Nacktproteste in der Frauenbewegung

Das große Ausziehen

Vom »Busenattentat« über Femen bis zu den »Slutwalks«: über Nacktproteste in der Frauenbe­wegung.

Es ist der 22. April 1969, als Hannah Weitemeier den Vorlesungsaal VI der Frankfurter Goethe-Universität betritt. Die 26jährige Studentin trägt Blumen im Haar und um den Hals, dazu eine Jacke, doch nichts darunter. In wenigen Minuten wird vorne auf dem Podium Theodor W. Adorno erscheinen, dessen Verhältnis zu seinen Studenten bereits seit einiger Zeit gespannt ist. Im Januar des selben Jahres hatten diese das Institut für Sozialforschung besetzt, worauf der Philosoph die Polizei gerufen hatte. Die Vorlesung am 22. April soll zur Schlichtung beitragen, doch Hannah Weitemeier und ihre Kommilitoninnen sind nicht zum Reden gekommen. Als Adorno das Podium betritt, läuft Weitemeier zu ihm nach vorne, wirft ihren Mantel ab und entblößt ihre Brüste. Es sollte ein Spaß werden, eine Anspielung auf Adornos oft kolportierte Schwäche für Frauen. Der Professor jedoch ist entsetzt, em­pfindet, was dort geschieht, nahezu als gewalttätigen Akt. Er hält sich die Aktentasche vor das Gesicht und flieht sichtlich irritiert aus dem Hörsaal. Die Aktion geht als »Busenattentat« in die Geschichte ein. Sie markiert den endgültigen Bruch Adornos mit der Studentenbewegung kurz vor seinem Tod im August des gleichen Jahres, aber sie steht auch noch für etwas anderes: den ersten öffentlichkeitswirksamen Nacktprotest in der deutschen Frauenbewegung.

Am Anfang war der Körper

Heute, über 40 Jahre später, haben junge Feministinnen diese Art des politischen Ausdrucks für sich wiederentdeckt. Mit der 2008 in der Ukraine gegründeten Gruppe Femen ist das, was Adorno 1969 zutiefst erschütterte, schon seit einiger Zeit banaler Medienalltag geworden. Wie es scheint, gibt es kaum ein Großereignis mehr, auf dem sich nicht Aktivistinnen von Femen öffentlichkeitswirksam entkleiden. Mit nacktem Oberkörper laufen sie auf der Berlinale Sturm gegen weibliche Genitalverstümmelung, klettern im Kölner Dom während des Weihnachtsgottesdienstes auf den Altar oder versuchen, mit zweifelhaften Faschismus-Vergleichen auf weibliche Ausbeutung in der Sexindustrie aufmerksam zu machen. Schilder haben sie nicht nötig, ihre prägnanten wie vagen politischen Aussagen schreiben sie direkt auf ihren nackten Oberkörper. »I am god«, »Fuck your morals« oder »No prostitution. Slavery is facism« ist dort unter anderem zu lesen. »Sex­tremism« nennen sie das, eine »gewaltfreie, aber aggressive Form der Provokation«.
Auf den ersten Blick scheinen Hannah Weitemeier und die Frauen von Femen wenig gemeinsam zu haben – bis auf die Tatsache, dass sie sich irgendwann in ihrem Leben einmal öffentlich entkleidet haben. Doch auf den zweiten Blick ergeben sich Übereinstimmungen, anhand derer sich der Status von Nacktheit in weiblichen Protestformen während der vergangenen 50 Jahre nachzeichnen lässt. Die Zurschaustellung der Brüste ist nur das Offenkundigste, das die Aktivistinnen verbindet, es gibt wesentlich mehr Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Vorwiegend handelt es sich um junge Frauen; Hannah Weitemeier und ihre Mitstreiterinnen trugen Blumen im Haar und streuten Blüten auf Adorno, während die Frauen von Femen einen Blumenkranz zu ihrem Markenzeichen gemacht haben. Beide Gruppen profitieren vom Überraschungsmoment des spontanen Auftauchens und verbreiten eine politisch recht diffuse Botschaft. Auch wenn das Busenattentat nie als ausdrücklich feministische Aktion geplant oder angesehen wurde, ist es doch aus dem Zusammenhang der frühen zweiten Frauenbewegung heraus zu verstehen. In gewissem Sinne stellt sich das »Phänomen Femen« damit als eine Fortführung der Auseinandersetzung mit der Verbindung zwischen Politik und Körper dar, die seit den siebziger Jahren in der Frauenbewegung stattfindet.
In ihrem Manifest schreiben Femen über sich selbst: »Am Anfang war der Körper, das Gefühl des weiblichen Körpers, das Gefühl von Freude darüber, dass er so frei und leicht war. Dann war da Ungerechtigkeit, die so scharf einschnitt, dass du es mit deinem Körper fühlen konntest, sie den Körper immobilisiert hat, seine Bewegung eingeschränkt hat und er zu einer Geisel wurde. Und so wendest du deinen Körper gegen diese Ungerechtigkeit, bringst jede deiner Körperzellen in Stellung im Kampf gegen Patriarchat und Erniedrigung.« Wie eine Signatur steht darunter: »Unsere Waffe sind unsere blanken Brüste.«
Der letzte Satz ist entscheidend, er erklärt den weiblichen Körper für politisch, die Brüste zur Waffe im Dienste emanzipatorischer Bestrebungen. In einer Welt der männlicher Dominanz über Wirtschaft, Kultur und Ideologie, wie Femen sie in ihrem Manifest darstellen, sind die Frauen der Herrschaft über ihren eigenen Körper beraubt. So weit, so klassisch, haben doch Feministinnen in fast allen Phasen der Frauenbewegung die Körperpolitik, wenn nicht als den Kern, dann doch als grundlegendes Moment ihrer emanzipatorischen Arbeit verstanden: Der weibliche Körper werde, losgelöst vom jeweils historischen weiblichen Subjekt, zur bloßen Natur, zum Gegenstand männlicher Ausbeutung, zum absoluten Objekt, zur pornographischen Projektionsfläche fetischisiert. Im Gegensatz dazu präsentiert sich der nackte männliche Körper als befreit von allen materiellen Zeichen der Zivilisation.
Diese Gedankenführung, die sich dem Selbstverständnis von Femen ablesen lässt, lehnt sich an die Argumente der zweiten Frauenbewegung an, zu deren prominentesten Vertreterinnen immer noch Alice Schwarzer gehört. Schwarzer, die auch als Anhängerin von Femen gilt, schreibt in ihrem Buch »Der kleine Unterschied und seine großen Folgen«: »Sexualität hatte über Jahrhunderte, ja Jahrtausende nichts mit Lust zu tun, sondern mit Macht. Macht von Männern über Frauen. (…) Emanzipation der Frauen implizierte also zwangsläufig auch die Emanzipation der weiblichen Sexualität.« (1) Die Rückerlangung der Kontrolle über den ­eigenen Körper wird dieser Logik zufolge zum Schlüsselelement der weiblichen Befreiung. Wie aber ist es möglich, den kulturellen Mustern, die die Präsentation und Wahrnehmung weiblicher Nacktheit bestimmen, kritisch zu begegnen?
Die Aktivistinnen von Femen sind offenbar davon überzeugt, dass dies durch die bloße Zurschaustellung ihrer Barbusigkeit möglich ist. Das scheint auf den ersten Blick stumpf und antiintellektuell, doch es ist notwendig, genauer der Frage nachzugehen, ob der nackte Körper innerhalb weiblicher Protestformen eine solche Subjektwerdung ermöglichen kann.
»Weibliche Nacktheit, losgelöst vom patriarchalen System, ist der Totengräber für das System, militantes Manifest und sakrales Symbol der Befreiung der Frau.« So ist es auf der Website von Femen zu lesen. Ironischerweise bauen Femen damit ihre politische Strategie auf genau jenen historischen Gegebenheiten auf, die sie zu beenden anstreben. Ihre Nacktheit kann ihre Macht nur entfalten, solange sie eine gesellschaftlich unterdrückte ist. Daher funktionieren ihre Proteste in Tunis und in der Ukraine auch besser als auf dem roten Teppich der Berlinale, wo sie nicht »kontrovers« genug sind. Die Idee, patriarchale Verhältnisse mit der Zurschaustellung weiblicher Nacktheit zu bekämpfen, entspringt nicht der Überlegung, dass dem Nacktsein eine bestimmte Macht inhärent sei, vielmehr ist es ein Instrument, um Medienaufmerksamkeit zu erringen. Die Medienberichterstattung ist es, von der Femen glauben, dass sie ihnen Macht beim Kampf um ihre Ziele verleiht. Indem sie den Blick des Betrachters unmittelbar auf ihre Brüste lenken – denn dort steht geschrieben, worum es ihnen geht –, erreichen sie zwei Dinge: Zum einen betonen sie den Objektstatus des weiblichen Körpers in der gegenwärtigen Gesellschaft, zum anderen rücken sie ihr weibliches Geschlecht in den Mittelpunkt ihrer Selbstdarstellung. Indem sie diesen biologischen, sichtbaren Unterschied zwischen den Geschlechtern so markant für sich beanspruchen, legen sie nahe, dass es ihnen nicht um Gleichheit der Geschlechter geht, sondern um die Aufwertung des Weiblichen als vom Männlichen Verschiedenes. Dieser Umstand ist es dann auch, der Femen für viele Feministinnen heute problematisch macht. Vor allem für die von Judith Butler beeinflusste Genderkritik, die die biologische Grundlage des Geschlechterbegriffs schlichtweg abgeschafft zu haben glaubt, wirken die binominalen Kategorien von Femen zweifellos altbacken.
Weit problematischer an der Exponierung des nackten weiblichen Körpers in der feministischen Protestkultur ist aber die Unmöglichkeit, eine feministische Bildsprache für den Körper zu entwickeln, ohne auf Symbole des »male gaze« zurückzufallen. Wie Alice Schwarzer es im Bezug auf Femen formuliert, vollführen diese einen »Balanceakt«, der immer im Begriff ist, ins Banale und Affirmative umzuschlagen. Genau das scheint gegenwärtig mit Femen zu geschehen, über den Hype um die Form des Protestes haben sie dessen Funktion vergessen. Der mediale Einfluss, den sie zu Zeiten ihrer Gründung zweifelsohne besaßen, wurde nicht verwendet, um von symbolischen zu substantiell politischen Protesten überzugehen. Das ist problematisch, denn selbst die wenigen theoretischen Ausführungen von Femen bleiben den meisten Zuschauern ihrer Proteste wohl vorenthalten, bis in die Untiefe ihres Internetauftrittes verirren sich nur wenige. Was bei den meisten haften bleiben dürfte, sind die immer wiederkehrenden Bilder von Brüsten überdurchschnittlich gutaussehender junger Frauen mit weißer Hautfarbe, perfekter Figur und ohne individuelle Namen.

Der öffentliche und der intime Körper

Femen mögen mit ihren »Stunts« besonders radikal erscheinen, sie sind jedoch bei weitem nicht die Einzigen, die zur Nacktheit als politischem Ausdrucksmittel greifen. Als Reaktion auf einen Polizisten, der einer Studentin empfohlen hatte, sich, wenn sie nicht belästigt werden wolle, nicht wie eine »Schlampe« zu kleiden, entstanden 2011 in Kanada die ersten »Slutwalks«. Bei der mittlerweile in alle Welt exportierten Parade ziehen sich die Protestierenden ausdrücklich »schlampig« an, um darauf hinzuweisen, dass die Schuld im Falle von Belästigung oder gar Vergewaltigung beim Täter und nicht beim Opfer liegt, das die falschen Kleidungsgewohnheiten hat. Sowohl Femen als auch die »Slutwalks« können als neue Formen des feministischen Protests betrachtet werden, in denen in so nie dagewesener expliziter Weise Bezug auf den weiblichen Körper genommen wird. Sie wenden sich ab von den Zielen des Mainstream-Feminismus der vergangenen 40 Jahre, Veränderungen durch rechtliche und ökonomische Emanzipation zu erreichen. Als neues Schlachtfeld gilt, wie von Femen beschrieben, der Körper. Gerade durch seine Zurschaustellung soll gezeigt werden, dass der weibliche Körper nicht für die männliche Konsumption zur Verfügung steht, sondern zum politischen Instrument geworden sei.
Die französische Historikerin der Frauenbewegung, Geneviève Fraisse, bemerkt, dass die meisten institutionellen Formen feministischer Politik in der westlichen Welt bereits zur Gänze ausgeschöpft wurden, sich Feministinnen daher mit ihren Zielen heute fast ausschließlich an die mediale Öffentlichkeit wenden. Das bedeutet aber auch, dass sie sich den Regeln der Medienwelt unterwerfen müssen, um Gehör zu finden. Es ist nicht zu bestreiten, dass das Aufkommen von Nacktprotesten durch Femen zu Beginn etwas Romantisch-Ungestümes hatte, sie schienen sich vom Utilitarismus zielorientierter feministischer Politik zu lösen. Ihre Performances erschienen als emotionales Statement, als individueller Ausbruchsversuch aus der Gesellschaft. Eines ist aber sicher: Für eine kollektive feministische Praxis taugen Nacktproteste wenig, vielmehr scheinen sie allenfalls als subjektiv befreiend empfunden zu werden. Eine andere Kritik an dieser Protestform leitet sich aus Andrew ­Boy­­ds­­­ und Stephen Duncombs vom Situationismus beeinflusstem Begriff der »politics of spectacle« ab; sie führt zurück zum wesentlichen Kritikpunkt an feministischen Nacktprotesten. Die Medienbranche macht so exzessiv von unbekleideten oder wenig bekleideten Frauen für Werbung aller Art Gebrauch, Bilder nackter Frauen sind in der Öffentlichkeit so präsent, dass ihr jeweiliger Gehalt neutralisiert zu werden droht.
Angesichts der Existenz dieser Schablone des nackten Frauenkörpers als kommodifiziertem Allgemeingut erscheint es notwendig, gerade dieser medialen Wahrnehmung etwas entgegenzusetzen. Genau hier aber versagen Femen. Bei einem Protest, in dem es um nichts anderes als den Körper geht, bleibt fraglich, wie viel feministische Kritik in ihm überhaupt jemals vorhanden war.
Manchmal erscheinen die Nacktproteste daher fast als Selbstaufgabe, als Kapitulation vor einer Welt, in der nur das Spektakuläre Gehör findet. Die Aktivistinnen von Femen mögen inhaltliche Gründe für ihre Proteste haben, bringen aber schon allein mit der Wahl ihrer Protestform zum Ausdruck, dass sie nicht dar­an glauben, wirkliche Aufmerksamkeit zu erhalten, wenn sie aus den Bahnen »patriarchaler« Bildsprache ausbrächen.

Zurschaustellen der eigenen Verletztlichkeit

Eine der Stärken des Nacktprotestes scheint die Möglichkeit der Darstellung der Verletzlichkeit des Körpers zu sein. Daraus zieht der Nacktprotest, der feministische vor allem, seine Kraft. »Nacktheit wird als ein strategischer Modus sozialer und politischer Aktion benutzt«, schreibt Brett Lunceford in »Naked Politics: Nudity, Po­litical Action, and the Rhetoric of the Body«. (2) Es gehe hierbei weniger darum, nackt zu sein, als nackt zu werden, es sei also das Ablegen der Kleider, das in diesem Sinne Bedeutung erzeuge. Der Akt des öffentlichen Ausziehens als politischer soll das sprichwörtliche nackte Selbst zur Schau stellen.
Ursprünglich ist dieser Akt des Ausziehens vor allem von Antikriegsprotesten bekannt: Der bildliche Kontrast zwischen entblößtem Mensch und uniformiertem Soldat oder militärischen Waffen soll die Schutzlosigkeit des Einzelnen zeigen und das Gefälle zwischen Individuum und Staat unterstreichen. Indem man sich auszieht, macht man sich klein, offenbart sein Intimstes dem Kontrahenten. Das wohl bedeutendste Bild, das diesen Zusammenhang zeigt, ist das des Klempners Emil Gallo aus Bratislava, der während des Prager Frühlings auf einen sowjetischen Panzer zulief, sich das Hemd von der Brust riss und rief: »Schießt!« Nackt zu sein, heißt unbewaffnet, vielleicht sogar schutzlos gegenüber den anderen zu sein. Gerade dieses Moment des Nacktprotestes wird von Femen jedoch dadurch zurückgedrängt, dass die Gruppe ihre Auftritte, gemäß ihrem Anspruch auf »Militanz«, quasi-militärisch choreographiert, bei Auswahl und Training der Teilnehmerinnen auf perfekte Koordination der Körper achtet und damit das unreglementierte Moment des Sichausziehens, das spontane Sichpreisgeben, wie es am Prager Beispiel besonders deutlich wird, geradezu auszutreiben scheint.
Doch auch im Kontext dieser Nacktproteste blitzen manchmal Momente auf, in denen das Preisgegebensein der Protestierenden offenkundig wird, dann allerdings unfreiwillig und in einer Form, die die Ziele des Protestes wiederum konterkariert. So etwa während eines Protests von Femen zur Homoehe in Paris Ende 2012. Die halbnackten Frauen, die als Teil der Demonstration mitliefen, wurden von einer Gruppe Männer brutal angegriffen, auf den Boden geworfen und in ihre Geschlechtsteile getreten. Wie auch immer man zu Femen stehen mag, dass eine solche Eskalation der Gewalt nur aufgrund unbedeckter weiblicher Brüste möglich ist, sagt mehr über die anwesenden Männer aus als über die Aktivistinnen selbst. In diesem Augenblicken trat die dem Konflikt zugrundeliegende Ungleichheit, die männliche Dominanz über den weiblichen Körper, schmerzlich ins Bewusstsein aller Beteiligten und Zuschauer – aber eben in einer Weise, die den »performativen« Charakter der Proteste brutal durchbrach und die von Femen gepflegte Vorstellung, Nacktheit könne als »Waffe« im feministischen Kampf dienen, tendenziell de­savouiert. Eines ihrer selbsterklärten Ziele, nämlich »die aggressive antihumane Natur des Patriarchats in den Augen der Geschichte zu enthüllen«, haben Femen also in einer Weise erreicht, die ihre Protestform erst recht fraglich erscheinen lässt.
Etwas anders gelagert ist der Fall von Amina Sboui, der tunesischen Femen-Aktivistin, die den Schriftzug »Femen« auf eine Friedhofmauer malte und dafür im Mai 2013 ins Gefängnis musste. Kaum war sie entlassen, lud sie auf Face­book ein Foto von sich hoch, das sie mit nacktem Oberkörper zeigt. Nacktheit als Ausdruck von Verletzlichkeit und Intimität wird hier zur öffentlichen Einforderung einer Privatheit, die den Frauen gesellschaftlich nicht gewährt ist. Die Reaktionen kamen prompt und heftig: Ein salafistischer Geistlicher drohte ihr sogar mit Steinigung.
Doch auch diese Zurschaustellung der eigenen Verwundbarkeit als politische Strategie ist problematisch, befördert sie doch eine gewisse Art von Märtyrertum. Nur dadurch, dass die Frau ihren nackten Körper zeigt, ihn damit symbolisch der Gewalt Fremder aussetzt, erhellt sich ihr Standpunkt für den Betrachter. Doch kann es nicht Ziel sein, sich um jeden Preis zur Heldin im Kampf gegen das Patriarchat zu stilisieren, wie es Femen mit (offenkundig polemisch gemeinten) Slogans wie dem von »Feminist Jihad« tun. Abgesehen vom Pathos, das dieser Metaphorik anhaftet, kann die Verletzung des weiblichen Körpers nie dessen Befreiung befördern. Es scheint, als werde, wo immer es um Machtverhältnisse geht, der nackte Körper als die letzte Verteidigungslinie empfunden.
Doch die Entblößung des nackten Körpers kann nicht nur auf patriarchale Gewalt hinweisen, sondern auch selbst als gewaltsamer Akt interpretiert werden. Hierfür muss noch einmal auf das »Busenattentat« zurückgekommen werden, denn im Falle Adornos traf dies zweifelsohne zu. Als die halbnackten Frauen um Hannah Weitemeier Blüten über den Kopf des Professors warfen und ihn bedrängten, flüchtete er aus dem Saal, ein erniedrigter alter Mann. Die Demütigung traf einen jüdischen Gelehrten, der vor den Nazis geflohen war und mit seinem Denken auf die Beförderung eben jener Freiheit zielte, um die es angeblich auch den protestierenden Studenten ging. »Wäre ich tot und würde Adorno begegnen, ich würde ihn bitten, dass er mir vergibt«, sagt Hannah Weitemeier heute dazu. So wie für sie damals scheint es, als öffne der Nacktprotest heute vor allem Tür und Tor für allerlei grobe Geschmacklosigkeiten, drängt er sich doch jenen allzu sehr auf, die von ihm nichts wissen wollen.
Ein Beispiel für die mannigfaltigen Fehltritte ist sicherlich der Auftritt von Femen in Hamburg im vergangenen Jahr, bei dem die Aktivistinnen mit Armbinden der SS, aufgemalten Hitlerbärtchen und Slogans wie »Slavery is fascism« gegen die Ausbeutung der Frauen durch die Sexindustrie protestierten. Kritik an solch fehlgeleiteten Provokationen kam dann auch aus den eigenen Reihen. Amina Sboui aus Tunesien verließ Femen 2013 allerdings ausgerechnet mit der Begründung, sie seien »islamophob« und würden womöglich »von Israel« finanziert – eine Antwort auf arabische Feministinnen, die Femen vorgeworfen hatten, sie zu bevormunden. So sehr man sich auch um theore­tische Legitimation bemüht, der Trend zum feministischen Körperprotest scheint mit einem verbreiteten Schwund der Fähigkeit zur Selbstreflexion einherzugehen.

Die Männer im Hintergrund

Nicht zuletzt ist es die Rolle von Männer in Organisationen wie Femen, die weibliche Nacktproteste als Mittel feministischer Emanzipation fragwürdig erscheinen lassen. Auch hier ergibt sich eine Gemeinsamkeit der heutigen Aktivistinnen mit denen um Hannah Weitemeier. In dem ersten und einzigen Interview, das Hannah Weitemeier zu ihrem Auftritt im Tagesspiegel gab (und zwar 2003, 34 Jahre nach dem 22. April 1969), spricht sie davon, dass sie von einem Freund um Teilnahme an der Aktion gebeten worden sei. Es seien außer ihr und den zwei weiteren auf dem Foto festgehaltenen Aktivistinnen noch mehr Frauen »präpariert« worden, doch diese hätten sich im entscheidenden Augenblick nicht getraut, ihre Mäntel fallen zu lassen. Stattdessen blieben sie einfach auf ihren Stühlen sitzen.
Diese späte Erklärung wirft die Frage auf, wie viel weibliche Selbstbestimmung bei der ganzen Aktion überhaupt im Spiel war. Es sei ihr Freund Alfred von Meysenbug gewesen, der gesagt habe, aus Ador­nos Schwäche für die Frauen müsse man sich »’n Spaß machen«. Meysenburg war es auch, der das einzige Foto des »Busenattentats« gemacht hat; er schickte die Frauen nach vorne und fotografierte dann ihre Aktion.
Eine ähnliche Geschichte lässt sich über Femen erzählen. Die australische Filmemacherin Kitty Green, die mit »Ukraine is not a Brothel« einen Film über die Entstehungsphase der Gruppe gedreht hat, outete den Aktivisten und »Femen-Patriarchen« Victor Svyatski im Herbst 2013 als den Kopf und Gründer der Gruppe. Er sei es, der für die Aktionen die schönsten Mädchen heraussuche, denn diese ließen sich besser verkaufen. Schließlich, so Svyatski, gehe es darum, eine »Marke« zu vertreiben. Nach Greens Enthüllungen trennten sich Femen von Svyatski und behaupteten, er habe nie wirklich dazugehört. Auch hier bleibt ein merkwürdiger Beigeschmack: Einerseits wird auf der Ebene symbolischer Politik viel Wert auf provokative Abgrenzung gegen »männliche Dominanz« gelegt, anderseits scheint die geschlechterpolitische Reflexion in der eigenen Alltagspraxis noch kaum angekommen zu sein.
Hier offenbart sich das vielleicht fatalste Problem: die totale Vermarktung des weiblichen Körpers für angeblich emanzipatorische Ziele durch Femen. Es reicht nicht aus, kulturelle Symbole wie die nackte weibliche Brust einfach »umzucodieren«, um ihnen einen emanzipa­torischen Gehalt abzugewinnen. Die Absichten mögen andere sein, doch in der Wahl der Mittel unterscheiden sich die Femen-Proteste kaum von Werbungen bekannter Unterwäschemarken. Die »Brüste« fungieren als Träger einer Botschaft, eines Produkts, das es zu verkaufen gilt. Weibliche Nacktheit wird dadurch auf ihre mediale Tauglichkeit, ihre strategische Verwendbarkeit reduziert. Die Sinnlichkeit des nackten Körpers (die zur Sinnlichkeit des bekleideten erst einmal ins Verhältnis gesetzt werden müsste) und die selbstbestimmte Erfahrung weib­licher Sinnlichkeit spielen dabei keine Rolle mehr.

Feminismus als Marke

Bei Anlässen wie dem Kölner Weihnachtsgottesdienst oder der »Sportschau«, wo jüngst Proteste von Femen stattfanden, verkommt die Entblößung, verkommen die Entblößten zum medialen Produkt, dessen politische Botschaft zweitrangig wird. Selbst das anarchistische Moment des spontanen Auftauchens kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Aktionen mit Rebellion wenig zu tun haben. Vielmehr scheint es, dass Femen es sich gemütlich gemacht haben in einem medienkompatiblen feministischen Marktsegment. Alle Beteiligten wissen, was sie bekommen: ein paar Minuten wohliger Irritation, die schon beim nächsten Werbespot über fettfreien Joghurt wieder vergessen sind. Um im Gespräch zu bleiben, muss man auch ständig präsent sein. So zieht die Parade des nackten Spektakels von der »Sportschau« zum Gottesdienst und wirkt dabei in der Wahl ihrer Ziele immer willkürlicher. Beim Zuschauer unterdessen stellt sich eine regelrechte »Femen-Fatigue« ein, denn die dauernde Provokation nach dem immer gleichen Schema nutzt sich zu schnell ab. Ein Femen-»Stunt« gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf einer Fairtrade-Messe in Hanover erregte daher kaum noch Aufsehen. Einige der Umstehenden reagierten mit Schulterzucken und Gleichgültigkeit, andere wandten sich sichtlich gelangweilt ab.
So ergeben sich auch Situationen wie die, als Femen eine Ausgabe der deutschen Model-Castingshow »Germany’s Next Topmodel« stürmten. Die Aktivistinnen, die gegen falsche Schönheitsideale und die Ausbeutung der Frau in der Modeindustrie ins Feld zogen, waren – bis auf die Tatsache, dass sie nackt waren – rein optisch von den Bewerberinnen der Show kaum zu unterscheiden. Das Rebellische, war es jemals vorhanden, existiert bei den Nacktprotesten von Femen nur noch als Selbstzuschreibung. Es wundert daher wenig, dass nach Auskunft des Femen-Mitglieds Anna Hutsol die Femen-Demonstration in Istanbul im März 2012 von einem türkischen Hersteller für Damenunterwäsche finanziert wurde. Der von Alice Schwarzer beobachtete »Balanceakt« ist also inzwischen missglückt.
Bleibt die Frage, was bleibt, wenn auch der Einsatz ihres nackten Körpers Feministinnen nicht von der kulturellen Deutungsmacht über diesen befreien kann. Eine Spur emanzipatorischer Kraft ist vielleicht in Aktionen wie denen der Künstlerinnen Karin Finley und Annie Sprinkle zu finden, die in der Performance »The Prometheus Project« männliche Zuschauer dazu aufforderten, ihren Körper zu berühren und von ihren Empfindungen dabei zu erzählen. Durch den Dialog mit dem Publikum wurde es für Finley möglich, die Situation ihrer stereotypen sexuellen Konnotationen zu berauben und damit eine Erfahrung abseits von diesen möglich werden zu lassen. Der weibliche Körper fungiert nicht länger als »Einschreibfläche«, sondern ist Gegenstand einer politischen Aus­einandersetzung über seine Fremd- und Eigenwahrnehmung.
Aber auch in der Performance von Finley und Sprinkle muss erst eine Abkehr von sexuellen Stereotypien stattfinden, wird dem weibliche Körper mit einer klinischen Sterilität begegnet, um ihn von pornographischen und hierarchischen Zuschreibungen zu befreien. Eine neue, politische Bedeutung erlangt er demzufolge nur, wenn er seine Sexualität abstreift. Er wird desexualisiert, um politisiert zu werden – von befreiter Sinnlichkeit kann daher kaum die Rede sein. Nacktheit als feministische Strategie wird nur um den Preis einer Distanzierung von der weiblichen Sexualität möglich. Ein Weg zu einer Versöhnung beider Momente konnte bisher von keiner feministischen Bewegung formuliert werden. Es bleibt der zugerichtete weibliche Körper als Objekt medialer Nachfrage nach Spektakel, der weder durch Femen noch durch die »Slutwalks« überschritten werden kann. Wie Iris Maron Young in ihrem Essay »Breasted Expe­rience« (3) schreibt, ist der Zugang zu einer weiblichen Erfahrung von Körperlichkeit verstellt und höchstens theoretisch zu antizipieren. Die pathetische Verklärung weiblicher Nacktheit als emanzipatorische Praxis, die zeitgenössische Feministinnen betreiben, ist daher nichts als Selbstbetrug. Hannah Weitemeier wenigstens wurde sich dieser Unzulänglichkeiten später bewusst. Im Interview mit dem Tagesspiegel von 2003 sagt sie: »Ein weiblicher Körper ist keine Waffe« und erklärt weiter: »Das Busenattentat war keine politische Aktion, denn ich war nicht sehr politisch. (…) Wir fanden uns danach gar nicht so toll.«

Anmerkungen

(1) Alice Schwarzer: Der kleine Unterschied und seine großen Folgen, Frankfurt/Main 1975
(2) Brett Lunceford: Naked Politics: Nudity, Political Action, and the Rhetoric of the Body,New York 2012
(3) Iris Marion Young: Breasted Experience. The Look and the Feeling, in: Drew Leder (Hg.): The Body in Medical Thought and Practice, Boston 1992