Die kambodschanische Band »The Cambodian Space Project«

Whisky Cambodia

Rock ’n’ Roll im Theatersaal: Die kambodschanische Band The Cambodian Space Project spielt ihr erstes Konzert in Deutschland. Im Leben der Sängerin spiegeln sich die sozialen Umstände ihres Herkunftslandes wider.
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Sie lassen es langsam angehen. Bis zum ersten Akkordwechsel von »Whisky Cambodia« vergehen sechs Minuten, dann aber schraubt sich die Band in eine psychedelische Wall of Sound hinein. Mit etwas Phan­tasie kann man sich vorstellen, welchen Sog das entwickeln könnte, stünde man dichtgedrängt, trinkend und rauchend in einer Bar im schwülen Phnom Penh, statt der Band von einem Theatersitz aus im winterlichen Berlin zuzusehen.
Der Belgier Michael Laub hat das Festival »Staging Cambodia« im Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) orchestriert, es ist eine Komposition aus Film, Fotografie, Tanzperformance und Musik. Laub ist Tanzchoreograph und Theaterregisseur – und glücklicherweise nicht bemüht, die Elemente des Festivals zu einem musicalartigen Brei zu verrühren. Er lässt sie, mit Ausnahme von Musik und Tanz, neben­einander stattfinden.
Auf die Vorführung eines Videos und diverser Fotografien des jungen Künstlers Kvay Sam­nang folgt »Portrait Series: Battambang«. Michael Laub lässt in seinem eineinhalbstündgen Film unter anderem Bauern und Wachleute, Gemüseverkäufer und Sexarbeiter, junge Zirkus­artisten und britische Expats zu Wort kommen. Während man in den ersten Minuten des Films noch befürchtet, zu einem Voyeur gemacht zu werden, der mit paternalistischem Gestus vorgeführte Einzelschicksale betrachtet, entwickelt sich der Film zu einem eindrucks- und humorvollen Porträt der unterschiedlichsten Bewohner der drittgrößten Stadt Kambodschas.
Und nun also: Rock ’n’ Roll im Theatersaal. »Normalerweise spielen wir in Bars, Clubs, auf der Straße oder auf Partys, und dann gerne auch mal drei Stunden«, sagt Julien Poulson im Interview. Zusammen mit der Sängerin Srey Channthy bildet der Gitarrist die Kernbesetzung von The Cambodian Space Project, deren Mitglieder sich eher als offenes Kollektiv denn als Band mit fester Besetzung verstehen. Heute wird die vierköpfige Rockband von drei weiteren Musikern der Phare Ponleu Selpak Association unterstützt. Ziel der 1994 von jungen Flüchtlingen in Battambang gegründeten NGO ist es, Kindern, jungen Erwachsenen und ihren Familien eine Lebensgrundlage zu bieten, indem sie sie zu bildenden Künstlern, Musikern, Tänzern oder Zirkusartisten ausbildet. In den Räumen von Phare ist Michael Laubs Film entstanden.
»Ich mag den hohen Grad an Verzerrung bei The Cambodian Space Project. Es war eine ästhetische Entscheidung, sie mit den Phare-Musikern zusammenzubringen«, sagt Michael Laub. »Ich weiß, dass es eine Herausforderung für sie ist, vor sitzendem Publikum zu spielen.«
»Whisky Cambodia« ist der Titelsong des am 1. Mai dieses Jahres erscheinenden dritten Albums von The Cambodian Space Project. Ihm vorangegangen sind die Alben »2011: A Space Odyssey« (2011) und »Not Easy Rock and Roll« (2012). »Whisky Cambodia« wurde in Detroit produziert, von Dennis Coffey, dem ehemaligen Gitarristen der legendären Motown-Studioband The Funk Brothers. Bis dahin klingt die Geschichte nach einem Tellerwäscher-Märchen.
Srey Channthy wurde 1980 geboren, mit dem Ende der Herrschaft der Roten Khmer setzte ein Baby-Boom ein. Ihr Herkunftsdorf liegt nahe der vietnamesischen Grenze in Prey Veng, einer der ärmsten Provinzen des Landes. Während der von Richard Nixon und Henry Kissinger zu verantwortenden völkerrechtswidrigen Angriffe auf das neutrale Kambodscha war Prey Veng besonders stark bombardiert worden. Schon als kleines Kind arbeitete Channthy auf den Reisfeldern, später auf einer Kautschukplantage. Eine Schule besuchte sie nur drei Jahre lang, bevor sie als Teenager nach Phnom Penh zog, um dort Geld für sich und ihre Familie zu verdienen. Mit dem Versprechen einer Stelle in einem Schönheitssalon gelockt, wurde sie ins Rotlichtmilieu verschleppt. Einen Tag lang war sie mit Stromkabeln an ein Bett gefesselt, wo sie so lange schrie, bis sie von einer Frau auf der Straße gehört und befreit wurde. Schließlich fand sie einen Job als Karaokesängerin in den Bars von Phnom Penh. In einer dieser Bars traf sie 2009 Julien Poulson. »Sie sang eine Khmer-Version von Peggy Lees ›Johnny Guitar‹, ich war beeindruckt von ihrer Stimme«, sagt Poulson. Der aus Tasmanien stammende Medienproduzent kam gerade aus Osttimor, wo er mit Fördergeldern der australischen Organisation Asialink ein Musikprojekt vorbereitete, das von erneuten Unruhen jäh unterbrochen wurde. Da die Fördermittel schon bewilligt worden waren, ging er nach Kambodscha, um sein Projekt dort zu verwirklichen. »Meine Vorstellungen von Kambodscha waren im Wesentlichen durch den Song ›Holidays in Cambodia‹ von den Dead Kennedys und den Film ›Apocalypse Now‹ geprägt. Doch dann fand ich heraus, dass es in dem Land vor Pol Pot eine lebendige Film-, Kunst- und Musikszene gegeben hatte.«
Nach dem Einmarsch der Roten Khmer 1975 war Phnom Penh innerhalb weniger Tage evakuiert worden. Die Bewohner wurden auf langen Märschen in die ländlichen Gegenden Kambodschas getrieben, fast zwei Millionen Kambodschaner verloren in den dreieinhalb Jahren des Regimes »Demokratisches Kampuchea« ihr Leben.
Unter den ersten Opfern waren neben buddhistischen Mönchen und Anhängern der rechten Lon-Nol-Regierung die Künstler und Intellektuellen des Landes. Sie passten nicht in das Konzept eines maoistischen und ultranationalistischen Bauernstaats. Viele wurden mit stumpfen Gegenständen auf den killing fields erschlagen und in Massengräbern verscharrt, weil die Munition für den Kampf gegen die vorrückenden vietnamesischen Truppen gespart werden musste. Andere schufteten sich auf Reisfeldern zu Tode oder verhungerten. Viele Kunstwerke, Filmrollen und Tonbänder wurden vernichtet.
»Sie konnten die Musiker töten, nicht aber die Musik«, sagt Srey Channthy. »Meine Mutter hat zu Hause immer die Lieder aus den Sechzigern und Siebzigern gesungen. Als ich Julien traf, konnte ich nicht glauben, dass ein Ausländer diese Songs kannte und sogar spielen konnte.«
»Ich war auf der Suche nach zeitgenössischer kambodschanischer Musik durch Phnom Penh gezogen. Am besten dazu geeignet waren Hochzeiten«, erzählt Poulson. »Dort hörte ich viele der alten Khmer-Pop-Songs. Ich sammelte Aufnahmen, und nachdem ich Channthy singen gehört hatte, spielte ich ihr die Songs auf meinem Laptop vor. Sie sprach nur ein paar Brocken Englisch und ich kein Khmer, doch obwohl wir uns kaum unterhalten konnten, verstanden wir uns gleich.« Fünf Monate später zog er nach Phnom Penh und begann, mit der Band zu arbeiten. Sie lernten drei Songs und spielten ihr erstes Konzert in einem Restaurant namens Alley Cat Café, bei dem sie ihr kurzes Set viermal hintereinander spielen mussten. »Channthy ist eine geborene Entertainerin. Innerhalb weniger Auftritte wurde sie auf der Bühne zu einer richtigen Pop-Diva.«
»Es hat ein paar Monate gedauert, bis ich überhaupt den Namen der Band aussprechen konnte«, sagt Srey Channthy und lacht. Die Band spielte fortan nicht nur in den Bars und Clubs der Hauptstadt, sondern auch in ländlichen Gebieten Kambodschas, zum Beispiel im Heimatdorf der Sängerin. Von der dortigen Feier, dem Festmahl und Reisschnapsgelage, handelt »Whisky Cambodia«.
Als ihre Familie hörte, dass die Band bald ein Konzert in Hongkong geben würde, hatte sie Angst, dass Srey Channthy von den »Barangs«, den Ausländern, in der Band dorthin verkauft werden könnte. Unbegründete, aber keineswegs abwegige Sorgen, denn noch immer werden in Kambodscha junge Männer und Frauen verschleppt oder von ihren Familien verkauft, um im In- oder Ausland unter sklavenähnlichen Bedingungen als Hausdiener, Holzsammler, Sexarbeiter oder Bettler zu arbeiten.
Die Klassiker aus der goldenen Ära des Khmer-Pop machen einen großen Teil der Alben und Konzerte von The Cambodian Space Project aus. »Chnam Oun Dop-Pram Muy« (»I am 16«) von Ros Sereysothea etwa, das von der Band in einer wilden Uptempo-Surf-Version gespielt wird. »Ich liebe dieses Lied, es ist sexy und lustig!« sagt Srey Channthy, und Julien Poulson ergänzt: »Es ist mittlerweile sowas wie die inoffizielle Nationalhymne von Kambodscha.«
Ros Sereysothea galt als »die goldene Stimme von Phnom Penh«. Nach der Eroberung der Stadt wurde sie mit einem Assistenten Pol Pots, des »Bruders Nummer eins«, zwangsverheiratet. 1979 verlor sich ihre Spur, mit großer Wahrscheinlichkeit wurde sie ermordet.
Die 2010 veröffentlichte Single »I’m Unsatisfied« (im Original »Kynom Mon Sot Jet Tai« der Sängerin Pan Ron) ist die erste Vinyl-Veröffentlichung einer Band aus Kambodscha seit 1975. Vom »kambodschanischen Elvis« Sinn Sisamouth abgesehen, der in den Siebzigern von König Sihanouk auf Reisen mitgenommen wurde, ist Srey Channthy die erste kambodschanische Künstlerin, die ihre Musik auf die Bühnen der Welt bringt. Die Band tourte bereits durch die meisten Länder Südostasiens, China, Australien, die USA und Europa. »Als ich in meinem Dorf Bilder unseres Trips nach Paris gezeigt habe, wurde mir nicht geglaubt«, sagt Srey Channthy. »Sie dachten, es handele sich um Fotomontagen. Mittlerweile ist meine Familie stolz darauf, dass ich reisen kann und damit gutes Geld verdiene.« Wo viele westliche Musiker ellenlang von Selbstverwirklichung und DIY faseln und ihr prekäres Künstlerdasein gerne als unabhängig verklären, macht Srey Channthy keinen Hehl aus ihrer Freude, von der Musik leben und mit ihren Einnahmen außerdem die Familie unterstützen zu können.
In Phnom Penh betreibt sie den Laden Sticky Fingers, wo es neben Platten und CDs selbst­hergestellte Siebdrucke und T-Shirts in der Science-Fiction- und Popart-Ästhetik der Band zu kaufen gibt. Mit Kong Nay nahm die Sängerin die EP »3 Songs for Human Rights« auf. Der blinde Zitherspieler wurde in den späten Siebzigern gezwungen, Propagandalieder für die Roten Khmer aufzunehmen, und hat dadurch als einer der wenigen Musiker das Pol-Pot-Regime überlebt. In diesem Jahr erscheint außerdem Srey Channthys Kollaboration mit der australischen HipHop-Band Astronomy Class. Vor wenigen Monaten wurde ihr das austra­lische Aufenthaltsrecht bewilligt, was ihr das Touren und Arbeiten sehr erleichtert.
Die Probleme beim Reisen, unter anderem die Schwierigkeiten mit westlicher Essenszubereitung, hat sie in dem Song »Have Visa, No Have Rice« ironisch verarbeitet. In Liedern wie »The Boat« oder »Black to Gold« geht es um Armut und Korruption, dezidiert politische Aussagen möchte Srey Channthy aber nicht machen. Es gebe Platz für genau drei Emotionen in ihren Songs, sagt sie: »Happy, sad and funny.«
Die Musik von The Cambodian Space Project orientiert sich an verschiedenen Spielarten des Sounds der sechziger und siebziger Jahre: Rock ’n’ Roll, Pop, Garage, Surf, Psychedelic. Schon die alten Khmer-Rock-Bands waren von amerikanischer Rock- und Popmusik beeinflusst, die über die Radiosender der in Südvietnam stationierten GIs ins Land kam. So wird im HAU beispielsweise eine eigenwillige Version von »Bang Bang (My Baby Shot Me Down)« gespielt. 1966 geschrieben von Sony Bono und gesungen von Cher, gecovert von Nancy Sinatra und 2003 durch Quentin Tarantinos »Kill Bill« zu neuem Ruhm gebracht, ist der Song in Kambodscha vor allem als Interpretation von Pan Ron unter dem Titel »Snae Ha« bekannt.
Wer an diesem Abend mit Erwartungen an ein möglichst exotisches Weltmusik-Erlebnis ins Theater gekommen ist, wurde also ob der vertrauten Klänge enttäuscht. Es steht eben keine kambodschanische Band, sondern eine Rockband aus Kambodscha auf der Bühne.
Neben der Phonetik des Gesangs und den Dancehall-Rhythmen des Percussionisten sind es ausgerechnet die von zwei Phare-Musikerinnen gespielten traditionellen Instrumente Roneat (ein Xylophon) und Khim (eine Art Zimbel), die den Songs einen sehr modernen, zuweilen an die Patterns elektronischer Musik erinnernden Hauch verleihen.
Vor der Zugabe gibt es die erste und einzige Ansage. In gebrochenem Englisch bittet Srey Channthy das Publikum zum Tanzen auf die Bühne. Doch die Berliner bleiben in ihren Sitzen. Vielleicht geht es ihnen wie mir und sie nehmen sich vor, sich diese Band irgendwann einmal mit einem Drink und einer Zigarette bei einer schwülen Party in Phnom Penh anzuschauen.