Ines Doujak, Fahim Amir und Oliver Ressler sprechen über die Performance-Veranstaltung »Salon Klimbim« in Wien

»Wer kann es sich heute leisten, auf utopisches Denken zu verzichten?«

Die Wiener Secession, Ausstellungshaus und Vereinigung bildender Künstler in Wien, öffnet ihre Tore für die Veranstaltungsreihe »Utopian Pulse – Flares in the Darkroom«. Als Auftakt dient der »Salon Klimbim: von vegetarischen Tigern und utopischen Unterhandlungen«. Ein Gespräch mit Ines Doujak, Fahim Amir und Oliver Ressler, den Kuratoren der Veranstaltung.

Der »Salon Klimbim« ist ein Performance-Marathon, was haben Sie vor?
Fahim Amir: Zu viel! Und das ist einer der Momente, wo das Utopische beginnen kann. Alles verboten – trotzdem machen, wie der deutsche Rapper Materia sagt. Für mich wäre es nicht sehr interessant gewesen, kuratorisch zum Utopischen zu arbeiten, ohne den Versuch zu unternehmen, mit den beteiligten Künstlern selbst utopische Momente zu schaffen. Das Utopische, das sind Sezessionsbewegungen mit unbekanntem Ausgang.
An der Veranstaltung nehmen Künstler wie MC Afrika Baby Bam von den Jungle Brothers, die Kuratorin Zanny Begg und die Sieger des Wiener Tuntathlons, einer Veranstaltung mit Stöckelschuh- und Handtaschentragepflicht, teil. Wie hat sich die Auswahl der Gäste ergeben?
Amir: Ich wurde als lokaler Künstler und Kurator eingeladen, erstens eine kuratorische Klammer für den »Salon Klimbim« zu entwickeln, zweitens meinerseits für Wien und »Utopian Pulse« Vertreter interessanter Positionen einzuladen und drittens an dem Abend selbst als »Master of Ceremony« aufzutreten. Die Bitte an alle Beteiligten war, mit einer These zu arbeiten: der Verbindung von Unterhaltung und Utopie. Als »vegetarischen Tiger« bezeichnete Adorno einst Charlie Chaplin, denn ihm sei das Unmögliche gelungen – das Raubtierhafte der Unterhaltungsindustrie mit etwas zu verbinden, das darüber hinausging und das Künstlerische berührte. Richard Dyer, der Ahnherr der Gay- und Star-Studies wiederum, vertrat die These, dass jede Form von Unterhaltung Elemente des Utopischen enthalten müsse, um von den Massen angenommen zu werden. Das Utopische in der Unterhaltung trete aber nicht modellhaft auf, sondern affektiv – in Form utopischer Gefühle. Darum geht es also beim »Salon Klimbim« auch: um verschiedene Versuche, utopische Gefühle zu schaffen.
Sie waren im vergangenen Jahr wissenschaftlicher Leiter des Live Art Festival im Hamburger Kampnagel. Dort haben Sie bereits einen Vortrag zu Zooperaismus und der Autonomie des Animalen gehalten, zu Themen, die auch im Zusammenhang mit der Wiener Veranstaltungsreihe von Bedeutung sind. Was verstehen Sie darunter?
Amir: In Beziehung mit dem Projekt der Autonomie der Migration, aber auch dem autonomen Marxismus geht es beim Zooperaismus darum, die Geschichte der Tiere in menschlichen Gesellschaften als Geschichte von Kämpfen zu denken. So wie Arbeiter in bestimmten objektivierenden Geschichtskonzeptionen bloß als Produkte größerer und unabhängig von ihnen verlaufender Prozesse dargestellt wurden und Migranten oft in theoretischen Narrativen als totale Opfer skizziert werden, die im Ursprungsland, auf der Flucht und im Ankunftsland geknechtet werden, werden auch Tiere zumeist als passive ultimative Opfer gedacht. Tiere sind aber auf unterschiedliche Weise widerständige Akteure: körperlich, subjektiv, kollektiv und individuell. Dies ist deshalb nicht einfach mit ihren menschlichen Gegenstücken in eins zu setzen, beim Zooperaismus geht es aber darum, die Verbindungen denken zu wollen. Mit dem Begriff der Autonomie des Animalen soll wiederum eine Absetzbewegung zu dieser Naheführung der Tiere hergestellt werden: Denn Tiere sind in Klassengesellschaften nicht direkte Adressaten von Ideologie, sie behalten immer ein Stück Autonomie, deshalb sind zum Beispiel Hunde sowohl in den Reihen von Riot-Cops wie auch von Linken zu finden.
Tiere sind also auch Teil der lebendigen ­Arbeitswelt?
Amir: Die Inspiration zu dieser These habe ich in Sigfried Giedions »Herrschaft der Mechanisierung« aus dem Jahr 1948 gefunden. Hier beschreibt Giedion ein Fieber, das die Schlachtindustrie von Chicago im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erfasste: In Form heute bizarr erscheinender Patentanträge sind zahlreiche Versuche dokumentiert, das Fangen, Töten und Zerlegen von Tieren maschinell zu organisieren. Da dies alles nicht fruchtete, weil die Schweine entweder zu klug für die Maschinen waren oder auch ihre Körper nicht mitspielten, blieb der Industrie nichts anderes übrig, als die beteiligten Menschen arbeitsorganisatorisch in eine Art Maschine zu verwandeln: immense Zersplitterung der Arbeit entlang einer Schiene an der Decke, an der die Tiere im vertikalen Schlachthof entlanggeführt wurden. Als Henry Ford diese damals größte zusammenhängende Industrie der Welt besuchte, übernahm er beide Prinzipien für seine Automobilfabriken. Aus der disassembly line wurde die assembly line. Der körperliche und subjektive Widerstand der Tiere war historisch also ein Innovationstreiber für die moderne Industrie. Ein einziger Patentantrag war übrigens erfolgreich und, worauf Giedion hinweist, nicht zufällig auf die Haut­oberfläche bezogen – eine Maschine zum Abziehen der Schweineborsten, denn das Körperinnere war auch nach Tötung der Tiere zu feingliedrig, um rein maschinell zerlegt werden zu können. Deshalb formuliert Giedion auch: »Die Schweine leisteten über ihren Tod hinaus Widerstand.«
Die künstlerische Reihe soll nicht nur zeigen, was mit der Welt nicht stimmt, sie soll auch die Behauptung des nicht Verwirklichten im und gegen das Wirkliche sein. In Zeiten des kapitalistischen Realismus, in denen das utopische Denken kaum einen Ort hat, ein nicht ganz leichtes Unterfangen.
Ines Doujak: Das Konzept der Utopie war immer dadurch angreifbar, dass es als naiv oder nicht durchführbar gebrandmarkt wurde. Es interessiert mich ganz ungemein, mir anzusehen, wer es sich heute überhaupt leisten kann, auf kritisches utopisches Denken zu verzichten. Das sind vor allem jene, die auf der Gewinnerseite der bestehenden Machtverhältnisse zu finden sind.
Oliver Ressler: In erster Linie muss der Glaube, dass alles so weitergehen kann wie bisher – also etwa die weitere Vertiefung der Kluft zwischen denen, die besitzen und denen, die nichts besitzen –, als utopisch bezeichnet werden. Das Projekt »Utopian Pulse – Flares in the Darkroom« wird hingegen unterschiedliche Ansätze und Projekte aus der ganzen Welt versammeln, die sich gegen die hegemoniale Realität des neoliberalen Denkens positionieren.
Heute versucht fast jede Ausstellung eine eigene Dissidenz- oder Subversionstheorie hervorzubringen. Befürchten Sie nicht, dass die emanzipatorischen Potentiale der künstlerischen Interventionen im White Cube neu­tralisiert werden könnten?
Ressler: Gerade die Secession ist ein Bespiel dafür, dass mit Ausstellungen ein Publikum angesprochen werden kann, das weit über einen kleinen Kreis professioneller Kunstbetrachter hinausgeht. Das hat mit der historischen Bedeutung des Gebäudes und der permanenten Ausstellung des Beethovenfrieses im Keller der Secession zu tun. Außerdem wird es mit zwei Serien von Transparenten an der Fassade der Secession, die sich insgesamt über zehn Monate hinweg erstrecken werden, künstlerische Arbeiten geben, die unmittelbar in den städtischen Raum hineinwirken und in der Mehrzahl auch explizit politisch gelesen werden können; auch von einem Publikum, das die Secession noch nie betreten hat oder das aus unterschiedlichen Gründen nie tun würde.
Im Anschluss an den »Salon Klimbim« finden monatlich neue künstlerische Aktionen statt. Was steht als nächstes an?
Ressler: Die erste Serie großformatiger Transparente startet bereits am 3. Februar und versammelt Künstler aus Moskau, São Paulo, Madrid, Kairo und anderen Orten, die sich auf ­die utopischen Momente der Proteste in diesen Städten beziehen. Den Auftakt macht die in Wien lebende Künstlerin und Aktivistin Katarzyna Winiecka, deren Arbeit an die selbstorganisierte Refugee-Bewegung in Wien anschließen wird, sich kritisch auf die in der Öffentlichkeit vor allem positiv wahrgenommene Arbeit der Caritas beziehen und Fluchthilfe als Handlungsmöglichkeit in den Raum stellen wird.
Doujak: Im Anschluss daran wird es im September 2014 eine Sequenz von miteinander korrespondierenden Ausstellungen geben, für die Oliver und ich eine Gruppe internationaler Künstler-Kuratoren eingeladen haben, die wiederum unterschiedliche Fokusse auf utopische Momente legen und zu denen weitere Künstler eingeladen werden. Anfang 2015 wird auch ein Reader zum Projekt erscheinen und auch Folgeausstellungen sind nicht ausgeschlossen.

»Salon Klimbim: von vegetarischen Tigern und utopischen Unterhandlungen« findet am 23. Januar in der Wiener Secession statt und eröffnet die monatliche Reihe »Utopian Pulse – Flares in the Darkroom«.