Gedenken an Opfer eines NSU-Mords in Rostock

»Er war kein Rostocker«

Die Stadt Rostock hat zum ersten Mal offiziell der Ermordung Mehmet Turguts durch den Nationalsozialistischen Untergrund gedacht. Auch ein Mahnmal erinnert nun an die Tat. Doch das Interesse der Bevölkerung hält sich in Grenzen, eine Straßenumbenennung kommt für Lokalpolitiker weiterhin nicht in Frage.

An diesem klaren und kalten Vormittag versammeln sich annähernd 250 Menschen im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel. Vielleicht hatte der Franzose Marc Augé andere Plätze im Sinn, als er seine Theorie des »Nicht-Ortes« entwickelte. Dennoch drängt sich diese Bezeichnung unweigerlich auf, wenn man die kleine Brache auf dem Weg zwischen Wohnblöcken und der Straßenbahnhaltestelle betrachtet. Umrahmt wird sie von hässlichen Gewerbezweckbauten aus DDR-Zeiten und einigen Einfamilienhäuschen.

Es ist das erste Mal, dass die Stadt Rostock ganz offiziell zu einem Gedenken an Mehmet Turgut aufgerufen hat, der an dieser trostlosen Stelle am 25. Februar 2004 von den Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrunds ermordet wurde. Fast zweieinhalb Jahre – so lange liegt die Selbstenttarnung des NSU zurück – hat die Stadt dafür gebraucht. Die Imbissstube »Mr. Kebap Grill«, in der Turgut mit Schüssen in Kopf und Hals getötet wurde, gibt es längst nicht mehr. Ihre früheren Umrisse bilden nun die Grundplatte für ein Mahnmal, das am Dienstag voriger Woche um 10.20 Uhr eingeweiht wurde, zur damaligen Tatzeit. Es besteht aus zwei massiven Betonbänken, die sich versetzt gegenüberstehen, so dass man sich nur an einer Stelle direkt gegenübersitzen kann. In die Lehnen sind zwei Schrifttafeln eingelassen. Auf Türkisch und Deutsch stehen dort der erste Artikel der Erklärung der Menschenrechte und ein Gedenktext, in dem der Mord als Teil einer bundesweiten Mordserie bezeichnet wird. Die Wiese, die bisher von Trampelpfaden durchzogen wurde, ist in ein sauber umrandetes Beet umgewandelt worden, das nun die Bänke umgibt.
Gekommen sind an diesem Morgen auch die beiden Brüder Mehmet Turguts, Mustafa und Yunus. Wegen einer Verwechselung der Pässe von Mehmet und Yunus Turgut wurde der Ermordete zunächst unter dem Namen seines lebenden Bruders geführt. Die Rostocker Polizei wusste von diesem Fehler schon 2004. Trotzdem steht in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess immer noch Yunus Turgut. Auf die Verwechselung wird nur in einer Fußnote eingegangen.
Begleitet werden die Brüder unter anderem vom türkischen Botschafter, Hüseyin Avni Karsıoğlu, und einem Mitglied des Rostocker Migrantenrats. Neben dem Oberbürgermeister Roland Methling (parteilos) und der Bürgerschaftspräsidentin Karina Jens (CDU) haben auch Stadt- und Landespolitiker, Verwaltungsmitglieder, Künstler und etwa 50 Antirassisten und Antifaschisten den Weg zum Mahnmal gefunden. Rostocker Durchschnittsbürger sieht man hingegen kaum. Ein Anwesender kommentiert diesen Umstand so: »Dabei sitzen bestimmt 1 000 Leute im Umkreis in ihren Wohnungen, die nicht arbeiten gehen. Und das Wetter ist auch nicht zu schlecht.«

Nach einem kurzen Musikstück beginnt Methling mit der ersten Rede. Bei der Begrüßung der Angehörigen scheint er die Namen der Brüder des Ermordeten kurz vergessen zu haben und nennt einen von ihnen »Herr Mehmet«. Bereits davor hat er dem asiatischen Trompeter gedankt und nicht vergessen darauf hinzuweisen, dass dieser in der Hochschule für Musik und Theater »zu Hause« sei. Die deplaziert wirkende Äußerung verstehen viele Zuhörer als Hinweis: »Seht, wie multikulturell und weltoffen wir sind!« Zum Ende der Rede sagt Methling, dass man sich auch in den nächsten Jahren wieder an diesem Ort sehen werde.
Auf die Einlösung dieses Versprechens wird die Initiative »Mord verjährt nicht!« achten. Ihr Sprecher Lars Oppelt kündigt im Anschluss an: »Daran werden wir ihn messen.« Die Initiative kritisiert den Text der angebrachten Tafeln, fordert eine Straßenumbenennung und will auch auf rassistische Äußerungen von Lokalpolitikern hinweisen.
Dem Aufruf der Initiative, die offizielle Gedenkveranstaltung leise, aber kritisch zu begleiten, sind etwa 50 Personen gefolgt. Als Bürgerschaftsprä­sidentin Jens über den Dialog »zwischen mir und dem Fremden« spricht, kehren ihr viele den Rücken zu. Manche zeigen Schilder, auf denen Jens zitiert wird: »Er war kein Rostocker und ist illegal hier gewesen.« Mit solchen Argumenten hatten sich auch Ortsbeiräte und andere kommunale Verantwortungsträger lange gegen ein Mahnmal, aber auch gegen eine Straßenumbenennung gewehrt.
Gegen die Umbenennung mit Erfolg: Die frühzeitig vorgebrachte Forderung, den Neudierkower Weg, an dem Turgut ermordet wurde, in Mehmet-Turgut-Weg umzubenennen, ist mittlerweile endgültig abgelehnt worden. Die Satzung der Stadt schreibt vor, dass einer Umbenennung zuerst der zuständige Ortsbeirat, eine Art Stadtteilvertretung, zustimmen muss. In diesem Fall sind das gleich zwei, doch der erste lehnte einstimmig ab, mit den Stimmen der Linkspartei. Danach befassten sich die Stadtoffiziellen nicht mehr mit der Umbenennung. Die Initiative »Mord verjährt nicht!« hält die Forderung dennoch ausdrücklich auch über den zehnten Todestag hinaus aufrecht und will weiter für die Umbenennung kämpfen. »Wir sehen darin ein wichtiges Instrument städtischer Geschichtspolitik, um die Erinnerung an dieses rassistische Verbrechen wach zu halten«, schrieb die Initiative in einer Presseerklärung.
Die Umbenennung wünschten auch sie sich, sagen Mehmet Turguts Brüder nach der Gedenkfeier. Auch den Text der Schrifttafeln kritisieren sie. Sein Zustandekommen darf getrost als Posse bezeichnet werden. Die zuständige AG Gedenken, in der Vertreter aus der Politik, dem Allgemeinen Studierendenausschuss und dem Migrantenrat vertreten sind, hatte sich unter dem Vorsitz von Karina Jens auf einen Entwurf geeinigt. In ihm war zwar nicht von Neonazis oder gar vom Terror des NSU die Rede, die Tat wurde aber immerhin als rassistisch bezeichnet. Der Wortlaut wurde in einer Beschlussvorlage für die Bürgerschaft fixiert. Offenbar eigenmächtig wurde der Text dann aber im Kulturausschuss verändert und der Bürgerschaft zur Entscheidung vorgelegt. Aus »rassistisch« wurde »rechtsextremistisch«. Mustafa Turgut hätte sich etwas anderes gewünscht: »Es wäre besser gewesen, wenn erwähnt wird, dass er von Nazis getötet wurde.«

Im Rathaus bedankt sich Jens am Nachmittag für die schnelle Errichtung des Mahnmals und freut sich, dass es bei der Einweihung zu keinen Störungen, »egal aus welcher Richtung«, gekommen sei. In der Diskussion bezeichnet sie das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 als »Ausrutscher nach der Wende«, um schließlich von nach der Wende nach Deutschland »strömenden Roma« zu sprechen – in Anwesenheit eines Vertreters des Zentralrats der Sinti und Roma.