, die gegen die Unterkunft sind, sehr wohl überlegen müssen, was sie tun und wie sie es tun. Andererseits möchten wir die Anwohner, die Angst haben, sich positiv über das Heim zu äußern, stärken.« Er führt jedoch weiter aus: »Keinesfalls verteidigen wir die Massenunterkünfte, sondern die Geflüchteten. Ursache für die Probleme ist auch die herrschende Flüchtlingspolitik mit ihrer Standortlogik und Stimmungsmache.«
Trotz der Mahnwache gab es aber Steinwürfe auf das Heim. Am 26. August bedrohte ein Neonazi die Teilnehmer der Mahnwache. Wenige Tage später wurden drei Hakenkreuzsprühereien in der direkten Umgebung des Heims entdeckt. Ob sich die Lage mit schwindender Aufmerksamkeit der Medien beruhigen oder zuspitzen wird, lässt sich nicht voraussagen.

Zumindest im Internet sieht es nach einer Ausweitung der rassistischen Hetze aus. Ähnliche Seiten wie die der BMH wurden in den vergangenen Wochen auch für andere Berliner Stadtteile gegründet. Auch dort geht es vorrangig um geplante oder bereits bestehende Asylunterkünfte. So finden sich auf Facebook beispielsweise Pro­file von angeblichen Bürgerinitiativen aus Mahlsdorf und Rahnsdorf. Auch in Pankow wird auf Flyern und auf Facebook gegen ein geplantes Asylbewerberheim in der Mühlenstraße mobil gemacht. Gesammelt werden diese Initiativen seit neuestem auf der Facebook-Seite »Berliner Bürgerinitiativen«. Allen gemein ist das Argumentationsmuster: Es werden vermeintliche Missstände im betreffenden Bezirk aufgezählt, die beseitigt werden sollten, anstatt eine Flüchtlingsunterkunft zu errichten. Geld zuerst für Deutsche – so lassen sich die Forderungen am ehesten zusammenfassen.